Geköpft, gerädert, gehenkt:

Was am Richtplatz geschah

veröffentlicht am
AusgrabungenFunde & BefundeBrandenburgMittelalterNeuzeitGesellschaft

Die gleichnamige Dokumentation, die das ZDF am 18.11.2018 erstmalig in seiner Sendereihe ZDF History ausstrahlte, zeigt ein steigendes Interesse an den archäologischen Befunden und damit an den Dokumentationsmöglichkeiten einer längst vergangenen Justiz. Dies insbesondere an den Plätzen der Ausübung der richterlichen Gewalt. Denn neben verschiedenen baulichen Anlagen wie Galgen und Schafott, deren Überreste als Pfosten oder Fundamente noch im Boden erhalten sein können, gibt es zahlreiche Individuen, die »unter dem Galgen« verscharrt wurden.

In erster Linie handelt es sich um jene Opfer, die durch eine unehrliche Strafe: das Hängen, Rädern, Vierteilen, Lebendigbegraben oder Verbrennen, zu Tode kamen. Aber auch Menschen anderer Glaubensrichtungen, Mitglieder randständiger Berufsgruppen oder Fremde wurden mitunter hier begraben. Insbesondere Selbstmörder fanden dort ihre letzte Ruhe.

Inwieweit tatsächlich sichere Aussagen zu Vollstreckungen von Todesarten, zu Bestattungen von Suizidenten, zu apotropäischen Praktiken und zur Nutzung dieser Richtplätze allgemein zu treffen sind, wird im Folgenden anhand der durchgeführten Grabungskampagne auf dem Galgenberg in Bad Belzig vorgestellt.

Nun sind Befunde zu Richtstätten in Deutschland rar. Lediglich ein Richtplatz aus dem 10.-12. Jh. liegt bislang vollständig ergraben vor (Alkersleben). Weitere Fundsituationen erfassen  begrenzte  Ausschnitte und Einzelfunde, deren Deutung und Interpretation mitunter Schwierigkeiten bereiten. 

Der Galgenberg in Bad Belzig zählt zu den bedeutendsten Fundplätzen Deutschlands. Bereits 2014 wurde hier eine erste Grabungskampagne gemeinsam mit der Studenten der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Europa Universität Viadrina Frankfurt/O. durchgeführt. 2017 war durch den orkanartigen Herbststurm Xavier eine kurze Rettungsgrabung notwendig geworden. Die Ergebnisse erscheinen erstaunlich breit gefächert, so dass 2018 erneut eine Grabungskampagne durchgeführt wurde. Die anthropologische und archäologische Auswertung ist noch in Arbeit, so dass nachfolgend nur einige der Ergebnisse zudem als vorläufig veröffentlicht werden.

Grabhügel der Lausitzer Kultur

Die ersten Menschen, die den Berg für die Beisetzung ihrer Toten nutzten, dürften im nahe gelegenen heutigen Bad Belzig gewohnt haben. Eventuell gehörte der Grabhügel sogar zur Siedlung der Lausitzer Kultur, die in einiger Entfernung am Hügelfuß 2012 fragmentarisch freigelegt wurde.

Bereits 2014 wurden zahlreiche zerscherbte Urnenreste, Leichenbrand mit erhaltenen Knochenfragmenten, Keramikbruchstücke und Silexabschläge in gestörter Lage geborgen. 2018 gelang die Bergung eines ungestörten Grabensembles, das auf einer Kieselsteinpflasterung gemeinsam mit einer Tasse von einem umgedreht stehenden bauchigen Gefäß geschützt wurde. Zahlreiche Beigefäße lassen darauf schließen, dass vorliegend möglicherweise die elitäre Zentralbestattung des Grabhügels, noch heute auf der Hügelkuppe und nur wenige Zentimeter unter der Geländeoberkante liegend, erfasst wurde.

Der Zusammenfall einer  urgeschichtlichen sowie mittelalterlich/neuzeitlichen Nutzung der Hügel zur Ablage der Toten ist kein Einzelfall. Doch steht hier die Frage nach der bewußten Nutzung dieser Plätze. War es tradiertes Wissen um unchristliche Grabstätten? Oder machte es vielmehr die Hügelsituation möglich, den Galgen als Zeichen politischer Selbstbestimmung an exponierter Lage zu errichten?

Die Justiz in Belzig – schriftliche Quellen

Der Galgenberg befindet sich nordwestlich von Belzig an der alten Strata publica, die bereits 1348 erwähnt wird. Im kartographischen Material kann der Richtplatz erst ab dem 19. Jh. als »Galgenberg« verortet werden.

