Die Jenaer Archäologen vermuten, dass es sich bei dem neuen Fund um eine Grabplatte handelt. Hinweise auf die Datierung der Inschrift gab ein Geweih, das unmittelbar neben der Platte in einer Schuttschicht lag. »Das organische Material des Geweihs wurde mittels Radiokohlenstoffdatierung sicher in die Zeit um 390 n. Chr. datiert«, erklärt Grabungsleiter Dr. Dennis Graen von der Universität Jena. »Damit haben wir einen sogenannten terminus ante quem für die Inschrift, da sie entstanden sein muss, bevor sie mit dem Geweih in die Schuttschicht gelangte.«
Das bis dahin früheste Zeugnis jüdischer Einwohner auf dem Gebiet des späteren Portugal sei bislang ebenfalls eine Grabplatte mit einer lateinischen Inschrift und der Abbildung einer Menora – eines siebenarmigen Leuchters – aus dem Jahr 482 n. Chr. gewesen. Die frühesten bisher bekannten hebräischen Inschriften stammen aus dem 6. oder 7. Jahrhundert n. Chr.
Seit drei Jahren gräbt das Team der Universität Jena in Portugal eine römische Villa in der Nähe von São Bartolomeu de Messines (Silves, Algarve) aus, die Jorge Correia, Archäologe bei der Kreisverwaltung in Silves, vor einigen Jahren bei Prospektionsarbeiten entdeckt hatte. Ziel des Projektes ist es, herauszufinden, wie und wovon die Bewohner des Hinterlandes der römischen Provinz Lusitania lebten. Während die portugiesische Küstenregion schon gut erforscht ist, weiß man über diese Gebiete noch viel zu wenig. Der neue Fund gibt nun weitere Rätsel auf. »Eigentlich hofften wir auf eine lateinische Inschrift, als wir die freigelegte Marmorplatte umdrehten«, berichtet Grabungsmitarbeiter Henning Wabersich. Schließlich sei man bisher noch nicht auf Inschriften gestoßen und wisse kaum etwas über die Bewohner der Anlage. Um welche Sprache es sich genau handelte, konnten die Jenaer Altertumswissenschaftler erst nach langwierigen Nachforschungen sichern, da die Inschrift nicht besonders sorgfältig gearbeitet ist. »Nachdem wir zwischen Jena und Jerusalem nach Experten gesucht hatten, die uns bei der Entzifferung helfen konnten, kam der entscheidende Hinweis aus Spanien«, sagt Dennis Graen. »Jordi Casanovas Miró vom Museu Nacional d’Art de Catalunya in Barcelona – ein ausgewiesener Spezialist für hebräische Inschriften auf der Iberischen Halbinsel – ist sich sicher, dass hier der jüdische Name Yehiel zu lesen ist, der bereits in der Bibel erwähnt wird.«
Besonders ist dabei nicht nur das frühe Datum, sondern auch der Fundort, denn in einer römischen Villa seien bisher noch nie jüdische Funde gemacht worden, erklärt der Jenaer Archäologe. In der Regel schrieben Juden im Römischen Reich dieser Zeit eher Latein, aus Angst vor Repressalien. Hebräisch, wie auf der gefundenen Marmortafel, wurde erst wieder ab dem Niedergang der römischen Vorherrschaft bzw. in der anschließenden Völkerwanderungszeit ab dem 6. oder 7. Jahrhundert nach Christus verwendet. »Uns überrascht vor allem auch, dass wir ausgerechnet in einer ländlichen Gegend Spuren dafür gefunden haben, dass Römer – in diesem Fall wohl romanisierte Lusitanier – und Juden zusammenlebten«, sagt Dennis Graen. »Eher hätten wir das in einer Stadt vermutet.«
Informationen über die jüdische Bevölkerung in Portugal und der Umgebung im Allgemeinen lieferten bisher vor allem Schriftquellen. »Während des Konzils in der spanischen Stadt Elvira, das um 300 n. Chr. stattgefunden hat, wurden Regeln zum Zusammenleben von Juden und Christen erlassen. Es muss also damals auf der Iberischen Halbinsel schon eine größere Anzahl Juden gegeben haben«, erläutert Dennis Graen – nur fehlten bislang archäologische Beweise. »Uns ist auch bekannt, dass es im Mittelalter eine jüdische Gemeinde unweit unserer Grabungsstätte in der Stadt Silves gab, die bis zur Vertreibung der Juden im Jahr 1497 existierte.«
Im Sommer greifen die Jenaer Archäologen dann wieder zum Spaten. Bisher haben sie bereits 160 Quadratmeter der Villa freigelegt, Bodenerkundungen haben aber bereits verraten, dass der weit größere Teil der Anlage noch mit Erde bedeckt ist. »Wir wollen endlich mehr über die Menschen erfahren, die hier gelebt haben«, erklärt Graen das Vorhaben. »Und natürlich suchen wir auch nach Antworten auf die Fragen, vor die uns die hebräische Inschrift gestellt hat.«