Der IS finanziert sich durch Antikenraub?

Von vielen Behauptungen, wenigen Fakten und sorgfältiger journalistischer Recherche

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DenkmalschutzVorderasien/Naher Osten

Der IS finanziert sich u.a. durch den Raub und Verkauf von Antiken - diese Behauptung ist in der Presse wie in der Archäologie fast zum Allgemeinwissen geworden. Eine Meldung vom Sommer 2014 behauptet, dass der IS mit dem Antikenhandel 36 Millionen Dollar verdient habe, und Focus.de (20.11.2015) »weiß«, dass der IS »rund 100 Millionen Dollar jährlich« mit dem Antikenhandel verdient. Doch wissen wir das wirklich, oder schreiben wir das – aus unterschiedlichen Interessen – vor allem voneinander ab, und die Faktenlage ist tatsächlich sehr dünn? Wie schwer es ist, die These des Antikenraubs durch den IS journalistisch sauber zu recherchieren und sie mit harten Fakten zu untermauern, beschreibt ein Artikel von Esther Saoub und Amir Musawy, der im November 2015 in der Fachzeitschrift »Archäologische Informationen« veröffentlicht wurde. Die beiden Journalisten haben am 15. Juli 2015 als erste einen öffentlich verwendbaren Beweis dafür veröffentlicht, dass der IS zumindest verkaufsfertige Antiken besitzt - vorausgesetzt, der einzige Augenzeuge dafür, nämlich die US-Armee, spricht die Wahrheit.

Am 14. Juli 2015 übergab Timothy Gerhardson, Kulturattaché der US-Botschaft in Bagdad, einige Antiken an den stellvertretenden Minister für Tourismus und Altertümer im Irak, Kais Raschid, die das US-Militär im Mai 2015 im Haus eines hochrangigen IS-Funktionärs nach dessen Erstürmung vorgefunden hatte. Es handelte sich um das Haus des Islamisten Abu Sayaf in Erbil (Syrien), der vom US-Verteidigungsministerium als Finanzchef des IS bezeichnet wird. Die sichergestellten Antiken stammen nach Ausweis von Beschriftungen und beiliegenden Zetteln z. T. aus den Museen von Bagdad (Irak) und Mossul (Irak); im erstürmten Haus scheinen sie Teil einer bereits versandfertig verpackten Antikensammlung gewesen zu sein. Amir Musawy, Co-Autor des Aufsatzes in den Archäologischen Informationen, war Augenzeuge dieser Übergabe und konnte sie in Film und Foto dokumentieren. Fast alle Objekte seien echt, jedenfalls nach den Fotos zu urteilen - stellte der von Esther Saoub hinzugezogene Prof. Dr. Markus Hilgert (Direktor des Vorderasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz) fest - allerdings seien viele Objekte nicht antik, sondern stammten aus der islamischen Zeit und bis ins 18. Jahrhundert.

Der Aufsatz von Saoub und Musawy beschreibt und dokumentiert die Rückgabe der Objekte an den irakischen Staat und legt genauer dar, was dieser Fund beweist und was bislang weiter unbewiesen ist. Es geht in dem Aufsatz u. a. um die vom IS gezeigte Zerstörung des Museums von Mossul Anfang 2015 – die aber wohl eher eine Tarnung für die tatsächliche Absicht der Terroristen war: nicht zu zerstören, sondern zu verkaufen. Zugleich gibt der Beitrag einen Einblick in die Alltagsarbeit von Journalisten, die sich für den Kulturgutschutz engagieren, lässt ihre Mühen und auch Enttäuschung spüren. Denn dass sie nun mit Fotos und Filmaufnahmen etwas belegen konnten, was viele bereits vorher für wahr hielten - auch wenn es dafür keine Beweise gab - fand nicht die erwartete Presseresonanz. Gleichwie: »Wir haben einen wichtigen Stein in eine Beweiskette eingefügt, deren größte Teile nach wie vor im Dunkeln liegen. Noch muss erforscht werden, ob und wie die Terroristen mit den Antiken handeln, und wie jene dann den Weg in europäische Auktionshäuser finden könnten« – bilanziert Esther Saoub in den Archäologischen Informationen den aktuellen Stand der Erkenntnisse zur Frage, ob der IS tatsächlich in nennenswertem Umfang mit Antiken handelt.