Epiklassikum in Nordyucatán
Siedlungsarchäologie in Südost-Mexiko
Ein Projekt des Institutes für Altamerikanistik und Ethnologie der Universität Bonn in Kooperation mit dem Instituto Nacional de Antropología e Historia, Centro Regional de Yucatán, Mexiko.
Das Institut für Altamerikanistik und Ethnologie der Universität Bonn führt seit Anfang der 90er Jahre in Kooperation mit der mexikanischen Altertumsbehörde (INAH-CRY) Grabungen in Xkipché, nahe der bekannten Ruinenstätte von Uxmal im Norden der Halbinsel Yucatán durch.
Der erste Abschnitt des Projektes befasste sich von 1991 - 1997 in erster Linie mit Fragen der Abfolge von Architekturstilen im Puuc Gebiet, also deren relativ- und absolutchronologischer Einordnung. Die im dichten Buschwald Yucatáns zahlreich erhaltenen Steingebäude der spätklassischen Maya-Kultur lassen sich anhand ihrer architektonischen Merkmale wie beispielsweise Gliederung der Baukörper, Fassadenschmuck etc. klassifizieren. Es fehlte allerdings lange eine fundierte baustratigraphische Absicherung der zunächst eher im Sinne einer typologischen Reihe angelegten Stilsequenz (Andrews 1986, 1995).
Das sogenannte 'Palastgebäude' im Zentrum von Xkipché - ein zweistöckig erhaltener Komplex mit über 50 Räumen - bot für dieses Anliegen gute Voraussetzungen: Er wurde vielfach um- und überbaut, die angrenzenden Freiflächen wie auch die Böden und Wände der Fassaden und Innenräume wurden wiederholt mit dicken Stuckschichten überzogen, welche Befunde wie Gräber, Opferdepots aber auch Siedlungsmüll versiegeln und sich ihrerseits direkt mit Baumaßnahmen am Palast in Beziehung setzen lassen.
Als Ergebnis dieser Arbeiten konnte für Xkipché eine stratigraphisch fundierte Periodisierung erarbeitet werden, die die Zeit von etwa 500 v. Chr. bis etwa 1050 n. Chr. umfasst. Neben den Ausgrabungen wurde der gesamte Fundort (ca. 70 ha) kartiert. Eine Bearbeitung der Keramik jenseits des in Mexiko üblicherweise angewandten Type-Variety-Systems wurde im Rahmen einer Dissertation an der Universität Bonn vorgenommen. Sie stützt die baustratigraphisch basierte Periodisierung (Vallo 2002).
Bei den Arbeiten am Palastgebäude zeigte sich, dass dieses offensichtlich mitten in einer Umbaumaßnahme aufgegeben wurde: der Bau eines zweiten Stockwerkes wurde angefangen, aber nicht vollendet (Reindel 1997) - eine Beobachtung, die in Xkipché für mindestens 12 Gebäude gilt und die sich auch an anderen Fundorten der Puuc-Region wiederholt, so beispielsweise in Uxmal, Kabah, Sayil, Labná oder Chunhuhub.
Dies allein war zunächst keine Überraschung - die These von einer plötzlichen und vollständigen Auflassung der Maya-Siedlungen des Puuc im Spätklassikum, vermutlich aus einer Kombination von klimatischen/politischen und wirtschaftlichen Gründen heraus, war in ihren Grundzügen lange etabliert.
Das eigentlich überraschende in Xkipché waren jedoch die sich häufenden Hinweise, dass mit dem Ende der Bauaktivitäten an den steinernen Großbauten um 950/1000 n. Chr. nicht auch das Ende der Besiedlung des Ortes einherging: Die Anwesenheit einer späten - wenn auch zahlenmäßig und ökonomisch deutlich schwächeren - 'epiklassischen' Bevölkerung in Xkipché lässt sich an vielen Punkten nachweisen.
