Die Möglichkeiten nutzen

Workshop zum Umgang mit Massenmedien auf dem EAA-Kongress 2004

veröffentlicht am
Archäologie & Gesellschaft

Geheimnisvolle Pyramiden, blutige Opferrituale und Goldschätze sind Bilder, mit denen Nicht-Wissenschaftler an die Archäologie herantreten – das behauptet so mancher Archäologe und glaubt, damit die Vorurteile zu benennen, mit denen sein Fach behaftet ist. Gleichzeitig spricht er damit aber selbst ein Vorurteil gegenüber Laien aus.

Die Laien, das sind auch Journalisten. "Wenn man hierzuland keine Sensationsfund macht, hat man in den Medien keine Chance." "Wir haben hier nur Ötzi und die Sternenscheibe von Nebra zum Vorzeigen." "Für unsere Pfostenlöcher interessieren sich die Medien doch gar nicht!" - Diese Sätze stammen von jungen Wissenschaftlern, die am Anfang ihres Berufsweges stehen. Sie sind durchaus auch selbstkritisch: Archäologen sollten sich aus ihrem wissenschaftlichen Elfenbeinturm begeben. Sie müssten ihr Fach und ihre Forschungsergebnisse so vermitteln, dass Archäologie für eine breite Öffentlichkeit verständlich und spannend sei. Weg von den fachspezifischen Termini und Detailüberlegungen hin zu einem lebendigen Bild von der Wissenschaft. Die das äußern, sind auch optimistisch: Ein öffentliches Interesse an hiesiger Archäologie wäre da oder könnte zumindest geweckt werden. Aber – und da verlässt die meisten der Mut – Massenmedien machten so wenig zu archäologische Themen aus der Gegend, sagen sie. Die Journalisten führen lieber aufwändig ins hintere Sibirien, als über eine Entdeckung aus der Region zu berichten.

Ein Blick hinter die Kulissen

Szenenwechsel: Themenbesprechung in einer Zeitungsredaktion. Ein Reporter meldet sich. Er habe da zufällig und über mehrere Ecken von einer archäologischen Entdeckung gehört. Die werfe ein neues Licht auf das, was man bisher über eine bestimmte Epoche der Vergangenheit gewusst habe. Die Ausgrabung sei schon beendet, aber die Auswertung der Funde sei viel versprechend Das wäre doch vielleicht etwas?!

Der Reporter bekommt den Auftrag, das Thema anzurecherchieren. Das heißt, er soll herausfinden, was wirklich dahinter steckt, ob es für eine "Story" taugt. Er ruft zunächst bei der Forschungseinrichtung an, für die die Wissenschaftler arbeiten. Die seien grade im Außeneinsatz, sagt man ihm. Sie kämen erst in ein paar Tagen wieder und würden dann zurückrufen.

In manchen Fällen wäre es damit um die "Story" geschehen. Andere Themen, die genauso wichtig sind, aber schneller und problemloser geschrieben werden können, würden das Rennen machen. Aber lassen wir den Reporter hartnäckig sein und ihn um den Rückruf der Archäologen bitten.

Der erfolgt, wenn auch erst eine Woche später. Der Archäologe am Telefon ist sehr freundlich und von seiner Sache begeistert. Man müsse seine Funde nämlich geradewegs als Sensation bezeichnen! Er habe Keramik entdeckt, die eine bislang völlig unbekannte Untergruppe einer neolithischen Kultur darstelle. Sie weise zudem Einflüsse auf, die auf Kontakte zu einer 500 Kilometer weit entfernten Gruppe schließen ließen.

Für den Reporter sind Gruppen Ansammlungen von Menschen, auch von Bäumen oder Elefanten. Die fachspezifische Bedeutung des Wortes, die der Wissenschaftler im Kopf hat, kennt er nicht. Aber ihm ist klar, dass es sich hier wirklich um etwas Neues und Wichtiges handelt. Deswegen spricht er mit seinem Redakteur und versucht angestrengt, diesem die Gruppen, die Kontakte und die Keramik zu erläutern. Es muss ihm gelingen, den Redakteur davon zu überzeugen, dass das ein interessanter Beitrag wäre. Andernfalls wird die Geschichte fallengelassen.

Seien wir der Sache gegenüber wiederum freundlich gesonnen und nehmen an, dass auch der Redakteur trotz der für ihn abstrakten Fakten Feuer fängt. Der Journalist bekommt also den Auftrag, einen Beitrag zu schreiben. Er hat dafür einen Tag zur Verfügung und schlägt dem Archäologen einen Interviewtermin vor. Der passt dem Wissenschaftler zuerst nicht, aber er willigt schließlich in den Vorschlag ein.

