Wie Meeresgischt unser Bild der Vergangenheit verwischt
Herkunft und Lebensweise prähistorischer Menschen, Umweltbedingungen der Vergangenheit oder das Alter archäologischer Proben – all das können Forschende rekonstruieren, indem sie die Verhältnisse bestimmter stabiler Isotope in Knochen, in Zähnen oder in anderen organischen Überresten bestimmen. Doch die Interpretation der Messergebnisse kann in die Irre führen, wenn unzureichend bekannte Faktoren Einfluss auf die Isotopenverhältnisse in den Proben genommen haben. »Um bei unseren Analysen korrekte Ergebnisse zu erhalten, müssen wir alle zusätzlichen Einflüsse genau kennen – zum Beispiel den der Gischt auf die Küstenumwelt«, sagt Dr. Andrea Göhring von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).
Die Biologische Anthropologin leitet ab sofort eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe an der CAU, die sich dieser typischen Fehlerquelle bei Isotopenanalysen widmet. Für ihre Forschungen zum Sea-Spray-Effekt erhält Andrea Göhring über insgesamt sechs Jahre rund 1,9 Millionen Euro. Das interdisziplinäre Projekt schlägt eine Brücke zwischen dem meereswissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt der CAU, Kiel Marine Science (KMS), und den Forschungen des Exzellenzcluster ROOTS zu Verknüpfungen von Mensch und Umwelt in der Vergangenheit.
Meeresgischt verändert Isotopenverhältnisse an Land
»Die Interpretation von Isotopenanalysen dient der Datierung archäologischer Proben oder der Rekonstruktion vergangener Lebenswelten. Hierbei unterscheiden sich allerdings die Isotopenverhältnisse an Land und im Meer«, erläutert Andrea Göhring den Hintergrund des Projekts. Wind und Wellen erzeugen ständig Aerosole über dem Meer, in denen organische und anorganischen Verbindungen enthalten sind. Über die Luft gelangen sie an Land und lagern sich dort ab. Pflanzen, Tiere und Menschen nehmen sie auf. So ändern sich die Isotopenverhältnisse in deren Organismus. »Das betrifft nicht nur die unmittelbare Küstennähe, sondern ist je nach Lage und Wind bis zu 100 Kilometer landeinwärts wirksam«, erläutert Dr. Göhring.
Ausmaß und Veränderlichkeit dieses Sea-Spray-Effekts sind allerdings kaum bekannt und können deshalb bislang bei entsprechenden Analysen nicht zuverlässig korrigiert werden. Um das zu ändern, wird Andrea Göhring mit ihrem Team zunächst den Gischt-Effekt in der Isotopensignatur derzeit lebender Pflanzen und Säugetiere an Nord- und Ostsee untersuchen.
Experimente geben Auskunft über aktuelle Gischt-Effekte
Dazu erzeugt das Team unter anderem einen Gischt-Effekt unter kontrollierten Bedingungen im Gewächshaus und untersucht Auswirkungen von Gischt auf die Isotopenverhältnisse in Schafwolle. »So können wir die Größenordnung des lokal zu erwartenden Sea-Spray-Effektes für verschiedene Isotopensysteme bestimmen«, sagt die Forscherin. Die Ergebnisse dieser und anderer Untersuchungen fließen anschließend in Modellrechnungen ein. Für die Auswertung der dabei anfallenden Daten mit neuesten Data-Mining-Methoden arbeitet Andrea Göhring eng mit dem Institut für Informatik an der CAU zusammen. Veränderungen im Ausmaß des Sea-Spray-Effekts, die etwa in Folge klimatischer Veränderungen aufgetreten sind, wird das Team mittels archäobotanischer Proben ermitteln. So erstellt die Arbeitsgruppe von Andrea Göhring Isotopenkarten für die Nord- und Ostseeküste und wendet die gewonnen Erkenntnisse auf archäologische Funde an.
Ein schärferer Blick auf vergangene Welten
»Die Meeresgischt hat unseren Blick auf die Vergangenheit in Küstenregionen bislang teilweise verfälscht oder doch zumindest getrübt. Wir wollen der Forschung Hilfsmittel an die Hand geben, um bei Isotopenanalyen an archäologischen Proben den Sea-Spray-Effekt zuverlässig korrigieren zu können. Dann schärft sich auch unser Bild von der Vergangenheit«, fasst Andrea Göhring die Ziele ihres Projekts zusammen.
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