Sorgfältig behauene Steine aus der Fassade des 'Palastes' wurden zur Pflasterung von Böden zweckentfremdet, unter einer fliegenden Treppe wurde durch Zumauern der Seiten Wohnraum geschaffen, breite Eingänge repräsentativer Gebäude wurden verkleinert, um dahinter geschützte Innenräume zu schaffen, die sorgfältig bearbeiteten Steine älterer Gebäude wurden für neue Fundamentmauern verbaut, die Aufbauten aus pflanzlichem Material trugen.
Ein Befund außerhalb des Ortszentrums lässt auf die gewaltsame Demolierung einer Fassade schließen, deren Schmuckelemente herausgebrochen und um das Gebäude herum verstreut gefunden wurden.
Basierend auf diesen Ergebnissen ist im Dezember 2001 ein zweites von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziertes Projekt in Xkipché initiiert worden. Dieses Projekt hat zum Ziel, die Zeit zwischen der Aufgabe der Großgebäude und dem höchstwahrscheinlich damit verbundenen Abzug der Elite Xkipchés und der endgültigen Aufgabe der Siedlung durch die zunächst dort verbliebenen Bewohner zu erforschen.
In der ersten von drei geplanten Grabungskampagnen wurde dafür ein Gebäudetyp untersucht, der in den Fundorten der Umgebung, so in Sayil und in Uxmal, wiederholt beobachtet und als zeitlich spät eingestuft wurde. Es handelt sich hierbei um flache Plattformen aus trocken vermauertem Bruchgestein, die dreiseitige ('c-förmige') Grundmauern tragen, häufig aus sekundär vermauerten älteren Fassadensteinen.
Diese Gebäudeform tritt häufig in Gruppen von mehreren in Reihen angeordneten Einzelplattformen auf Plätzen innerhalb der alten Ortszentren auf, wo sie allerdings die räumliche Konzeption der älteren Anlagen stören. Sechs dieser 'c-förmigen' Gebäude konnten von Januar bis April 2002 archäologisch untersucht werden.
Ihre absolutchronologische Einordnung gestaltet sich bisher schwierig: die späten, bis heute obertägig sichtbaren Plattformen mit ihren Aufbauten lagen unter dichter Vegetation und sind stark vom rezenten Baumbewuchs durchwurzelt. Brandspuren an und unmittelbar unter der heutigen Oberfläche belegen wiederholte Buschbrände. Geeignete Proben für eine 14C-Datierung ließen sich nur aus stratigraphisch eindeutig früheren geschlossenen Funden wie Gräbern gewinnen und können im Rahmen der aktuellen Fragestellung nur einen terminus post quem liefern.
Relativchronologisch ließ sich grundsätzlich die späte Stellung der 'c-förmigen' Gebäude bestätigen, sie bilden den Abschluß einer langen Abfolge von Bauphasen.
Sie wurden direkt auf einen frei liegenden und unzerstörten Stuckboden aufgesetzt, was eine längere Unterbrechung der Besiedlung Xkipchés vor ihrer Errichtung unwahrscheinlich macht. Des weiteren zeigt sich, dass sie über eine längere Zeit genutzt worden sein müssen, denn es ließen sich verschiedene Umbaumaßnahmen nachweisen, wie das Zusetzen von Durchgängen, Anbauten von Treppenstufen und niedrigen Podesten an die Plattformkanten u.s.w.
Anhäufungen von Müll, wie sie hinter und neben Wohngebäuden der klassischen und spätklassischen Maya häufig gefunden werden, gab es hier allerdings nicht. Eine funktionale Interpretation bleibt damit schwierig: zerscherbte Gebrauchskeramik, zerbrochene einfache Obsidianklingen und grob gearbeitetes Werkzeug aus Silex - das von Wohngebäuden im Puuc-Gebiet bekannte Repertoire - lagen um die Plattformen herum.
Funde 2002:
(1) Bastklopfer, (2) Pailletten aus Schneckengehäusen, (3) Teil eines Ohrpflockes aus dem Gebäude einer Meeresschnecke, (4) Teil einer Kette aus dem Gebäude einer Meeresschnecke, (5) Teil eines Inlays aus Perlmutt, (6) Fragmente von Speerspitzen und einfache Silexabschläge, (7) Obsidianklingenfragmente, (8) Fragment einer Lanzenspitze oder eines Messers, (9) Gehäuse einer Meeresschnecke, (10) Perlen aus Jade und poliertem Kalkstein, (11) Meeresmuschelschalen und Meeresschneckengehäuse.
