Mit der Ankunft der Afanasievo-Kultur vor mehr als 5000 Jahren führten ihre Mitglieder domestizierte Schafe, Ziegen und Rinder in das Altai-Gebirge ein. Doch trotz ihres noch heute spürbaren pastoralistischen Erbes, hinterließen die Menschen der Afanasievo-Kultur kaum genetische Spuren unter den späteren Bevölkerungen der Region. Dies wirft Fragen über die kulturelle Dynamik hinter der Übernahme der Viehzucht durch lokale Jäger- und Sammlergesellschaften im Altai und weiter östlich in der Mongolei sowie in China auf. Besonders problematisch für die Forschung war bislang, dass zuverlässige Informationen über die Afanasievo fast ausschließlich nur durch die charakteristische Keramik und die kreisrunden Steingräber der Gruppe gewonnen werden konnten. Siedlungen der Afanasievo, welche mehr Aufschlüsse über ihre Existenz und mögliche Interaktionen mit indigenen Gemeinden geben könnten, waren bisher nur schwer zu finden.
Um diese Lücke in der Archäologie Mittelasiens zu füllen, gründete Dr. Taylor Hermes das Rise of Altai Mountain Pastoralism Project (RAMPP). Gefördert mit einem National Geographic Society Exploration Grant, führen Hermes und Kodirektor Prof. Alexey Tishkin von der Altai State University (Barnaul, Russland) die Ausgrabungen um die Siedlung Nizhnyaya Sooru in der Republik Altai an. Die Stätte zählt zu den am besten erhaltensten der Afanasievo und ist die möglicherweise größte Siedlung, die bislang entdeckt wurde.
"Nizhnyaya Sooru bietet uns einen einmaligen Einblick in die rätselhafte Afanasievo-Kultur, welche sich schon früh domestizierte Schafe, Ziegen und Rinder im Altai zunutze machten – einer ressourcenreichen Landschaft, die lange von Jäger- und Sammlergesellschaften bewohnt war", so Hermes.
Zum RAMPP-Team zählen Spezialisten aus den Bereichen Keramiktechnologie, Archäozoologie, Radiokarbondatierung, Stabilisotopenanalyse, Lithicanalyse, Paläobotanik und Nutztiergenomik. Zusammen arbeiten sie an der bislang umfangreichsten Studie über den Aufstieg der Afanasievo-Kultur und deren kulturellen Austausch mit indigenen Gemeinden der Altai-Region.
"Die meisten Siedlungen der Afanasievo wurden von späteren Bevölkerungen weiter genutzt, doch Nizhnyaya ist aufgrund von lokalen kulturellen Ablagerungen, durch Sedimente natürlich abgedichtet, einzigartig. Die tierischen Überreste und Artefakte aus Nizhnyaya Sooru sind besonders gut erhalten und ermöglichen uns dadurch, die Geschichte der ältesten Viehhirten dieser Region zu untersuchen", so Tishkin.
Mithilfe der Unterstützung der Wenner-Gren-Stiftung untersucht Hermes Genome, welche aus den Überresten von domestizierten Schafen, die in Nizhnyaya Sooru und weiteren Stätten der Afanasievo im Altai aber auch an gegenwärtigen Orten in der westlichen Steppe, Zentralasien und der Mongolei gewonnen werden konnten. Hermes greift hierfür auf ein ausgeprägtes Netzwerk aus internationalen Kollaborateuren*innen zurück, welche sein langjähriges Interesse an der Herkunft und der Ausbreitung des Pastoralismus in Asien teilen.
"Schafe als Herdentiere waren die erste Wahl der Afanasievo. Nachdem es uns gelang Molkenproteine im Zahnstein der Menschen nachzuweisen, wissen wir, dass sie diese zur Molkerei nutzten. Mithilfe der komplexen genetischen Vergangenheit dieser domestizierten Schafe versuchen wir nun, die Entstehung der Viehzucht im Altai und die anschließende Verbreitung des Pastoralismus auf dem ganzen Kontinent genauer zu untersuchen“, so Hermes.
Die Arbeiten in Nizhnyaya Sooru sind für den Sommer 2021 geplant – unter Berücksichtigung aktueller gesetzlicher Auflagen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie. Die paläogenomischen Forschungsarbeiten haben in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Christina Warinners ERC geförderten Projektes DAIRYCULTURES bereits begonnen.