Von der Stele zur Stadt
Ausgrabungen in Hamadab/Sudan
Zu Herodots Zeiten noch die südlichste Hauptstadt der Welt, kann sich Meroe heute zumindest noch der südlichsten Pyramiden Afrikas rühmen. Das Ruinenfeld der Stadt ist einer der wenigen geschützten archäologischen Parks im modernen Sudan.
In den Jahren 1909 bis 1914 zog es John Garstang und seine Liverpooler Ausgrabungsmannschaft in die „Royal City“ von Meroe, ein Stadtbezirk, in der einst das Königshaus, Priester und Beamte der Meroiten – so die heutige Bezeichnung der Niltalbewohner des 3. Jh. v. Chr. bis 4. Jh. n. Chr. – residierten. Dieser war mit ungewöhnlich starken Sandsteinmauern befestigt: Es musste sich also um das bedeutendste, wenn nicht gar einzige urbane Zentrum im südlichen Niltal handeln.
Gegen Ende der Mission wurde Garstang von seinen Arbeitern auf zwei Sandsteinstelen aufmerksam gemacht, die unweit von Meroe bei dem kleinen Nildorf Hamadab aus dem Sand ragten. Er entschloss sich zu deren Freilegung und förderte die bis dahin längsten bekannten meroitischen Texte zu Tage. Die Stelen markierten den Eingang eines Tempels, der völlig von der Oberfläche verschwunden war.
Ursache war die Bauweise des Heiligtums: Während in Meroe die meisten Repräsentationsbauten aus Stein errichtet worden waren, bestanden die Mauern in Hamadab aus luftgetrockneten Schlammziegeln, die lediglich an der Schauseite mit rot gebrannten Ziegeln verkleidet worden waren. Handelte es sich tatsächlich - wie Garstang meinte - um einen externen Tempel, der die Nähe der Hauptstadt ankündigen sollte?
Nach der britischen Grabung blieb Hamadab lange unberührt. Erst im Jahre 2001 - 87 Jahre später - erhielt eine sudanesisch-deutsche Expedition unter Beteiligung der Humboldt-Universität zu Berlin, der staatlichen Altertümerverwaltung des Sudan und der Universität Shendi eine Grabungslizenz. Ziel dieser über 5 Jahre angelegten Kooperation ist die archäologische Erforschung dieses Ortes durch sudanesische und deutsche Archäologiestudenten, die hier ein gemeinsames Grabungspraktikum unter Anleitung deutscher Wissenschaftler absolvieren.
Schon während der ersten Kampagne unter der Leitung von Dr. Pawel Wolf wurde klar: Zwei von antikem Schutt übersäte Siedlungshügel, die sich über die beträchtliche Länge von 750 Metern entlang des Nils erstrecken, ließen weitere Bauten unter dem Sand erwarten.
Nach der Lokalisierung der Garstangschen Altgrabung, die nur mit Hilfe von alten Fotografien möglich war, wurden zwei Testschnitte in den inzwischen wieder zugewehten Tempel des Nordhügels gelegt. Sie trafen den Eingang zum Sanktuar und die Ausgräber auf eine unerwartete Überraschung: In einer Raumecke, deren Verfüllung Garstangs Arbeitern als Einstieg gedient hatte, wurde eine kleine Bronzestatuette entdeckt.
Das bemerkenswerte Exemplar meroitischer Kleinkunst stellt einen König dar. Anfängliche Vermutungen, es handle sich um den einheimischen Gott Sebiumeker, wurden nach der Restaurierung durch Metallkonservatoren der Museumsinsel in Berlin nicht bestätigt. Eine Namensinschrift fehlt. Dagegen hatten sich auf der größeren der beiden von Garstang gefundene Stelen, die heute im British Museum zu sehen ist, eine Königin Amanirenas und ein Prinz Akinidad verewigt. Der Großteil der Inschrift bleibt jedoch bis heute unverständlich, und unbekannt sind damit auch die Ereignisse, die zu ihrer Aufstellung führten.
Um die Bebauung der Tempelumgebung zu untersuchen, wurden in der zweiten Kampagne 2002 großräumige Flächen geöffnet. Nur vom "Flugsand" bedeckt, erschienen bereits in geringer Tiefe regelmäßig die obersten Lagen von Schlammziegelmauern. Aber erst in einem zusammenhängenden Planum von ca. 2000 m² Ausdehnung offenbarten sie ihre Struktur: Kleine Räume mit zugehörigen Innenhöfen reihten sich zu Häuservierteln, die von engen, sich kreuzenden Straßen durchzogen wurden.
Vor dem Tempel ließ dazu ein breiter, befundleerer Streifen eine in Richtung Nil führende Prozessionsstraße erkennen. Damit war eine anscheinend regelhaft geplante Stadt freigelegt worden, in die sich das Heiligtum wie selbstverständlich einfügte.
Des öfteren fanden sich in den Innenräumen Spuren von rotem, seltener von weißem Wandputz. Einstige Schwellen oder Durchgänge gaben sich durch rot gebrannte Ziegel zu erkennen. Die fast bis auf die Grundmauern erodierten Räume waren nun mit Sand, Schutt und Ascheablagerungen gefüllt, die zahlreiche Kleinfunde bargen.
Die virtuelle Rekonstruktion erweckt die Vorstellung von engen, schattenspendenden Gässchen, gesäumt von Lehmbauten, die sommers wie winters eine angenehme Atmosphäre garantierten.
Diese Rekonstruktion entstand übrigens innerhalb des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojektes "Antikes Niltal VR", an dem die Abteilung Kairo des Deutschen Archäologischen Instituts und die ixl-AG unter der Leitung der Berliner Firma für Medientechnologie Art+Com AG teilnehmen.