(Foto: Universität Bonn)
Reibsteine, die üblicherweise in der unmittelbaren Nachbarschaft von Wohngebäuden häufig zu finden sind, fehlen allerdings. Die Öffnung einer Wasserzisterne wurde zwar von einem der Gebäude überbaut, jedoch so ausgespart, dass der Zugang weiterhin möglich blieb. Grabungen in der Zisterne haben gezeigt, dass sie genutzt, aber zumindest in der Endzeit ihrer Nutzung nicht mehr gereinigt wurde.
Die späten Bewohner Xkipchés mussten offensichtlich alle zur Verfügung stehenden Mittel zur Wasserspeicherung nutzen (oberflächige Wasservorkommen wie Flüsse oder Seen gibt es im Puuc-Gebiet nicht), haben die alten Anlagen dabei aber weder gewartet, noch neue angelegt. Dies entspricht dem allgemeinen Eindruck, dass in der letzten Phase der Besiedlung Xkipchés dort eine Bevölkerung lebte, der die ökonomische Kraft - möglicherweise auch die technologischen Voraussetzungen sowie das gesellschaftliche Organisationsniveau - fehlte, größere Bauvorhaben zu realisieren bzw. den Erhalt der vorhandenen Strukturen zu sichern.
Im Frühjahr 2003 soll eine weitere Grabungskampagne in Xkipché stattfinden. Wir wollen zwei ebenfalls späte kleinere Gruppen von Gebäuden untersuchen, die in ihrer Bauweise den 'c-förmigen' Strukturen entsprechen, aber außerhalb des Siedlungszentrums von Xkipché um jeweils einen kleinen freien Platz mit einer Zisterne sowie einer Vielzahl bereits jetzt sichtbarer Reibsteine angelegt wurden, und bei denen es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Wohngebäude handelt. Über direkte Vergleiche von Aufbau und Fundinventar erhoffen wir uns u.a. auch weitere Fortschritte für die funktionale Interpretation der 2002 gegrabenen 'c-förmigen' Strukturen. Vor allem sollen die Untersuchungen aber einen Beitrag zur Erforschung der Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung zur Zeit des Spät- und Epiklassikums liefern - ein Themenkomplex, der von der Maya-Archäologie Yucatáns zugunsten von Grabungen in den repräsentativen Siedlungszentren bis in die jüngste Zeit stark vernachlässigt worden ist.
Dr. Iken Paap
Institut für Altamerikanistik und Ethnologie
der Universität Bonn
Römerstr. 164
D - 53117 Bonn
www.voelk.uni-bonn.de
Literatur
- Andrews, George F. 1986, Los estilos arquitectónicos del Puuc: una nueva apreciación (Colección Científica, Serie Arqueológica). México: INAH
- Ders. 1995, The Puuc regions and arquitectural styles: a reassessment. In: G. F. Andrews (Hg.), Architecture of the Puuc region and the northern plains areas (Pyramids and palaces, monsters and masks: the golden age of Maya arquitecture I), 2-131. Lancaster: Labyrinthos
- Prem, Hanns J. (Hg) 1994, Hidden among the hills: Maya archaeology of the Northwest Yucatan Peninsula / First Maler Symposium, Bonn, 1989 (Acta mesoamericana 7). Möckmühl: Flemming
- Ders. 2000, Geschichte eines Mayapalastes - Ausgrabungen in Xkipché, Yucatán. Antike Welt 30(6): 545-554
- Reindel, Markus 1997, Xkipché. Eine Maya-Siedlung im nördlichen Yucatán, Mexiko. Beiträge zur Allgemeinen und Vergleichenden Archäologie 17, 177-255
- Vallo, Michael 2002, Die Keramik von Xkipché (British Archaeological Reports : International Series ; 1056). Oxford : Archaeopress