Die Ausstellung: Rätsel Schnippenburg
Fünf Jahre lang hat die Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück die Schnippenburg bei Ostercappeln erforscht, und viele Überraschungen kamen währenddessen zutage. Schon die ersten Funde im Jahr 1999 erwiesen sich als spektakulär, denn zu diesem Zeitpunkt waren die eisenzeitlichen Metallfunde im gesamten Landkreis Osnabrück sehr spärlich. Die Prospektionen im Zeitraum von 2001 bis 2004 erbrachten fast 2000 Metallobjekte, die dem eisenzeitlichen Fundhorizont zugerechnet werden können. Im Zuge der Grabungen kamen mehrere tausend Keramikfunde und Steinobjekte hinzu. Viele der Funde sind nur fragmentarisch erhalten. Etliche Stücke spiegeln allerdings in bisher nicht gekannter Qualität die modischen Vorstellungen, die Bewaffnung und die Alltagsgeräte des 3. Jh. v.Chr. wider. Ein Großteil der bisherigen nordwestdeutschen Funde dieser Zeitstufe stammt aus Gräbern und ist stark deformiert, da die Toten mit ihrer Tracht auf Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Welchen Hintergrund haben nun die Funde von der Schnippenburg, einer Befestigungsanlage im Wiehengebirge, gelegen auf einem Geländesporn, versteckt zwischen zwei Gebirgskämmen im Norden und Süden? Diesem Rätsel widmet sich die Ausstellung. Sie vollzieht die Erforschung des Fundplatzes nach, von den ersten Funden im "Wald der Fragen" über die zentralen Themen der Epoche im "Studierzimmer", die Ausgrabungen im "Grabungszelt", die naturwissenschaftlichen Untersuchungen im "Labor" bis hin zur "Lichtung der Antworten", wo alle Funde und Fakten umfassend präsentiert werden. Der Besucher ist eingeladen mitzuforschen und dem "Rätsel Schnippenburg" auf die Spur zu kommen.Während den bedeutenden keltischen Fundplätzen im süddeutschen Raum in den vergangenen Jahren zahlreiche Ausstellungen gewidmet waren, rückt hier zum ersten Mal ein eisenzeitlicher Fundplatz aus Norddeutschland ins Zentrum.
Als Wegweiser für seine Erforschung dienen verschiedene Fragestellungen: Wie sahen die Kontakte zwischen den vermeintlichen Kelten und der vorgermanischen Bevölkerung im Norden aus? Wer lebte in Norddeutschland zu dieser Zeit? Wie sind die spannenden Funde von der Schnippenburg zu bewerten? Gab es DIE Kelten und waren sie auch im Osnabrücker Land? Was wissen wir über die religiöse Welt der vorrömischen Eisenzeit?
Der Wald der Fragen
Als die Schnippenburg im Jahr 1999 von den Archäologen aufgesucht wurde, war wenig über die Anlage bekannt. Es gab neben einem alten Plan aus dem Jahr 1889 eine Profildokumentation aus dem Jahr 1983, die einen ersten Datierungsansatz lieferte und eine Rekonstruktion der Befestigung ermöglichte. Auf der Suche nach älterem Kartenmaterial konnte die Schnippenburg bis in das Jahr 1786 zurückverfolgt werden. Begehungen im Gelände führten zu ersten Lesefunden. Zudem fanden sich im Gelände verbrannte Steine und Holzkohlen, die nahe legten, dass die Burg einem Feuer zum Opfer fiel.
Das Studierzimmer
Am Anfang eines neuen Forschungsprojekts steht immer das Grundlagenstudium. Im Zusammenhang mit der Schnippenburg stellte sich vor allem die Frage nach der Epoche und nach dem kulturgeschichtlichen Kontext.