Belzig selbst kann auf eine lange Geschichte zurück blicken. Bereits 997 erwähnte Kaiser Otto III. den Ort »belizi« in einer Urkunde. Doch die schriftlichen Quellen zur mittelalterlichen Justiz  setzen erst später ein. So werden im 14. Jh. von einer  strengen Obrigkeit Wegelagerer liquidiert, jedoch ist nicht sicher, ob dies schon auf dem Galgenberg geschah. Erst ab 1532 mehren sich die deskriptiven Hinweise auf mannigfaltige Straftaten: Mord an einem schwangeren »Weibstück«, »vilfeltiger« Diebstahl, Kirchendiebstahl,  Zauberei  und Hexerei, Brandstiftung und Totschlag. Nicht immer sind den Delikten Strafen gegenübergestellt, doch enthalten einige Schilderungen die der Constitutio Criminalis Carolina (Strafgesetzbuch 1532) entsprechenden Strafen wie Hängen, Rädern, Verbrennen und Enthaupten.

Belzig brauchte einen neuen Galgen

Eigentlich brauchte Jüterbog im Jahre 1674 einen neuen Galgen. Doch da man dort nicht wusste, wer denn nun den ersten Axthieb am Holz vollziehen sollte, wandte man sich ratsuchend an Belzig. Zehn Jahre zuvor war dort ein dreischläfriger Galgen aus Eichenholz errichtet worden. Archäologische Relikte dieser Galgenanlagen lassen sich im Boden nicht immer eindeutig nachweisen. Ein steinernes Fundament, wie in Luzern/Emmenbrücke nachgewiesen, steht bislang singulär. Häufiger sind es Pfostengruben, die gegenüberliegend einen zweischläfrigen oder dementsprechend einen drei- bzw. vierschläfrigen Galgen belegen. Da in Belzig drei schwere Eichenbalken transportiert wurden, erwartete man im archäologischen Befund auch eine dreieckige Anordnung von Pfostenlöchern. Bereits 2014 wurden mehrere größere Pfostengruben mit zum Teil gewaltigen Keilsteinen dokumentiert. Hinzu kam der Fund eines gut erhaltenen Pfostenfragments, dessen Fälldatum dendrochronologisch in die Zeit um 1647 weist. Damit bestätigt der Eichenpfosten die Neuerrichtung eines Galgens im Jahr 1664. Weitere entsprechende Pfostengruben wurden 2018 angetroffen. Die Auswertung dauert noch an, doch lassen sich schon jetzt zwei unterschiedliche Galgenphasen im Befund erkennen.

Umschlungen vom Wurzelwerk

Im Oktober 2017 verwüstete das Sturmtief Xavier große Landstriche nicht nur in Brandenburg. .In der Ausrissgrube eines entwurzelten Baumes lag zahlreiches verlagertes humanes Knochenmaterial. Ein besonders beeindruckender Fund befand sich im Freien oberhalb der Grube: ein Schädel hing fest umschlungen vom Wurzelgeflecht in mitten der Wurzel, weitere Fragmente waren im übrigen Wurzelgespinst verhaftet. Die Begutachtung ergab einen adulten Mann, dessen Todesursache jedoch nicht feststellbar war.

Die Anschlussgrabung von 2018 ergab an eben jener Ausrissgrube eine Ansammlung von Knochen, die ungeordnet in die Grube geworfen waren. Die Eintiefung zog am Grabungsrand weiter in das Profil, die Knochengrube setzt sich im Anschlussareal fort. Bislang ist keine eindeutige Angabe zur Anzahl der dort verlochten Opfer zu treffen, es dürften aber mehr als zwei unterschiedliche Personen gewesen sein. Vorliegend handelt es sich wohl um eine Verlochungsgrube zur Entsorgung von Leichenteilen, die infolge Verwesung oder Tierfraß von Galgen oder Rad gefallen waren und im Zuge periodischer Aufräumarbeiten hier hinein verbracht wurden.

