Ein Fund wie aus Afrika
Der protobiface aus alpinem Kalkstein vom Lehberg, Gemeinde Haidershofen an der Enns, Niederösterreich.
Prolog
Die Artefaktmorphologie des Altpaläolithikums fasst in der Gruppe der bifaces auch einige Formen zusammen, die zweifellos als »altertümliche« Vorformen der gängigen Faustkeile nach deutschem Sprachgebrauch gesehen werden können.
Der Erzeuger dieser Geräte kann nach übereinstimmender Ansicht vieler namhafter Experten nur der homo erectus gewesen sein. Jüngst fand dieser frühe Datierungsansatz eine erneute Bestätigung durch die Funde von altpaläolithischen Artefakten in Rotlehmen, die auf dem Lehberg in der niederösterreichischen Gemeinde Haidershofen direkt auf Günz-Schottern abgelagert worden waren und damit als cromerzeitlich eingestuft werden konnten.
Die alpinen Schotterkörper waren voller schlagbarer Gerölle, aus denen der homo erectus die verschiedensten Rohmaterialien wie Quarz, Quarzite und harte Kalkgesteine zur Herstellung von Artefakten gewinnen konnte. Die klassischen Rohstoffe wie Hornsteine und Radiolarite treten in diesem frühen Stadium der Menschheitsgeschichte noch deutlich zurück.
Das Artefakt
Das Gerät wurde aus einem ovalen und flachen Kalkgeröll herausgearbeitet. Die im Naturzustand belassene untere Hälfte bildet die Basis. Sie zeigt die von Gletscher und Wasser geschliffene und anschließend windpolierte, typische Gesteinsoberfläche von Glazialgeröllen auf den Schotterterrassen der letzten Eiszeiten.
Der obere Teil wurde in direkt harter Schlagtechnik mit Hilfe eines Schlagsteines geformt. Dabei lassen sich bei der Detailuntersuchung des Gerätes im Wesentlichen zwei Abbauphasen feststellen. In Phase 1 wurde mit wenigen wechselseitig geführten Schlägen die Kortex entfernt und das Gerät in seine Grundform gebracht. In Phase 2 folgte eine Feinretusche und die letzte Ausformung zur Spitze. Auch die feineren Retuschen sind nach den Schlagmerkmalen zu urteilen mit einem Schlagstein ausgeführt worden.
Das Ausgangsgestein war ein feinkristalliner, homogener und dichter Kalkstein mit sehr guter Spaltbarkeit. Stellenweise treten feine, kalzitgefüllte Adern an die Oberfläche, was die Qualität des Gesteines aber nicht mindert. Der inneren Struktur des Rohmaterials folgend sind die Radialstrahlen und die Abrissmuster der einzelnen Abschläge klarer ausgebildet als die konzentrisch um den Schlagpunkt verlaufenden Schlagwellen, die auch als Wallnerlinien bezeichnet werden.
Die lange schneidende Kante auf der rechten Seite (dextrolateral) weist ohne jeden Zweifel Benützungsspuren und Polituren auf, die auf eine Bearbeitung weicher Materialien schließen lassen. In Betracht zu ziehen sind dabei sowohl Arbeiten an Fellen und das Schneiden von Fleisch als auch das Entrinden von Holz zur Herstellung von Jagdspeeren.
Als die Schneide stumpf war, wurde das Gerät nicht nachretuschiert, sondern offenbar nach relativ kurzer Benutzung aufgegeben und blieb so unbeschädigt und vollständig erhalten.
Die Datierung der Fundstelle auf dem Lehberg in der Gemeinde Haidershofen kann sich mittlerweile auf verschiedene Geländebefunde stützen. So zeigen die Bodenprofile, die mittlerweile an verschiedenen Stellen gewonnen werden konnten, übereinstimmend einen sehr klaren Aufbau. Auf den Günz-Schottern, die insgesamt etwa 15 Meter mächtig sind, und in den oberen Partien als Nagelfluh (Konglomerat) ausgebildet sein können, folgt ohne Übergangsschichten eine maximal 0,5 Meter mächtige Rotlehmschicht. Darauf liegt ebenfalls ohne zwischengeschaltete Lössstraten eine wenige Dezimeter starke Humusauflage.
Der ziegelrote Lehm ist kleinsteinig und zähplastisch. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde dieses Material rund um den Lehberg in kleineren Gruben von den Bauern zum Brennen von Ziegeln gewonnen. Durch seinen starken Tongehalt und die von Natur aus gegebene Magerung mit Steinen war der Rotlehm gut für die einfachen Ziegel der Bauernhöfe geeignet.
