Die Grabungskampagne auf der Burg Cucagna
Elf Berliner StudentInnen bereiteten sich im Sommer 2003 darauf vor, nach Norditalien ins Dorf Faedis nordöstlich von der nahegelegenen Stadt Udine im Friaul zu fahren, um an der Grabungskampagne auf der Burg Cucagna teilzunehmen. Diese ist in den letzten Jahren zu einem wesentlichen Bestandteil des seit 21 Jahren stattfindenden Seminars für mittelalterliche Architektur geworden, das von den Architekten Roberto Raccanello und Katharina von Stietencron organisiert wird.
Am 19. Juli 2003 war es dann soweit: nachdem auch der letzte Rucksack im Bus verstaut und der einzuschlagende Weg geklärt war, ging es über Weimar, dem schon traditionellen Zwischenstopp, nach Italien.
Da wir dort etwas früh ankamen - es war erst kurz nach Morgendämmerung - legten wir uns mit unseren Schlafsäcken auf die Terrasse vor das Haus von Roberto und Katharina. Die beiden guckten nicht schlecht, als sie uns dort in Schlafsäcken liegend vorfanden. Nach einem üppigen Frühstück zeigten sie uns unsere Unterkunft. Ein Teil von uns wohnte in einem Haus im Dorf Faedis, gleich gegenüber vom Weg hinauf zur Burg. Andere wohnten mit weiteren SeminarteilnehmerInnen in Stremiz, u. a. in Zimmern des Bürgermeisters. Wir richteten uns häuslich ein, sprangen ins kalte Nass des natürlichen Pools vom Mühlenbach und entspannten etwas von der langen Fahrt, denn schon am nächsten Tag sollte es mit der Arbeit losgehen.
Unser Arbeitsplatz war die mittelalterliche Burg Cucagna, auf einer Anhöhe gleich oberhalb des Dorfes Faedis. Unsere Aufgabe war es, archäologische Ausgrabungen an besonders wichtigen Plätzen für den Wiederaufbau der Burg durchzuführen. Wir suchten nach Schichten- und Mauerverläufen, legten Grundrisse von Gebäuden frei, die dann mit diesen Erkenntnissen wiederaufgebaut werden konnten. Langweilig wurde uns dabei nie. Denn unsere Gruppe war sehr gemischt: einerseits vom Fachgebiet her (Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Museumskunde), andererseits von den praktischen Erfahrungen. Für einige war es die erste Grabung, an der sie teilnahmen, andere graben regelmäßig an verschiedenen Orten. Eine Herausforderung für uns war, dass auf Cucagna alle Schritte selbst durchgeführt wurden, die auf einer Grabung anfallen: beginnend mit dem Abstecken und Einmessen der Arbeitsflächen, über das Graben an sich (nach verschiedenen Methoden), bis hin zum Fotografieren, Tagebuch schreiben und Funde mit Fundzetteln versehen und eintüten. Umso spannender wurde es, als sich im Laufe der Grabung die Funde häuften und uns motivierten, bei dieser körperlich sehr anstrengenden Tätigkeit durchzuhalten. Aufregend für uns alle waren die außergewöhnlicheren Funde, wie eine Silber-Münze aus dem 14. Jahrhundert, die Hälfte einer Bügelschere, ein Messerchen und Teile eines Brustpanzers.
Die gesamte Seminargruppe setzte sich aus internationalen TeilnehmerInnen verschiedener Disziplinen zusammen, was die Arbeit und Diskussionen sehr bereicherte und auch interessanter gestaltete. Deshalb war dieser Monat nicht nur bezüglich der Arbeitserfahrungen im Ausgraben wichtig für uns. Auch die Kooperation mit Fachkräften anderer Disziplinen - Architekten, Maurern, Kunsthistorikern, Steinmetzen - bestimmten unsere Arbeit.
"Fasziniert hat mich z. B., dass die Steine, die wir bei der archäologischen Arbeit ausgegraben haben, gleich wieder zur Rekonstruktion der Burg an anderer Stelle genutzt wurden." (Kerstin Kühne)
Wenn auch nicht alle direkt zusammen arbeiteten, so war es sehr spannend, sich gegenseitig über die Schulter zu gucken. Alle respektierten die Arbeit der anderen, keiner scheute sich, zu speziellen Dingen Fragen zu stellen oder mal mit anzupacken, wenn Hilfe gebraucht wurde. Zum Beispiel bei den langen "Ketten", bei denen Steine oder Eimer voll Sand umgeschichtet wurden, die sicherlich jedem/r von uns noch lebhaft im Gedächtnis geblieben sind.