Es folgt nun ein Gespräch, dessen Verlauf wir bereits erahnen: Der Wissenschaftler schwelgt in seinen Gruppen, Keramikmagerungen und Clustern. Der Journalist – der gestern über eine Umweltsünde und morgen über fehlende Kindergärtenplätze schreibt – versucht, an Sätze zu kommen, die er zitieren, aus denen er seine Geschichte "bauen" kann. Er muss so schreiben, dass sich seine Leser für das Thema interessieren. Er versucht, genau diesen einen, den Angelpunkt der Geschichte herauszufinden, um ihn seinen Lesern zu vermitteln.

Nach längerem Gespräch ist der Journalist schließlich zufrieden. Nun braucht er noch Bildmaterial, um seine Geschichte zu illustrieren. Das Foto vom Archäologen ist schnell gemacht. Etwas von der Ausgrabung wäre schön, damit sich die Leser besser vorstellen können, was da denn so passiert. Da räumt der Wissenschaftler ein, so was habe er nicht zur Verfügung. Fotos von Profilen und Plana schon, aber von seinen Studenten bei der Arbeit – nein, daran habe man nicht gedacht. Aber er könne einen der Studenten anrufen, der habe privat viel geknipst. Bestimmt sei da ein brauchbares Bild dabei.

Machen wir's kurz: Der Student hat ein ordentliches Bild, glücklicherweise sogar digital, und schickt es dem Journalisten zu. Dieser ist bereits am Schreiben und hat noch anderthalb Stunden Zeit. Dann muss sein Beitrag fertig sein, daran ist nicht zu rütteln.

Es gelingt, und nun liegt der Text bei einem Redakteur zur so genannten Abnahme, also einer Gegenkontrolle des Beitrags. Da, dieses eine Detail versteht der Redakteur nicht: Was hat die Keramik-Zusammensetzung denn mit Handelsbeziehungen zu tun? Das muss besser erklärt sein, so kann der Text nicht in Druck gehen.

Unser Reporter ruft den Archäologen im Büro an, um sich den einen offenen Punkt noch einmal erklären zu lassen. Der sei natürlich schon zu Hause, sagt die Sekretärin pikiert, die um diese abendliche Zeit zufällig noch anwesend ist. Seine private Telefonnummer möchte sie nicht herausgeben.

In großer Eile hört der Journalist noch einmal das Tonband ab, auf dem er das Gespräch mit dem Forscher aufgezeichnet hatte. Er muss immer wieder vor- und zurückspulen, denn kurz gefasst hat sich der Wissenschaftler nicht gerade. Hier, diese eine Stelle müsste die Erklärung sein, die noch fehlt. Damit ist schließlich auch der Redakteur zufrieden und setzt seinen Haken unter den Beitrag.

Hoffentlich geht es dem Archäologen genauso, nachdem er am nächsten Morgen beim Frühstück die Zeitung aufgeschlagen und den Artikel gelesen hat.

Zwei Welten

Diese Szenerie ist erfunden und doch völlig realistisch. Einige der Vorurteile, die Wissenschaftler und Journalisten einander gegenüber hegen, stecken in ihr: Wissenschaftler seien detailbesessen und ihrer Fachsprache verhaftet. Sie hätten kein Gespür für die Notwendigkeiten des journalistischen Alltags. Journalisten wiederum hätten keine Ahnung von der Sache, über die sie schreiben. Unter solchem Zeitdruck könnten einfach keine guten Beiträge entstehen. Woher könnte man denn im Voraus wissen, was ein Journalist alles für einen Beitrag benötigt!?

An Stelle des Archäologen könnten auch ein Kernphysiker oder ein Sozialwissenschaftler stehen. Die Szenerie soll keineswegs das Bild vom tadellosen Journalisten und dem "abgehobenen" Wissenschaftler beleben. Vielmehr soll sie bildhaft verdeutlichen, wie es kommt, dass so manches schief läuft in der Kommunikation zwischen Forschern und Medien.

Wissenschaftler wie Journalist suchen die "Wahrheit" darzustellen. Ihre Mittel sind genaue Beobachtung des Sachverhaltes, kritisches Hinterfragen, sorgfältiges Abwägen einer jeden Aussage. Das ist ihnen gemeinsam.

Aber sie kommen aus verschiedenen Welten, sie müssen sogar aus verschiedenen Welten kommen: Während der Forscher Monate, ja Jahre für eine Sache forscht, stehen dem Journalisten für einen Beitrag manchmal nur Tage oder gar Stunden zur Verfügung.

Der Fachmann für Linearbandkeramik kennt sich wahrscheinlich mit Etruskern nicht aus. Der Journalist hingegen darf in den allermeisten Fällen nicht hoch spezialisiert sein, muss er doch vielseitig eingesetzt werden können.