Durch das Schwert enthauptet

Zu den bekanntesten Nachweisen der Todestrafen zählt die Enthauptung. Allein die Verlagerung des Schädels lässt bereits beim Ausgraben erkennen, wie das Opfer ums Leben gekommen ist. Zwei Urteile aus Belzig beinhalten sicher den Tod durch die Dekapitation. Zum einen traf es 1698 einen Mann, der sich offensichtlich zweier Delikte strafbar gemacht hatte: Ehebruch und Mord an einer schwangeren Frau. Die Strafe war besonders hart, denn nach der Enthauptung folgte das Flechten durch die Speichen eines Rades. Wie lange das Rad mit dem darauf liegenden Opfer ausgestellt wurde, ist heute nicht mehr zu sagen. Doch möglicherweise fiel der Körper in Einzelteilen herab und stellt einen der Funde in der oben bereits erwähnten Verlochungsgrube dar.

Der zweite Fall betrifft den Webermeister Bräckow, dessen Enthauptung am  30. März 1846  zugleich die letzte öffentliche Hinrichtung in Belzig war. Er hatte seine Mitbewohnerin, die Witwe Schmeckebier erwürgt und anschließend aufgehängt, damit »es scheinen solle, als habe sie sich selbst erhängt«. Das erste Urteil, rädern von unten auf, wurde 1846 von Friedrich Wilhelm IV. eigenhändig in eine Dekapitation durch das Beil umgeändert.

Eine mißlungene Hinrichtung

Ob es sich bei dem 2018 in Rückenlage  aufgefundenen teilerhaltenen männlichen Individuum, dem der Schädel im Brustbereich beigegeben wurde, um Bräckow handelt, ist mehr als fraglich. Zum einen erscheint es schwierig bis unmöglich, eine Verbindung zwischen schriftlicher Quelle und dem aufgefundenen Individuum herzustellen, zum anderen brachte das Säubern der oberhalb des Skeletts verstreut aufgefundenen Knochenfragmente einen erstaunlichen Befund zu Tage. Zwei Brustwirbel besitzen zueinander passende tiefe Hiebspuren. Anzunehmen ist, dass das Opfer sich bewegte, sei es, um auf einen Zuruf aus der Schar der Zuschauer zu reagieren oder sich gegen die Enthauptung zu wehren. Erst ein dritter Hieb erbrachte wohl die erfolgreiche Trennung von Kopf und Rumpf. Beigefundene Keramik datiert das Grab in die frühe Neuzeit.

Mit Anteilnahme bestattet. Selbstmörder auf dem Richtplatz?

Zu den äußerst seltenen Funden auf den Richtplätzen zählen Sargbestattungen – waren die Galgenberge doch üblicherweise für unehrenhaftes Volk, für arme Sünder vorgesehen, deren Einbringen im Boden beim heutigen Ausgraben eher an das Verscharren von Tierkadavern erinnert. Von Anteilnahme und sorgfältiger Beisetzung ist beim Großteil der Grabgruben nichts zu erkennen. In Bad Belzig befand sich ein männliches adultes Skelett in Rückenlage west-ost orientiert mit an den Seiten gestreckt verlaufenden Armen. Holzreste waren oberhalb und als viereckig verlaufende Sarglinie im Grab erkennbar. Im unteren Bereich war das Holz nur noch als Schatten vorhanden. Hier war jemand mit Sorgfalt und Anteilnahme zur letzten Ruhe gelegt worden. Da bei der Bergung keine Besonderheiten am Knochenmaterial aufgefallen sind, könnte man vordergründig auch aufgrund des Sarges an diesem Ort auf die Grablege eines Selbstmörders schließen. Eine weitere, beinahe fürsorglich gebettete Bestattung wurde bereits 2014 freigelegt. Der 30-40 Jahre alte Mann war rechtsseitig west-ost orientiert mit dem Arm unter dem Kopf in Schlafstellung begraben worden. Hier  ließen sich anthropologisch bis auf einen unklaren Bruch im Halswirbelbereich keine Besonderheiten feststellen. 

Unauffällige Körperlage und/oder eine abweichende Bestattungssituation, wie z.B. Fesselung, können auf Richtstätten auch immer für einen (suizidalen) Tod durch Erhängen sprechen. 
Ein Blick in die Belziger Quellen  zeigt in der Tat einen Selbstmord: Niete Heserig, eine Frau, war 1598 der Zauberei angeklagt und beging am 2. Februar des Jahres Selbstmord. Sie wurde »beim Gericht« begraben. 
So stammen die beiden Männer demnach aus bislang noch unbekannten Quellen. Mangels Fundmaterials auch aus nicht näher zu datierenden Zeiten. Ihre Ablage auf dem Richtplatz bestätigt die mittelalterliche neuzeitliche Praxis, auch den Suizidenten die letzte Ruhe nur auf den ungeweihten Plätzen der Justiz zu gewähren.