Wie es in der vorrömischen Eisenzeit in Norddeutschland aussah, ist in vielen Bereichen noch unklar. Für den süd- und mitteldeutschen Raum dagegen sind zwei Zeitabschnitte bekannt und als bedeutungsvoll eingestuft. Benannt nach den jeweiligen Fundorten, beschreiben die Hallstattzeit (800 bis 450 v.Chr.) und die Latènezeit (450 v.Chr. bis Zeitenwende) besondere kulturelle Erscheinungen.
In Hallstatt, im heutigen Österreich, wurde Salz abgebaut, was zu einem großen regionalen Reichtum führte, mit dem eine deutliche strukturelle Gliederung der Gesellschaft einherging. Diese spiegelt sich z.B. in Fürstengräbern mit vierrädrigen Repräsentationswagen und eiserner Bewaffnung wider. Der Kultplatz La Tène liegt in der Schweiz. In einer Untiefe des Neuenburger Sees wurden zahlreiche Waffen, Werkzeuge, Schmuckgegenstände und Pfostenstellungen geborgen, die aus den Jahrzehnten um 200 v.Chr. stammen. Im Gegensatz zu den Hallstattfürsten ließen sich die Männer der latènezeitlichen Oberschicht als Krieger bestatten.
Das Grabungszelt
Eigentlich finden Ausgrabungen immer nur dann statt, wenn ein Denkmal akut bedroht ist. Bei der Schnippenburg war der Anlass ein anderer. Neben dem begründeten Forschungsinteresse aufgrund der ersten Funde spielten konservatorische Belange eine wichtige Rolle.
Zur Sicherung der Funde wurde dabei auf eine umfassende Prospektion mit Metallsonden gesetzt, die heute neben der klassischen Ausgrabung eine wichtige Methode der Archäologie geworden ist. Während bei der Prospektion die Funde im Mittelpunkt stehen, geben die Ausgrabungen die Hintergrundinformationen über den Fundzusammenhang. Sogenannte Befunde wie z.B. Mauern, Pfostenlöcher oder Gruben werden dabei in der Regel über besondere Bodenverfärbungen identifiziert, wenn menschliche Bodeneingriffe die natürlichen Bodenschichten verändert haben.
Das Labor
Nach der Bergung nimmt zunächst eine Werkstatt die fachgerechte Restaurierung und Konservierung vor. Die Funde werden dort so behandelt, dass eine zerstörungsfreie Lagerung bzw. museale Präsentation sichergestellt ist. Einige Spuren lassen sich zum Teil erst nach der Ausgrabung feststellen, wenn beispielsweise Bodenproben im Anschluss näher untersucht werden. Nach der Aufbereitung sind auch naturwissenschaftliche Analysen möglich, die den Funden zum Teil vielfältige Informationen entlocken können. Dabei geht es häufig um die chemische Zusammensetzung und die Datierung der Objekte, um die Bestimmung von Tier- oder Pflanzenarten oder um Auskünfte darüber, welche Technologien bei der Herstellung bestimmter Objekte angewandt wurden.
Die Lichtung der Antworten
Nach dem Quellenstudium, der Ausgrabung und den Laboranalysen werden die Funde genau unter die Lupe genommen. Nun gilt es, in Bezug auf die Schnippenburg einerseits klärende Rückschlüsse zu ziehen und andererseits weiterführende Fragestellungen zu entwickeln. Obwohl bisher erst fünf Jahre geforscht wurde, gibt es schon viele neue Erkenntnisse. Einige Fragen bleiben jedoch nach wie vor offen und viele der Ergebnisse werfen neue Fragen auf. Lässt sich das Rätsel Schnippenburg eines Tages lösen?
1500 Fragmente und Objekte
Die größte Gruppe unter den Funden stellen mit etwa 1500 Objekten die eisernen Einzelfunde aus der Prospektion dar. Von den derzeit etwa 250 näher bestimmbaren Funden zählt dagegen nur etwa ein Drittel zu dieser Gruppe. Ein Großteil der Kleinfragmente mit über 1000 Eisenobjekten ist bisher unrestauriert und kann nur bedingt über das Röntgenbild angesprochen werden. Neben Werkzeugen zur Holzbearbeitung und Haushaltsgeräten gehören auch Waffen zu den Funden. Zahlreiche Objekte sind nur fragmentarisch erhalten.
