500 Jahre Reinheitsgebot: Die Kelten kannten es nicht – und brauten trotzdem hochwertig
Die Spelzgerste machte den Geschmack des dunklen und rauchigen Bieres, und die obergärigen Hefen brachten zusammen mit Milchsäurebakterien einen säuerlich spritzigen Geschmack hinzu, der im Sommer bei heißen Temperaturen Abkühlung versprach. Abgemildert hat die Komposition eine leichte Karamell-Note im Abgang, verursacht durch Kochsteine. Gewürzt wurde mit Beifußkraut und Möhrensamen. Geschmacklich unterscheidet sich das Kelten-Bier von den heute bekannten Biersorten. Doch schon die Kelten legten Wert auf eine hohe Qualität ihrer Produkte, schlussfolgert Dr. Hans-Peter Stika vom Institut für Botanik der Universität Hohenheim.
Ausgrabungen in Hochdorf und Berlin
Derzeit untersucht Dr. Stika in Berlin zwei Ausgrabungsstellen. Auf der Fischerinsel – heute besser bekannt unter dem Namen Museumsinsel – haben die Forscher größere Mengen an Gerstenmalz zusammen mit den Rohfrüchten Roggen und Hafer entdeckt. Dort wurde wohl ein Mischbier aus Gerste, Roggen und Hafen gebraut. Einen weiteren Malzfund von Spelzgerste und einen Hopfengarten untersuchen die Wissenschaftler in der Wüstung Diepensee unter dem neuen Flughafen BER. Alle Funde stammen aus dem 12. bis 14. Jahrhundert und verweisen auf Malzherstellung im Zuge von Brauvorgängen.
Die Untersuchungen im mittelalterlichen Berlin laufen noch, Theorien werden geprüft, Bodenproben analysiert. Die Ausgrabung und Untersuchung einer frühkeltischen Ausgrabungsstätte in Hochdorf hingegen ist bereits abgeschlossen – und liefert erstaunliche Erkenntnisse. »Bei Ausgrabungen legten wir Gräben frei, die vermutlich Teile einer Bierbrauerei waren«, erklärt der Experte der Universität Hohenheim. »Diese Gräben wurden wohl zuerst zum Ankeimen der Gerste genutzt. Das dadurch entstandene Grünmalz konnte dann auf einem Aufbau über den Gräben, die so zudem auch als Darren genutzt worden waren, getrocknet werden. Bei einem Schadfeuer verkohlten die angekeimten Gerstenkörner und blieben bis in unsere heutige Zeit erhalten.«
Gärung durch Hefen
Anhand der Funde konnten die Wissenschaftler das Bierbrauen der Kelten nachempfinden, so Dr. Stika. »Das Kelten-Bier unterscheidet sich im Geschmack von unseren heutigen Bieren. Die Kelten wussten einfach nichts über Hefe und ihre Wirkung, sie vertrauten der Spontangärung durch wilde Hefestämme. Die Gärung stellte sich durch Hefeverunreinigungen an den Gefäßen, Rührern und Schöpfkellen aus Holz ein. Anders als in den neuzeitlichen Braukesseln aus Kupfer und Stahl erfolgte das mittelalterliche Brauen in Holzgefäßen nicht unter sterilen Bedingungen. So konnten sich neben Hefen auch Milchsäurebakterien an der Gärung beteiligen. Selbst geringe Mengen an Milchsäure konnten das fertige Keltenbier für längere Zeit haltbar machen.«
»Ob die frühen Kelten durch Zugabe süßer Früchte oder Honig – beides kann natürlicherweise wilde Hefen tragen – eine Spontangärung absichtlich in Gang brachten, entzieht sich unserer Kenntnis. Dazu liegen keine Bodenfunde vor«, so der Experte.
Das Kelten-Bier aus dem Holzkessel
Seinen eigentümlichen Geschmack bekam das Kelten-Bier durch seine Würzmischung aus Beifuß und Möhrensamen anstatt Hopfen und durch die andere Zubereitungsart. »Das Bier der Kelten war rauchig und säuerlich, aber sehr erfrischend. Wir vermuten, dass ein Teil dieses Geschmackes von der Trocknung der angekeimten Gerstenkörner über dem offenen Feuer herrührt. Ein anderer Teil wurde vermutlich durch den Brauvorgang selbst verursacht.« Bier brauten die Kelten nämlich in Holzgefäßen. Sie legten heiße Steine in das Gebräu und erhitzten es so langsam. »All diese Dinge zusammen geben einen besonderen Geschmack, der mit heutigen Bieren nicht zu vergleichen ist.«
Älteste Bierbrauerei Deutschlands
Obwohl das deutsche Reinheitsgebot in diesem Jahr erst seinen 500. Geburtstag feiert und vor 2.500 Jahren noch keine Rolle spielte, könnte das Keltenbier damals gut geschmeckt haben. »Unsere Untersuchungen des Keltenmalzes haben ergeben, dass es eine hohe Qualität besaß. Das spricht dafür, dass die Bierbrauer in der freigelegten Hochdorfer Brauerei viel Erfahrung beim Malzen hatten.«
»Die Darren in Hochdorf gehörten zur ältesten Brauerei, die bislang bei archäologischen Ausgrabungen in Deutschland gefunden wurde. Eine Hochrechnung ergab, dass das gefundene Braumalz von Hochdorf mindestens zum Brauen von ca. 750 bis 1.000 Liter Bier mit einem heute üblichen Alkoholgehalt von etwa 5 Prozent ausreichte. Das ist eindeutig zu viel für ein feuchtfröhliches Wochenende im Rahmen der Familie.«
Die Kelten: zeremonielle und organisierte Bierbraumeister
Die wahrscheinlichste Theorie: In Hochdorf wurden große Mengen Gerstenmalz hergestellt, die im Rahmen von rituellen oder zeremoniellen Festivitäten für eine Gemeinschaft zu Bier gebraut wurden. »Am Fuße des Fürstengrabhügels unweit der Keltensiedlung haben wir auch mehrere Gar- und Kochgruben entdeckt. Rituelle Ess- und Trinksitten am Grab der Ahnen scheinen das wahrscheinlichste Szenario zu sein, um diese Bodenfunde zu erklären.«
Auch anhand der Menge der Gerste lassen sich Schlussfolgerungen ziehen: »Wir vermuten, dass die Spelzgerste besonders zum Brauen angebaut wurde. Anders als in römischen Schriftquellen oft dargestellt können wir sagen, dass die Kelten keineswegs unkoordinierte Barbaren waren, auch nicht in der Landwirtschaft. Sie hatten ein durchdachtes Anbausystem, nutzen die fruchtbaren Böden der Gegend und düngten diese, um den größtmöglichen Nutzen und Ertrag zu gewährleisten. Die Wälder im Neckarbecken waren Großteils gerodet, eine große Fläche wurde für Pflanzenanbau genutzt.«
Die ersten Bierbraumeister der Geschichte waren die Kelten aber nicht: Bereits die alten Ägypter stellten Bier in abgeänderter Form her, indem sie halb fertig gebackenes Brot aus Malz mit Wasser vergärten. Und auch die Römer kannten das aus Getreide hergestellte Gebräu, hielten sich jedoch lieber an den Wein, zumindest wenn man den schriftlichen Quellen Glauben schenkt. Denn für sie war Bier nicht mehr als das Getränk der Germanen – und damit der Barbaren.