Fesselung, Steine und besondere Funde

Möglicherweise ebenfalls durch den Strang könnten weitere Individuen auf dem Belziger Galgenberg zu Tode gekommen sein. So wurden drei Opfer in geringem Abstand zueinander begraben. Zwei Männer, zwischen 20 und 40 Jahre alt, waren wohl zeitgleich in Rückenlage übereinander (Kopf an Fuß) in eine gemeinsame Grabgrube gelegt worden. Ihr Erhaltungszustand war sehr schlecht, so dass nur noch die Position der Arme des zuunterst liegenden Individuums sicher bestimmt werden konnte. Sie lagen unter dem Becken. Dies spricht für eine Fesselung der Hände, wie sie auf zahlreichen zeitgenössischen Darstellungen beim Erhängen dargestellt wird. Die Grube wird in das späte Mittelalter datiert. Das dritte Individuum lag in Seitenlage, die Arme hinter dem Rücken übereinander gelegt. Geschlecht und Datierung sind unbestimmt, doch lässt die Lage der Hände hier ebenfalls eine Fesselung erkennen. Dies spricht dafür, dass zumindest zwei der aufgefundenen Opfer den Tod durch Erhängen erlitten. 1691 wird Caspar Rießler in Belzig wegen Diebstahls gehangen, aber sein Körper geht zur Anatomie nach Wittenberg. Der einzige Fall, in dem deutlich der Strang als Todesart erwähnt wird.

Möglicherweise ebenfalls den Tod durch den Strang erlitt das männliche erwachsene Individuum, das 2018 die Ausgräber am Rande des Grabungsareals erwartete. In west-ost orientierter Rückenlage mit sehr schlecht erhaltenen Knochen war der Mann in einer großflächigen Grube bestattet worden. Dort lag er jedoch nicht allein. Mindestens zwei weitere Individuen, deren Knochen teilweise verstreut und nicht im anatomischen Verband lagen, leisteten ihm Gesellschaft. Als besonders auffallend erscheint die massive dichte Steinpackung, die über dem männlichen Individuum errichtet war. Fast scheint es so, als ob der Mann am Rande des Profils daran gehindert werden sollte, seine Grube zu verlassen.

Die ausgewählten Beispiele zeigen, dass eine erhebliche Diskrepanz  zwischen den schriftlichen und archäologischen Quellen besteht. Deutlich wird, welch immense Bedeutung hierbei insbesondere den in situ Lagen zukommt. Gerade bei anthropologisch unauffälligen Befunden offenbaren sie Indizien, die nähere Rückschlüsse auf die Umstände des Todes erlauben.

Doch in Belzigs Boden ruht weit mehr. Hier eine umfassende Aufnahme der Individuen zu erstellen, sie nach Alter, Herkunft und Geschlecht zu analysieren und ihre anthropologischen Auffälligkeiten mit den archäologischen Befunden zu subsumieren, ergäbe die einzigartige  Möglichkeit, detaillierte Aussagen zum Umgang mit Verurteilten und aus der Gesellschaft ausgestoßenen Menschen der mittelalterlich-neuzeitlichen Justiz zu erstellen.

Literatur

Genesis M. (2014) »Das Gericht« in Alkersleben –  archäologischer und historischer Nachweis einer mittelalterlichen Richtstätte in Thüringen unter Hinzuziehung anthropologischer Analysen. Langenweissbach, 2014.

Genesis M. (2018) Archäologie der Angst. Apotropäische Praktiken auf den Richtstätten des Mittelalters und der Neuzeit als Zeichen von Aberglauben .In: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Heft 31,Paderborn 2018, 123-134.

Genesis M. (2016) Gehenkt, geköpft und verscharrt, Richtstättenarchäologie auf dem Galgenhügel bei Bad Belzig, Lkr. Potsdam-Mittelmark. In: AiBB 2014, 146-149.

Video zu den Ausgrabungen

Video über die Ausgrabungen auf dem Galgenberg in Bad Belzig im Jahr 2018

Erhängt und sorgsam bestattet
Was bleibt aus archäologischer Sicht von einer mittelalterlichen und neuzeitlichen Richtstätte übrig? Mit dieser Frage beschäftigt sich Marita Genesis in ihrer Dissertation und berichtet von der diesjährigen Ausgrabung des Richtplatzes von Alkersleben in Thüringen.
AusgrabungenDeutschlandMittelalterNeuzeitGesellschaftMittelalterarchäologie
Lesen