Einfach nur verloren?
Zu den Einzelfunden zählen auch einige Bronzeobjekte, die teils vollständig, häufiger jedoch nur fragmentarisch erhalten sind. Dabei lässt sich nicht sicher sagen, ob die Objekte absichtlich zerstört wurden oder einfach kaputt und dann verloren gingen. Die meisten von ihnen stellen Fragmente von Schmuckstücken dar. Einige der Zierscheiben sowie die Riemenlasche, welche mutmaßlich Teil eines prunkvollen Pferdegeschirrs waren, wurden sehr dicht beieinander gefunden. Vermutlich gehören sie zusammen, obwohl kein verbindender Befund festgestellt werden konnte. Auf die tatsächliche Herstellung von Bronzeobjekten auf der Schnippenburg deutet bisher nur ein Fund hin.
Kleine Fundgruppen
An einigen Stellen wurden mehrere Objekte direkt beieinander oder in unmittelbarer Nähe voneinander angetroffen, ohne dass ein direkter Fundzusammenhang erkennbar gewesen ist. Das heißt, man kann nicht sicher feststellen, ob sie z.B. zusammen vergraben wurden. Die Gruppierung der Gegenstände spricht allerdings dafür, dass sie gemeinsam in den Boden gelangten. Eine Ausnahme stellt dabei die Kombination aus einem Tüllenbeil und zwei Fragmenten eines eisernen Armreifs dar. Ebenfalls ungewöhnlich, aber definitiv zusammen in den Boden gelangt sind das Mundstück einer Trense mit einem zugehörigen Zierblech und ein Nadelfragment aus der Bronzezeit.
Fundkonzentrationen
Neben den Kleingruppen wurden an zwei Stellen auffällige Fundhäufungen festgestellt. Beide Konzentrationen liegen an der nördlichen Wallinnenkante. Einer der Komplexe kann in mehrere Gruppen gegliedert werden und umfasst neben eisernen Werkzeugen und Waffen auch Bronzeschmuck und Keramikgefäße. Bei der zweiten Fundstelle dominieren Sensen und Lanzenspitzen unter den Funden, wobei auch Tüllenbeile, eiserne Ketten und zwei kleine Bronzeobjekte dazugehören. Wie die Objekte in den Boden gelangten, konnte bei den Ausgrabungen aufgrund der geringen Fundtiefe leider nicht nachgewiesen werden.
Schmuck aus kleinen Löchern
Im Zuge der Sondenprospektion wurden 13 verschiedene Schmuckdepots aufgedeckt. Es handelt sich jeweils um Ensembles, die als der persönliche Besitz einzelner Frauen identifiziert werden können. Die Funde waren in kleinen, vermutlich von Hand gegrabenen Löchern niedergelegt worden. Eine Ausnahme bildet die Deponierung von sechs sogenannten Tutulusfibeln zusammen mit zwölf Ohrringen, den zugehörigen kobaltblauen Glasperlen sowie den Überresten eines bronzenen Kettengehänges. Sämtliche Objekte gelangten offenbar schon beschädigt in den Boden.
Opfergruben
In den Grabungsschnitten Nr. 8 und 10 wurden insgesamt 28 Gruben festgestellt, die als Opfergruben interpretiert werden können. Auffällig sind die unterschiedlichen Inventare. Während die Gruben in Schnitt Nr. 8 neben Keramikgefäßen Bronze- und Perlenschmuck sowie eine Lanzenspitze enthielten, deuten die bäuerlich geprägten Inventare der Gruben in Schnitt 10 Opferungen an, die mit einem Fruchtbarkeitskult in Zusammenhang zu stehen scheinen. Neben Keramikgefäßen, zu denen auch große Vorratsgefäße zählen, gehören Spinnwirtel, Schleifsteine und Utensilien zur Bearbeitung von Textilien zu den Funden. Eine der Gruben beinhaltete auch ein vollständig erhaltenes Gefäß, das Tierknochen enthielt.
