Altertumswissenschaftler des Exzellenzclusters »Religion und Politik« der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) haben in der Südosttürkei eine seltene Badeanlage aus der römischen Kaiserzeit und eine prächtige Basilika der christlichen Spätantike erschlossen. »Unsere Grabungen in der antiken Stadt Doliche zeigen eindrucksvoll, wie eine Stadt im damaligen Nordsyrien über Epochen und Religionen hinweg in Blüte stand – von der hellenistischen Zeit über die christliche Spätantike bis in die frühislamische Epoche«, sagt Altertumswissenschaftler und Grabungsleiter Prof. Dr. Engelbert Winter vom Exzellenzcluster zum Ende der Grabungssaison. »Das mit wertvollen Mosaiken ausgelegte Bad entstand im 2. oder 3. Jahrhundert nach Christus, als es in Syrien, anders als im lateinischen Westen, nur wenige öffentliche Thermen gab. Schon ab dem 4. Jahrhundert nach Christus war es aber nicht mehr in Betrieb.« Die Menschen verließen die Stadt infolge von Kriegen und Wirtschaftskrisen. »Unter christlichen Vorzeichen begann eine neue Blüte: Die Basilika entstand und die Stadt – ursprünglich durch das Heiligtum des römischen Gottes Iuppiter Dolichenus bekannt und reich geworden – wurde Bischofssitz.«
Das Grabungsteam forscht seit 2001 im antiken Doliche, das im römischen Reich das Heiligtum des prominenten Stadtgottes Iuppiter Dolichenus beherbergte. Die Forscher legten bis 2016 Funde aus allen Epochen der 2.000-jährigen Geschichte des Kultplatzes frei. Seit dem vergangenen Jahr konzentrieren sie sich auf das benachbarte Stadtgebiet. »Doliche ist ideal, um exemplarisch die kulturelle, politische und religiöse Entwicklung einer Stadt im antiken Syrien zu untersuchen«, so Prof. Winter. Zunächst veränderte sich Doliche stark durch die Einbindung der Stadt in das Imperium Romanum. »Die Badeanlage zeigt, wie römische Sitten übernommen wurden und das Stadtbild prägten.« Mit rund 2.000 Quadratmetern war die Badeanlage von beachtlicher Größe. »Sie weist die für die römische Zeit typische Abfolge kalter, warmer und heißer Baderäume auf.« Ein etwa 150 Quadratmeter großer Raum mit Schwimmbecken wurde nun teils freigelegt, dazu Teile des Heizsystems unter dem Fußboden. Funde und Mosaike datieren die Anlage in das 2. bis 3. Jahrhundert nach Christus. Als das Bad im Zuge der Christianisierung niederging, wurde das Baumaterial aus Kalk und Marmor in einem großen Kalkofen verarbeitet und für Neubauten genutzt.
Zerstörung durch Erdbeben
In dieser Phase im späteren 4. Jahrhundert nach Christus wurde die neu entdeckte dreischiffige Basilika gebaut, wie der Forscher ausführt. »Die einsetzende Christianisierung veränderte die Binnengliederung der Stadt. Im sich wandelnden Stadtbild lässt sich eine neue christliche Identität ablesen.« Der Fund der Kirche stelle eine besondere Chance dar, da in dieser für das frühe Christentum hochbedeutenden Region nur sehr wenige innerstädtische Kirchenbauten archäologisch erforscht seien. In diesem Jahr angelegte Suchschnitte südlich der Kirche brachten vor allem Räume zu Tage, die die Forscher als Nebenräume und Anbauten des Kirchenkomplexes deuten. »Damit ist die Kirchenanlage viel weitläufiger als vermutet. Ihre weitere Freilegung verspricht, die Kenntnis des religiösen Lebens und der sakralen Architektur im spätantiken Nordsyrien bedeutend zu erweitern.« Weitere Funde aus dem Gebiet um die Kirche zeigen, dass sie im 7. Jahrhundert vermutlich durch ein Erdbeben zerstört wurde. Die Stadt selbst wurde schließlich im 12. Jahrhundert verlassen.
Ziel der weiteren Forschungen ist es, »ein hochauflösendes Bild der Stadt und ihrer Entwicklung« zu erhalten, so Prof. Winter. »Wir stehen hier vor einer gewaltigen Aufgabe, die wir mit aktuellen Methoden und Fragestellungen systematisch angehen. Dabei geht es weniger um die Freilegung prächtiger Bauten, als um möglichst präzise Informationen über die Lebenswelt der Menschen im Wandel der Zeiten«, ergänzt Assistenz-Professor Michael Blömer von der Universität Aarhus. »Was konsumierten die Bewohner, wie sah ihr Alltag aus, wie funktionierte die Wirtschaft? Und wie reagierte die Stadt auf Stresssituationen wie Kriege, Naturkatastrophen, aber auch politischen und religiösen Wandel?“
Die Forschungsstelle Asia Minor der Universität Münster feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen und veranstaltet aus diesem Anlass gemeinsam mit dem Department für Archäologie der Universität Leiden vom 29.11.-01.12.2018 eine internationale Tagung in Münster zum Thema »Beyond East and West. Hellenistic Commagene in its Local and Global Eurasian Context«.
Das Team unter der Leitung von Prof. Winter gräbt seit 2001 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in Doliche. Zum internationalen Team gehören Archäologen, Historiker, Bauforscher, Restauratoren, Archäozoologen und Anthropologen. Sie legten etwa die mächtigen Fundamente des ersten, eisenzeitlichen Heiligtums des Gottes von Doliche frei, monumentale Architekturfragmente des römischen Haupttempels des Iuppiter Dolichenus, aber auch weitläufige Ruinen einer bedeutenden byzantinischen Klosteranlage, die Anhänger des christlichen Glaubens nach dem Untergang des antiken Heiligtums an diesem Ort erbauten. Um das Grabungsareal einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wird an einem Archäologischen Park gearbeitet. Eng mit der Grabung vernetzt sind Prof. Winters Forschungen am Exzellenzcluster »Religion und Politik« über religiöse und kulturelle Austauschprozesse im antiken Nordmesopotamien und Nordsyrien.