3.000 Jahre alte DNA zeigt gewaltige Mobilität im Römischen Reich

Menschen dieser Zeit waren vermutlich die ersten in der Geschichte, die in ihrem Leben einen ganzen Kontinent bereisten.

Um Migration und Interaktion vor tausenden von Jahren zu verstehen, war die Wissenschaft bis dato vor allem auf archäologische und historische Daten angewiesen. Nun erlaubt die Analyse der DNA tausender Individuen aus der Antike spektakuläre neue Einblicke in diese Epoche.

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Römische Kaisernekropole auf der Isola Sacra
Die monumentale römische Kaisernekropole auf der Isola Sacra (Fiumicino, Rom): Die Nekropole diente der Stadt Portus, dem Hafen von Rom und damit dem wichtigsten Knotenpunkt des Handelsnetzes des Reiches. Auch hier wurde Genmaterial erhoben. Copyright: Parco Archeologico di Ostia Antica - archives, Italy

Die Daten zeigen etwa, wie vielfältig die Bevölkerung vieler Gebiete des Römischen Reichs waren: Mindestens 8 % der in die Studie einbezogenen Personen stammten ursprünglich nicht aus dem Gebiet Europas, Afrikas oder Asiens, in dem sie begraben wurden. Ron Pinhasi von der Universität Wien war als Co-Leiter an der Studie beteiligt, die kürzlich im renommierten Fachmagazin elife publiziert wurde.

Während der tausendjährigen Herrschaft des Römischen Reiches begannen die verschiedenen Völker, sich auf neue Weise zu verbinden – durch Handelswege, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit und gemeinsame militärische Unternehmungen. Ein internationales Team unter der Leitung von Forscher*innen der Stanford Medicine und Co-Leitung von Ron Pinhasi von der Universität Wien hat nun genetisches Material aus antiken Skeletten analysiert, um ein detailliertes Bild der Reise- und Migrationsmuster während der Blütezeit des Reiches zu erstellen.

In der Studie konzentrierten sie sich auf ein engeres Zeitfenster – vom Ende der Eisenzeit vor 3.000 Jahren bis zum Mittelalter –, untersuchten dafür aber ein geografisches Gebiet, das das gesamte Römische Reich umfasst. So konnten sie schließlich auch nachzeichnen, wie vielfältig unterschiedliche Regionen im Vergleich zueinander bevölkert waren. Geografisch isolierte Gebiete, wie das armenische Hochland, das von Bergen umgeben ist, waren am wenigsten divers. Insgesamt gab es jedoch in den meisten Gebieten des Römischen Reiches Skelette unterschiedlicher genetischer Herkunft. Zu den besonders vielfältig bevölkerten Gebieten gehörten Sardinien, der Balkan und Teile Mittel- und Westeuropas.

Um besser zu verstehen, welche Gebiete miteinander verbunden waren, führte das Team eine umfassende Analyse der Knochenfunde durch, deren genetische Abstammung nicht mit dem Fundort übereinstimmte – was darauf hindeutet, dass sie oder ihre jüngsten Vorfahren gereist oder gewandert waren. »So konnten wir zeigen, dass es unter den Menschen, die nicht aus dem Gebiet stammten, in dem sie gefunden wurden, gemeinsame Abstammungsmuster gab«, erklärt Pinhasi. Menschen, die in Großbritannien und Irland gefunden wurden, stammten beispielsweise mit großer Wahrscheinlichkeit aus Nord- oder Mitteleuropa und weit weniger wahrscheinlich aus Südwesteuropa oder Nordafrika.

»Die Ausdehnung des Römischen Reichs war ein gewaltiges Unterfangen, das Tausende von Truppen mit Handel, Arbeit, Sklaverei und Zwangsumsiedlung erforderte«, so Clemens Weiss, ebenfalls Co-Leiter der Studie, PhD an der Stanford Medicine und ein ehemaliger Postdoktorand von Jonathan Pritchard, einer der Hauptautor*innen der Studie. »Mit der Ausdehnung des Reiches wurden immer mehr Menschen angezogen und die Mobilität über ganze Kontinente hinweg erhöht«, so Weiss. Während die meisten Analysen antiker DNA eine Streuung der Bevölkerung über viele Generationen hinweg erkennen lassen, zeigen die neuen Ergebnisse, dass viele Menschen dieser Zeit während ihres Lebens große Entfernungen zurücklegten. Die Schlussfolgerung daraus: »Das waren vermutlich die ersten Menschen in der Geschichte, die jemals einen ganz Kontinent bereist haben«, erklärt Ron Pinhasi.

Umfangreiche Datengrundlage

In der Studie wurden vorhandene DNA-Daten von Tausenden von Skelettfunden aus dem Römischen Reich sowie aus Mitteleuropa, Osteuropa und Zentralasien, Großbritannien und Nordeuropa sowie Nordafrika analysiert. Zusätzlich sequenzierten die Wissenschafter*innen 204 neue Genome aus 53 archäologischen Stätten in 18 Ländern. Die meisten stammten von Personen, die in der Zeit des kaiserlichen Roms und der Spätantike, vom ersten bis zum siebten Jahrhundert v. u. Z., gestorben sind.

Die neuen Daten gaben den Forschenden jedoch auch ein Rätsel auf: Hätten sich die Menschen im untersuchten Zeitraum weiterhin so schnell fortbewegt, wären die regionalen Unterschiede allmählich verschwunden. Die Genome der Menschen in Osteuropa zum Beispiel hätten sich nicht mehr von denen in Westeuropa und Nordafrika unterscheiden lassen und umgekehrt. Die meisten dieser Populationen sind jedoch – auch heute noch – genetisch unterschiedlich. Die Hypothese der Wissenschafter*innen dazu: Die Mobilität der Menschen ging mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches drastisch zurück. »Es gibt nicht genügend Daten aus dieser Zeit, um das mit Sicherheit sagen zu können – das wird nun Inhalt nachfolgender Studien sein«, so Pinhasi.

Publikation

Margaret L. Antonio, Clemens L. Weiß, Jonathan K Pritchard et al.

Stable population structure in Europe since the Iron Age, despite high mobility.

eLife. 30.01.2024
DOI: 10.7554/eLife.79714
https://elifesciences.org/articles/79714