Für den Forscher sind sein Ergebnis und seine Methodik das Wichtigste. Für den Journalisten ist es der Bezug zum Lebensalltag seines Publikums.

Wissenschaftler werden sich hüten, eine Erkenntnis als absolut gesichert zu bezeichnen. Journalisten können den jeweiligen Grad der Unsicherheit meistens nicht präzis abbilden, weil sie eine Geschichte auf den Punkt bringen müssen.

Wissenschaftler und Journalisten leben außerdem in unterschiedlichen Sprachkulturen: Wer Teil einer scientific community ist, bedient sich ihres Jargons. Journalisten müssen so arbeiten, dass ihr Publikum Gefallen am Thema findet. Eine Grundbedingung hierfür ist die Allgemeinverständlichkeit der Sprache.

Selbstverständlich machen Journalisten Fehler. Ja, viele von ihnen werden außerdem einen Goldfund erst einmal spannender finden als den dreizehnten mittelalterlichen Brennofen in der Region. Die große Frage ist aber: Was soll die Konsequenz aus dieser Situation sein?

Was tun?

Wissenschaft braucht Öffentlichkeit. Sie ist auf die Akzeptanz derer angewiesen, die mittels Steuern ihre Existenz sichern. Immer häufiger wird die Vergabe von Fördergeldern an die Bedingung geknüpft, dass Forscher ihre Ergebnisse auch einem Laienpublikum gegenüber präsentieren und zugänglich machen. Untersuchungen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung auch durchaus Interesse an wissenschaftlichen Themen hat.

Um den Anfang wieder aufzugreifen: Darf man Halt machen an der Behauptung, Medien interessierten sich nicht für hiesige Archäologie und allenfalls für Pyramiden voller geopferter Jungfrauen mit Goldschmuck?

Nein! Erstens führt die Klage zu nichts. Zweitens ist sie nicht begründet. Archäologische Themen sind bei Redakteuren durchaus beliebt. Regelmäßig finden sie Platz auf den Titelseiten großer Magazine. Die Fernseh-Programme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der ARD (die "dritten Programme") interessiert besonders der regionale Aspekt: Was passiert in unserem Sendegebiet? Eine hervorragende Chance für die Archäologen! Ebenso verhält es sich mit den Wissenschaftsstrecken der Hörfunkwellen. Sogar in kalendarischer Sicht ist Fortuna den Altertums-Forschern hold: Ausgrabungen finden häufig im Sommer statt, und während der großen Schulferien herrscht in Redaktionen Themenmangel – eine perfekte Gelegenheit, auf seine Forschungsarbeit aufmerksam zu machen.

Wer als Wissenschaftler wirklich mit Massenmedien arbeiten möchte, hat mit diesem Willen den ersten und wichtigsten Schritt getan. Wer die unterschiedlichen Bedingtheiten der anderen Seite begreift (es sind viele mehr als hier knapp angerissen) und akzeptiert, den zweiten. Das andere ist Handwerk, das in kleinem oder größerem Umfang erlernt werden kann.

Das Handwerk

 

Eine Gelegenheit, den Umgang mit Massenmedien zu schulen und mehr über sie zu erfahren, bietet ein Medientraining speziell für Archäologen. Ein solches findet auf dem diesjährigen Kongress der European Association of Archaeologists statt:

"Archaeology and the Popular Media: A Workshop on Getting the Message Across." – Ziel dieses eintägigen Workshops ist es, Archäologen den Umgang mit Medien vertrauter zu machen. Ein Schwerpunkt werden die unterschiedlichen Bedürfnisse von Fernsehen, Hörfunk, Print und Internet gegenüber wissenschaftlichen Themen sein. Was können Archäologen tun, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen? Wie ist ein guter Pressetext geschrieben und strukturiert? Wie kann die Wahrscheinlichkeit verringert werden, dass sich Fehler in journalistische Beiträge einschleichen?

Praktische Übungen werden Teil des Workshops sein. Teilnehmer mit und ohne Vorerfahrung mit Massenmedien sind gleichermaßen willkommen. Die Sprache, in der der Workshop gehalten ist, wird Englisch sein. Für dieses Medientraining fallen außer den Kongresskosten keine zusätzlichen Gebühren an.

 

Organisatoren/Trainer sind:

Diane Scherzler, Archäologin, Media Advisor Europe for the World Archaeological Congress, langjährige Redakteurin beim Südwestrundfunk.

Gerry Wait , Direktor Heritage and Archaeology in einer multidisziplinären Beratungsfirma mit Büros in verschiedenen Ländern.