Alltag auf der Schnippenburg
Im Zuge der Ausgrabungen wurden über 2000 Keramikfunde geborgen. Der Großteil des Materials ist stark fragmentiert und fand sich überwiegend direkt unterhalb der Humusdecke, also im Bereich der ehemaligen Oberfläche. Die Bruchstücke gehören zu Schalen, Töpfen und Vorratsgefäßen. Sie deuten neben Spinnwirtel und Webgewichten, einem Mahlsteinfragment, Schleif- und Reibsteinen darauf hin, dass auch Alltagsleben in der Schnippenburg stattgefunden hat. Wer hier tatsächlich wann und wie lange lebte, verraten die Funde jedoch leider nicht.
Erste Antworten
Die Funde von der Schnippenburg ergeben ein sehr facettenreiches Puzzlebild. Sie spiegeln zahlreiche überregionale Kontakte wider, deren Basis die verkehrgeographische Lage der Schnippenburg gewesen ist. Überregionale Fernwege führen offenbar zu einer großen Fluktuation von Waren und auch Ideen; als Begleiterscheinung breiten sich auch Technologien aus. Die latènezeitliche Mode der mittleren Eisenzeit wird weit über ihren Kernraum hinweg vermittelt. In der Peripherie spielt vor allem die Nachahmung eine wichtige Rolle, wodurch neue Formen und Varianten entstehen, deren Ursprung jedoch stets unverkennbar bleibt. Ganz Mitteleuropa fiebert im 3. Jh. v.Chr. offenbar dem "Lifestyle" einer Leitkultur hinterher.
Untersucht man die Befestigungskonstruktion der Schnippenburg näher, stellt sich besonders im Vergleich zu anderen Burgen heraus, dass diese hier offenbar nicht in erster Linie als Wehrbau diente. Vielmehr scheint es sich um einen repräsentativen Bau zu handeln, der einen großen ideellen Wert für die Bevölkerung hatte, weshalb er auch Ort kultischer Handlungen gewesen ist. Also ein befestigtes Zentrum innerhalb eines größeren Siedlungsgebiets. Die nächsten Nachbarburgen liegen in 30-50 km Entfernung. Vermutlich war die Schnippenburg ebenfalls ein administratives Zentrum. Vereinzelt haben auch Menschen in der Burg gelebt - darauf deuten Alltagsgegenstände, Spuren von Handwerk und Reste von Kulturpflanzen hin. Ein regelrechter Siedlungsplatz ist die Anlage allerdings sicher nicht gewesen. Nicht zuletzt fehlen jegliche Spuren von Bebauung im Innenraum der Burg. Die vielfältigen Zeugnisse ritueller Handlungen sprechen für eine besondere Bedeutung der Schnippenburg in diesem Kontext. In ihrer Funktion als religiöses Zentrum steht sie anderen angelegten Opferplätzen, aber auch den typischen Naturheiligtümern gegenüber.
Setzt man alle bisherigen Überlegungen und Untersuchungsresultate miteinander in Beziehung, so kann man mit einiger Vorsicht die Wurzeln entsprechender Anlagen im mediterranen Raum suchen, wo die Akropolis als Befestigung, religiöses und administratives Zentrum eine feste Größe gewesen ist. In Rom war es das Capitol, welches im 4. Jh. v.Chr. nur knapp einer Erstürmung durch Invasoren aus dem Norden entging.
Weiterführende Links
Unter der Adresse www.schnippenburg.de finden Sie weitere Informationen zur Ausstellung.
Zusätzlich finden Sie in unserem Guide im Bereich Themen / Eisenzeitliche Befestigungen eine Zusammenstellung von Links zum Thema.