Mancherorts ist eine starke Anreicherung der Rotlehme mit Ocker festzustellen, die durchaus als abbauwürdig gelten darf. Wie die Funde von Hammersteinen und Utensilien aus Stein zum Anreiben des Ockers als Farbe zeigen, dürfte einer der Gründe, warum sich der homo erectus auf dem Lehberg aufgehalten hat, in diesen Ockervorkommen zu sehen sein.
Die Fundstelle des protobiface liegt unmittelbar an der Untergrenze des Rotlehmes am Übergang zu den Günz-Schottern. Der geologische Zeitrahmen dieses stratigrafischen Niveaus liegt demnach zwischen 600.000 und 500.000 Jahren vor heute mit einer klaren Tendenz zum älteren Wert.
Ausblick
Der protobiface und auch weitere Artefakte vom Lehberg fallen in die Zeitstufe des Alt-Acheuléen. Vergleichsfunde reichen bis in die Olduvai-Schlucht in Tansania oder an den Turkana-See in Kenia; sind dort aber mit einer Datierung von bis zu 1,76 Mio. Jahre deutlich älter als im nordalpinen Mitteleuropa. Aber auch in Afrika werden diese Geräte mit dem homo erectus in Verbindung gebracht.
Aus Israel liegen aus dem Evron Quarry aktuell neue Funde von einfach gearbeiteten Faustkeilen und kleineren Abschlagsgeräten vor, die geostratigrafisch in eine Zeit vor 780.000 Jahren datiert sind und dort ebenfalls dem homo erectus zugeschrieben werden.
Die Funde von Dmanisi in Georgien werden mit einem Alter um 1,8 Mio. Jahre angegeben. Dazu zählen neben mehreren Schädelfunden auch chopping tools des Oldowan-Typs. Die Benennung der Menschenart von Dmanisi ist noch nicht endgültig abgeschlossen. Möglicherweise handelt es sich um eine Frühform des homo erectus.
Näher am Fundort des Artefaktes von Haidershofen liegt aber beispielsweise der protobiface aus Quarz von Zwerndorf an der March in Niederösterreich, der auf einer altpleistozänen Schotterterrasse lag.
Mit der Bestimmung von Artefakten aus den pleistozänen Schotterablagerungen der ersten Eiszeiten im alpinen Raum wird ein neues Kapitel in der Erforschung des Altpaläolithikums im nordalpinen Voralpenland aufgeschlagen. Umfangreiche Vergleichsuntersuchungen aller altpaläolithischer Artefakte zwischen March und Enns sind bereits geplant. Sie sollen auch die frühen Datierungsansätze dieser Geräte großräumig absichern.
Literatur
- Binsteiner, A. 2012
Die altsteinzeitlichen Artefakte vom Lehberg, Gemeinde Haidershofen. Eine neue Fundstelle des Donau-Enns-Paläolithikums in Ober- und Niederösterreich. Linzer Arch. Forsch. Sh. 47, Linz. - Chazan, M. 2013
Butchering with small tools: the implications of the Evron Quarry assemblage for the behaviour of Homo erectus. Antiquity 87, 350-367. - Džaparidze, V. et al. 1991
Der altpaläolithische Fundplatz Dmanisi in Georgien (Kaukasus). Jahrb. des Röm.-Germ. Zentralmus. 36, 1989, 67-116, Mainz. - Fiedler, L. et al. 2011
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Das Eiszeitalter in Oberösterreich. Abriss einer Quartärgeologie von Oberösterreich. Schriftenreihe d. OÖMV 17, Linz. - Seewald, Ch. 1974
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Altpaläolithische Geröllgeräte in Niederösterreich. Wiss. Mitt. Niederösterr. Landesmuseum 9, 231-245, Wien. - Valoch, K. 1983
Geröllgerätindustrien in Südmähren (Tschechoslowakei). Quartär 33/34, 163-170. - Wessely, G. 2006
Geologie der österreichischen Bundesländer, Niederösterreich. Geologische Bundesanstalt, Wien.
bisher zum Thema bei Archäologie Online erschienen:
Homo erectus am Alpenrand?
Die Artefakte von Haidershofen an der Enns könnten bis zu 500.000 Jahre alt sein
Fundsache Homo erectus
Ein phallusförmiges Gerät vom Lehberg, Gemeinde Haidershofen, Niederösterreich
Ein Spurenfossil der besonderen Art
Ein Handteilabdruck des Homo erectus