Spannungen zwischen den ArchäologInnen und Architekten sind bei dieser Kampagne vorprogrammiert, da verschiedene Ansichten zu bestimmten Vorgehensweisen bei der Grabung aufeinander stoßen. Angeregte Diskussionen klärten dann über die unterschiedlichen methodischen Ansätze auf und bisher konnte noch immer eine Einigung erzielt werden. Der leitende Architekt Roberto gab unserer Arbeit, die für ihn durchaus von großem Nutzen ist, auf seine eigene Art Anerkennung:
"Man kann wirklich nicht sagen, dass die Archäologen oberflächlich sind." (O-Ton Roberto)
Sicher klingt es verlockend, an einer Lehrgrabung in Italien teilzunehmen. Aber von einigen TeilnehmerInnen aus Berlin wurde im Nachhinein hervorgehoben, dass für sie das besondere daran war, dass wir StudentInnen selbständig gearbeitet haben:
" ... eine Grabung [...], bei der nicht ein Professor einem alles beibringt, sondern dass es sich hier um gegenseitige und eigeninitiative Erlernung handelt." (Christian Clement)
Wir besprachen und diskutierten gemeinsam Probleme und Aufgaben, erklärten uns gegenseitig Arbeitstechniken. Hier kam es auf jede/n Einzelne/n an.
"Es war eine schöne Erfahrung, Teil einer komplett selbständig arbeitenden Studentengruppe zu sein, in der jeder nach bestem Wissen den anderen half und man sich gegenseitig versuchte, alles beizubringen bzw. zusammen Themen erarbeitete. Außerdem fiel es mir deutlich leichter, andere Studenten mal was zu fragen als z. B. einen Prof. und man kam sich dadurch auch freier vor und hat lieber gearbeitet." (Anne Heussner)
Dadurch, dass wir einen Monat lang zusammen arbeiteten und lebten, lernten wir uns näher kennen, als es im Semester an der Uni möglich wäre. Gefordert wurde von allen Teamfähigkeit, aber auch jedem seinen Raum zu lassen, in dem er sich gelegentlich zurückziehen konnte. Sowohl die interdisziplinäre Arbeit, als auch die gemeinsamen Mahlzeiten und Abende auf der Terrasse in Stremiz schafften eine angenehme Atmosphäre in der international zusammengesetzten Seminargruppe.
Die Kampagne bot zudem die Möglichkeit, Exkursionen in nahegelegene Orte zu unternehmen, um sowohl archäologisch, als auch kunsthistorisch wichtige Stätten, wie die römische Stadt Aquilea, zu besuchen. Dazu eigneten sich insbesondere die Wochenenden, an denen wir nicht arbeiteten. Einige von uns nutzten auch die Gelegenheiten, z. B. zum nahegelegenen Gipfel des Mt. Joanaz zu wandern, oder sich ins Touristengetümmel der Städte Venedig, Ravenna oder Triest zu wagen.
Gerne denken wir an den Monat in Italien zurück, der nicht nur irgendein Praktikum für unser Studium war. Er steht in Verbindung mit vielerlei Erfahrungen und Erinnerungen, sowohl im Arbeits-, als auch im sozialen Bereich. Wie sehr uns diese Zeit prägte, zeigt der rege EMail-Kontakt der TeilnehmerInnen, der schon über einige Monate hinweg anhält.
Ein besonderes Ereignis zum Ende der Kampagne war das Abschlussfest auf der Burg, auf das sich alle schon Tage vorher freuten. Diese einmalige Kulisse, sogar mit Sommergewitter, ließ uns in die Atmosphäre einer mittelalterlichen Burg eintauchen.
Mit den Gästen aus der Umgebung speisten wir im ersten Stock des wiederaufgebauten Palazzos, an langen, schön geschmückten Tafeln, mit tollem Essen und gutem Wein. Nachdem wir wieder unter uns waren, blickten wir gemeinsam auf den Monat zurück, in dem wir als Gruppe zusammengewachsen waren und sich viel auf der Burg verändert hat. Einen Stock höher war der "Dance-Floor", und selbst die sich sonst eher zurückhaltende Gülay tanzte die halbe Nacht durch. Nach und nach zogen sich alle mit ihrem Schlafsack an ein Plätzchen zurück, dass sie für sich ausgeguckt hatten, um wenigstens ein paar Stunden zu ruhen. Noch einmal gab es ein gemeinsames Frühstück auf der Terrasse in Stremiz, dann räumten wir unsere Unterkünfte und machten uns auf den Heimweg - ein wenig mit schwerem Herzen.
Im Sommer 2004 fand erneut eine Grabungskampagne auf der Burg Cucagna statt. Unsere Berliner Gruppe setzte sich aus einigen TeilnehmerInnen vom letzten Jahr, teils aus neu dazugekommenen StudentInnen jüngerer Semester zusammen. Auf diese Weise lassen sich die Erfahrungen des studentisch organisierten Praktikums weiter tragen.
Wieder können wir auf eine erfolgreiche Grabung und angenehme Zeit in Italien zurückblicken. Nicht nur durch die archäologische Arbeit, die zahlreichen Funde und Befunde, sondern auch das Zusammentreffen mit Architekten aus verschiedenen Ländern Osteuropas und der Türkei konnten wir viel Neues und Interessantes dazulernen. Diese sinnvolle und effektive Kooperation sollte fortgeführt werden und im nächsten Jahr die 5. archäologische Kampagne beim Seminar für mittelalterliche Architektur stattfinden.