Nach den Verwüstungen der beiden Weltkriege beruht die Haager Konvention auf der Überzeugung, dass "jede Schädigung von Kulturgut", unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem Volk, "eine Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit" bedeutet und "die Erhaltung des kulturellen Erbes für alle Völker der Welt von großer Bedeutung ist …, weshalb dieses Erbe unter internationalen Schutz zu stellen ist".
Das "Rote Kreuz" für das Kulturgut
Zum Auftakt der 1954 von der UNESCO einberufenen Konferenz brachte Luther Evans, damals Generaldirektor der UNESCO, seine Erwartung mit einem prägnanten Vergleich auf den Punkt: "Es ist heute unsere Aufgabe die Grundlagen zu legen für etwas, das ich das 'Rote Kreuz' für das Kulturgut nenne".
Die Haager Konvention, von 135 Staaten ratifiziert, ist heute Teil des humanitären Völkerrechts und trägt in vielfältiger Weise dazu bei, das kulturelle Erbe zu schützen und zu bewahren. Ihre Umsetzung und Einhaltung in bewaffneten Konflikten bleibt aber weiterhin eine große Herausforderung.
Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich zur Sicherung und Respektierung von Kulturgut im Sinne von Artikel 1 der Haager Konvention. Die umfangreiche Definition umfasst bewegliches und unbewegliches Gut, das für das kulturelle Erbe aller Völker von großer Bedeutung ist (z. B. Bau- und Kunstdenkmale, archäologische Stätten, Kunstwerke, Bücher, Archivalien und wissenschaftliche Sammlungen sowie Museen, Archive, größere Bibliotheken und Bergungsorte).
Die Haager Konvention enthält zwei Vorgaben: Zum einen müssen die Vertragsstaaten bereits in Friedenszeiten geeignete Maßnahmen im militärischen und im zivilen Bereich ergreifen, um Kulturgut im Falle eines bewaffneten Konflikts zu sichern. Dazu können auch die Erstellung von Verzeichnissen der geschützten Kulturgüter gehören und deren Kennzeichnung mit dem blauweißen Emblem der Haager Konvention. Zum anderen müssen die Streitkräfte in einem bewaffneten Konflikt Kulturgut respektieren und bei der Operationsplanung berücksichtigen. Diebstahl, Plünderung oder Zerstörung sowie die Beschlagnahme von Kulturgut sind verboten.
Vor dem Hintergrund anhaltender Zerstörung von Kulturgut in zahllosen bewaffneten Konflikten wurde 1999 ebenfalls in Den Haag das Zweite Protokoll zur Haager Konvention verabschiedet, das im Jahr 2004 in Kraft getreten ist. Damit wurde die Schutzkategorie "verstärkter Schutz" eingeführt und der Geltungsbereich auf nicht-internationale Konflikte erweitert. Außerdem können erstmals Verstöße gegen die Haager Konvention national justitiabel gemacht werden. Deutschland hat das Zweite Protokoll im Jahr 2009 ratifiziert.
Die Umsetzung in Deutschland
In Deutschland ist der Kulturgutschutz Teil des Zivil- und Katastrophenschutzes. Beispielsweise wird Archiv- und Bibliotheksgut von nationaler Bedeutung verfilmt und die Filme im zentralen Bergungsort sicher gelagert. Personal in Museen, Archiven und Bibliotheken wird für den Kulturgutschutz ausgebildet, die Öffentlichkeit wiederum für den Schutz des Kulturerbes durch Publikationen und Veranstaltungen sensibilisiert.
Allerdings gab es von Anfang an auch Vorbehalte gegen die Erstellung von Verzeichnissen und Kennzeichnung geschützter Kulturgüter.
Der Umsetzungsprozess verläuft weiterhin schleppend. Die Frage der Priorisierung von Objekten und die Kriterien dafür sowie ihre Gefährdung als mögliche "Zielscheiben" werden bis heute als Argumente gegen die Erfassung und Kennzeichnung vorgebracht. Die Umsetzung bedarf deshalb weiterhin einer intensiven fachlichen Begleitung.
Aus Anlass des 70-jährigen Bestehens der Haager Konvention richtete die UNESCO vom 13. – 15. Mai eine internationale Konferenz zu Kulturerbe und Frieden aus. "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt die Aktualität und Bedeutung, die die Haager Konvention für den Schutz von Kulturgut hat. Aufgrund der Bedrohung hat die UNESCO die Welterbestätten von Odessa, Lwiw und Kyjiw im vergangenen Jahr auf die Liste des gefährdeten Erbes setzen müssen. Alle Vertragsstaaten sind nachdrücklich aufgefordert, die völkerrechtlichen Vereinbarungen einzuhalten, die sich aus der Haager Konvention ergeben", so Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission.
Blue Shield International ist im Zweiten Protokoll als Beratungsorganisation aufgeführt, versteht sich als Anwalt für den Schutz des kulturellen Erbes und setzt sich für die verstärkte Implementierung der Haager Konvention insbesondere in Deutschland ein. Blue Shield wurde 1996 von den großen internationalen Archiv-, Denkmal-, Bibliotheks- und Museumsverbänden gegründet, um der Haager Konvention und ihren beiden Protokollen zu einer besseren Implementierung zu verhelfen und folgt dabei den Prinzipien strikter Neutralität und Unabhängigkeit. Blue Shield ist heute eine international agierende Organisation mit weltweit 30 Nationalkomitees.
Dazu Matthias Wehry, Präsident von Blue Shield Deutschland: "Vor dem Hintergrund aktueller bewaffneter Konflikte und Bedrohungslagen sowie von Katastrophen halten wir es für dringend notwendig, die Diskussion über die Umsetzung dieser wichtigen Konvention auch und gerade im 70. Jubiläumsjahr gemeinsam mit den am Kulturgutschutz beteiligten zivilen Behörden und Verbänden sowie militärischen Stellen neu zu führen."