Im Sommer 2001 wurde Hamadab in dieses von Steffen Kirchner initiierte Projekt integriert, um hier den Prototyp eines 3D-basierten Echtzeit-VR-Dokumentationssystems für archäologische Ausgrabungen zu entwickeln.
Die von Art+Com entwickelte 3D-basierte Virtual-Reality-Software ermöglicht dabei die Kombination, Darstellung und Auswertung der archäologischen Daten in einem virtuellen dreidimensionalen Raum in Echtzeit .
Unter den Funden sind große Mengen an Keramik hervorzuheben, darunter die feine meroitische Kaolinware, die häufig mit filigranen Stempelmustern und polychromen Bemalungen versehen wurde. Sie diente als Ess- und Trinkgeschirr, während grobe Drehscheibenware Vorratsgefäße u.ä. lieferte. Importierte Amphoren zeugen vom Kontakt zur mediterranen Welt, während verzierte, handgemachte Gefäße in einer nordostafrikanischen Tradition stehen.
Die Vielseitigkeit der meroitischen Handwerkskunst illustrieren Funde wie Fayencen, darunter die Darstellung einer ihre Jungen säugenden Löwin, Perlen aus Schmucksteinen oder Straußeneischalen, Glasfragmente, Spinnwirtel sowie ein goldener Ohrring.
Für eine lokale Eisenproduktion sprechen mehrere umliegende Schlackehügel außerhalb der Stadtmauer, sowie die Funde von Tonröhren (tuyères) mit anhaftender Schlacke.
Überraschenderweise wurden innerhalb der Siedlung jedoch kaum Eisenobjekte gefunden, zudem ist der zeitliche Bezug der Schlackereste zu der - anhand von Keramik in das 1. Jh. v. Chr. bis 3. Jh. n. Chr. datierten - Bebauung, noch zu klären.
Stein war sicherlich nach wie vor ein beliebter Werkstoff: Neben zahlreichen Reib- und Picksteinen war beispielsweise eine einzelne Pfeilspitze sorgfältig aus Feuerstein gearbeitet. Dazu fand sich bereits auf der Oberfläche eine große Anzahl an so genannten Archer's looses - Daumenringen, wie sie von Bogenschützen benutzt wurden. Sie sollten das Spannen der Bogensehne erleichtern oder auch die heftig auf den Daumen zurückschnellende Sehne abfangen.
Die aus Hartgestein herausgeschliffenen und durchbohrten Ringe dürften Prestigewert besessen haben, da sich auch Könige bewusst mit einer Bogenausrüstung und dem aufgesteckten Daumenring auf Reliefs abbilden ließen.
Alle in Hamadab gefundenen Stücke sind zerbrochen, weiterhin fanden sich Hinweise auf Halbfabrikate. Aufgrund der Menge zieht Grabungsleiter Wolf eine Präsenz von meroitischem Militär in Betracht und vermutet das Vorbild für Hamadab in befestigten Militärlagern, deren Baunormen zusammen mit der römischen Expansion nach Nordafrika gelangten.
Die schon aus der britischen Altgrabung bekannte "Temenosmauer", eine gewaltige, mit gebrannten Ziegeln verblendete Lehmziegelstruktur, stellte sich schließlich als Teil der Stadtbefestigung heraus, da ihr Verlauf nicht auf den Tempelbezirk beschränkt blieb. Entsprechend war es das Ziel der folgenden Kampagne 2003, durch die Verfolgung der Stadtmauer die Ausdehnung der Stadtbebauung einzugrenzen.
Testschnitte im Norden der Stadt lieferten tatsächlich das erhoffte Resultat: Teile der anscheinend rechtwinklig abknickenden Mauer, die parallel zur so genannten Prozessionsstraße laufen, wurden erfasst. Im Süden konnte sie dagegen trotz eines 100 Meter langen Suchschnittes noch nicht lokalisiert werden: Im Gegenteil deuten dicht beieinander liegende Gebäudereste an, dass eine noch wesentlich großflächigere Stadtbebauung angenommen werden muss.
Letztlich umfasst die archäologisch erschlossene Fläche nur einen Bruchteil des Nordhügels. So zeigt sich der Fundplatz Hamadab als Teil einer antiken, perlenschnurartig gereihten Siedlungslandschaft des oberen Niltals und bietet noch auf lange Sicht ein Betätigungsfeld für Archäologen(generationen).
Literatur
- J. GARSTANG 1914-1916, Fifth Interim Report on the Excavations at Meroe in Ethiopia, LAAA 7, S. 1-24.
- P. WOLF 2002a, Die Ausgrabungen in Hamadab bei Meroe - Erste Kampagne, Frühjahr 2001, Der antike Sudan 13, 92-104.
- P. WOLF 2002b, Die Ausgrabungen in Hamadab bei Meroe - Zweite Kampagne, Frühjahr 2001, Der antike Sudan 13, 105-111.
- P. WOLF 2002c, Life in a Meroitic town - The Domat al Hamadab Excavations, Common Aims, Sudanese-German Co-operation in Archaeology, National Museum Khartoum 2003, 29-31.
- P. WOLF 2002d, Neue Stadtforschungen im Sudan - Die Siedlungsgrabungen in Hamadab bei Meroe, Kemet 12.3, 67-69.
Kontakt
Hamadab Expedition
Projektleitung Dr. Pawel Wolf
c/o Seminar für Ägyptologie und Sudanarchäologie,
Humboldt-Universität zu Berlin
Prenzlauer Promenade 149-152
D-13189 BERLIN
tel 030-4797328
fax 030-4797326
www.hamadab.de