Homo erectus am Alpenrand?

Die Artefakte von Haidershofen an der Enns könnten bis zu 500.000 Jahre alt sein.

veröffentlicht am
ForschungÖsterreichHomo erectusUr- & Frühgeschichte

Prolog

Würde man die altsteinzeitlichen Artefakte von Haidershofen an einem der vielen Fundplätze Afrikas aufsammeln, hätte man keinen Zweifel, dass man Gerätschaften des Homo erectus, vielleicht sogar eines artverwandten Vorgängers vor sich hat. Haidershofen aber liegt im österreichischen Alpenvorland an der Enns, die dort in die Donau mündet, direkt an den alten Rändern der Gletscher vergangener Eiszeiten. Also ist man bei Funden dieser Art zunächst zurückhaltend. Bei genauerer Betrachtung der Stücke aber wird klar, dass man hier etwas sehr Altes und Ursprüngliches vor sich hat. Dazu tragen nicht zuletzt die verwendeten Rohstoffe bei, die den Schottern der Günz-Eiszeit, der ersten der vier nachweisbaren Kaltzeiten im Alpenvorland entnommen worden sind.

Naturgemäß ist die Datierung solcher Fundstücke schwierig, zumal sie ja an der Oberfläche aufgelesen wurden. Aber bei ausreichender geologischer Grundlage und einiger Kenntnis des möglichen Formenspektrums paläolithischer Artefakte erscheint zumindest eine vorläufige Einstufung der Stücke angemessen zu sein. Eine geplante Geländeuntersuchung im kommenden Jahr soll dann Klarheit in eine der ungewöhnlichsten Fundsituationen im Alpenraum bringen.

Die geologische Schichtenfolge

Die Umgebung von Haidershofen an der Enns ist von glazialen Ablagerungen geprägt. Es lässt sich das gesamte Spektrum der letzten alpinen Eiszeiten nachweisen. Die Zwischeneiszeiten und Warmzeiten treten jeweils mit mächtigen Lehm- und Lössablagerungen in Erscheinung.

Im Einzelnen handelt es sich um eiszeitliche Schotter und Sande, die von Gletschermoränen oder von den Flusssystemen der abschmelzenden Eismassen in verschiedenen Terrassenzügen hinterlassen wurden. Die teils sehr groben Kiese führen in der Regel alle Arten von Quarzen, Serpentiniten und Gneisen, die aus den Formationen der Alpen verfrachtet wurden. Aber auch Kalkgesteine, Quarzite, Hornsteine und Radioalarite zählen zum Gesteinsspekrum dieser glazialen und fluvioglazialen Serien.

Die Abfolge beginnt auf der höchsten Terrasse in etwa 370 m über Normalnull mit den sogenannten »Älteren Deckenschottern«, die relativchronologisch in die Günz-Eiszeit zwischen etwa 800.- 600.000 Jahren vor heute datiert werden. Dann folgen in der Terrassenabfolge absteigend die »Jüngeren Deckenschotter« der Mindel-Eiszeit, die Hochterrassenschotter der Riss-Eiszeit und schließlich die Niederterrassenschotter der Würmeiszeit auf 300 m NN, die um 10.000 vor heute endete. Dazwischen liegen die Zwischeneiszeiten mit den entsprechenden Warmzeiten Cromer, Holstein und zuletzt Eem und den Sauertoffisotopenstadien OIS 13, OIS 9c und OIS 5e (siehe Abb. 2).

Die Artefakte

Derzeit liegen von dem Fundplatz auf einem Höhenrücken bei Haidershofen mindestens sieben bearbeitete Geräte vor. Die Zahl dürfte sich aber voraussichtlich bei weiteren Geländebegehungen noch erhöhen. Gefunden wurden sie an verschiedenen Stellen auf einer Distanz von rund hundert Metern. Ob sie ursprünglich ein Ensemble bildeten und vom Pflug auseinander gezogen wurden, bleibt momentan noch unklar.

Drei Artefakte lassen sich als Faustkeile definieren (Faustkeil 1 siehe Abb.3 und 4), zwei Geräte als grob zugerichtete Chopping tools oder Cleaver und schließlich sind zwei Stücke als einfacher Abschlag und Kern zu deuten. Die verwendeten Rohstoffe sind Quarzit für zwei der Faustkeile und Kalkstein für das eher faustkeilartige Gerät sowie für einen Abschlag und einen Kern. Schließlich wurde auch feinkörniger Gneis für die groben Geräte verwendet.

Der Faustkeil 1 ist beidseitig bis an die ausgearbeitete Spitze zugerichtet worden. Somit kann er als Zweiseiter (Biface) angesprochen werden. An der Basis finden sich Reste der Kortex und der ursprünglichen Gesteinsoberfläche. Ein kleinerer Teil ist modern ausgebrochen. Das Ausgangsstück war ein glazial überprägtes Quarzitgeröll. Auch die anderen sechs Artefakte zeigen eindeutige Arbeitskanten, an denen zum Teil sogar noch Gebrauchsretuschen feststellbar sind.

Der Datierungsansatz

Formenkundlich gehört der Faustkeil 1 in die archäologische Kultur des Acheuléen, die mit der Existenz von Faustkeilen definiert wird. Die Funde von Haidershofen (Abb. 5.) liegen auf der höchsten Erhebung auf rund 370 m NN, die von den sogenannten »Älteren Deckenschottern bzw. Deckschichten« gebildet wird. Sie finden sich in einem auflagernden Lehm- und Lösspaket noch unbestimmter Mächtigkeit.

Nach dem derzeitigen Kenntnisstand, ohne Bohrung oder Grabung, müssen die Artefakte in der Günz-Mindel Zwischeneiszeit in das Lehmpaket gelangt sein. Eine menschliche Begehung und Jagdaktivitäten am Alpenrand sind aber nur während einer Warmphase vorstellbar. Hier kommt der quartärgeologischen Stratigraphie zufolge zuerst die späte Cromer-Warmzeit mit einer relativen Zeitstellung zwischen 540. und 475.000 vor heute in Frage. Dieser frühe Zeitansatz passt gut zur einfachen Machart der Artefakte. Der Menschentyp, der zu dieser Zeit in Mitteleuropa lebte, ist der Homo heidelbergensis oder Homo erectus nach alter Nomenklatur.

Es ist in diesem Zusammenhang äußerst interessant, dass unlängst im nur fünf Kilometer entfernten Ernsthofen an der Enns eine Freilandfundstelle des Neandertalers mit einigen hundert Artefakten nachgewiesen werden konnte, die um 40.000 Jahre vor heute datiert. Sie lag dem stratigrafischen Schema folgend geradezu lehrbuchhaft auf der Niederterrasse in einer Meeresspiegelhöhe von 300 Meter über Normalnull (Abb. 5).

Literaturauswahl

A. Binsteiner, Rätsel der Steinzeit zwischen Donau und Alpen. Linzer Archäologische Forschungen, Bd. 41, Linz 2011.

A. Binsteiner – Erwin M. Ruprechtsberger, Das Donau-Enns Paläolithikum. Linzer Archäologische Forschungen, Sh. 45, Linz 2011.

H. Kohl, Das Eiszeitalter in Oberösterreich, Abriss einer Quartärgeologie von Oberösterreich. Schriftenreihe OÖMusVer. 17, Linz 2000.

Geologische Bundesanstalt (Hrsg.), Geologie der österreichischen Bundesländer. Niederösterreich. Geologische Karte 1:200.000., Wien 2002.