Wie das Huhn zum Menschen kam und seinen Weg nach Europa fand

In zwei kürzlich veröffentlichten Studien fanden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, dass der voranschreitende Reisanbau wahrscheinlich dazu führte, dass Hühner zu einem der weitverbreitetsten Tiere der Welt wurden. Weitere Untersuchungen ergaben, dass Hühner zunächst als Exoten galten und erst einige Jahrhunderte später zum "Nahrungsmittel" avancierten. Die Forschungsergebnisse zeigen die Umstände und den Zeitpunkt der Domestikation von Hühnern, ihre Ausbreitung über Asien in den Westen und die Veränderung ihrer Rolle in den Gesellschaften während der letzten 3.500 Jahre.

Haushahn
Haushahn (Foto: Markus Unsöld, SNSB - Zoologische Staatssammlung München)

In früheren Arbeiten wurde angenommen, dass Hühner vor bis zu 10.000 Jahren in China oder Südostasien domestiziert wurden und dass sie auch in Europa schon vor über 7.000 Jahren vorkamen. Die zwei neuen Studien zeigen nun, dass diese Annahme falsch ist. Das Forschungsteam denkt, dass die treibende Kraft hinter der Domestikation von Hühnern die Einführung des Trockenreisanbaus in Südostasien gewesen sein dürfte, wo ihr wilder Vorfahr, das rote Dschungelhuhn, lebte. Der Trockenreisanbau wirkte wie ein Magnet, der die wilden Dschungelhühner aus den Wäldern in menschliche Siedlungen lockte - offenbar der Katalysator für eine engere Beziehung zwischen Mensch und Dschungelhuhn, aus der schließlich das Haushuhn hervorging.

Der Domestizierungsprozess ist ab 1.500 v. Chr. auf der südostasiatischen Halbinsel nachweisbar. Die Forschungen deuten darauf hin, dass die Hühner zunächst durch Asien und erst zu Beginn des erstens Jahrtausends v.Chr. über die von den frühen griechischen, etruskischen und phönizischen Seehändlern genutzten Routen in den Mittelmeerraum transportiert wurden. »Zusammen mit der insgesamt sehr anpassungsfähigen, im Wesentlichen auf Getreide basierenden Ernährung der Hühner spielten die Seewege eine besonders wichtige Rolle bei der Verbreitung der Hühner nach Asien, Ozeanien, Afrika und Europa.«, sagt Prof. Joris Peters von der Staatssammlung für Paläoanatomie München sowie der LMU München.

Die aktuellen Untersuchungen zeigen, dass einige der frühesten Hühner in Europa einzeln und auch ungegeschlachtet vergraben wurden. Viele der Hühner finden sich auch in menschlichen Gräbern, je nach Geschlecht der bestatteten Person entweder Hähne oder Hennen. Erst später während der Römerzeit wurden Hühner und Eier auch als Nahrungsmittel populär. In Britannien z. B. verzehrten die Menschen Hühner erst ab dem dritten Jahrhundert nach Christus regelmäßig, vor allem in städtischem und militärischem Kontext. Prof. Naomi Sykes von der Universität Exeter erläutert: »Der Verzehr von Hühnern ist heute so weit verbreitet, dass die Menschen glauben, wir hätten sie immer schon gegessen. Unsere Erkenntnisse zeigen, dass unsere Beziehung zu Hühnern in der Vergangenheit viel komplexer war und dass Hühner jahrhundertelang gefeiert und verehrt wurden«. »Die Tatsache, dass Hühner heute so allgegenwärtig und beliebt sind, obwohl sie erst vor relativ kurzer Zeit domestiziert wurden, ist verblüffend. Unsere Forschung unterstreicht die Bedeutung solider osteologischer Vergleiche, sicherer stratigrafischer Datierungen und der Einordnung früher Funde in einen breiteren kulturellen und ökologischen Kontext.«, ergänzt Dr. Ophélie Lebrasseur vom CNRS/Université Toulouse Paul Sabatier und dem Instituto Nacional de Antropología y Pensamiento Latinoamericano.

Das internationale Expertenteam wertete Überreste von Hühnern von mehr als 600 Fundorten in 89 Ländern aus. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten dabei nicht nur die Knochen, sondern auch die Fundumstände und, soweit vorhanden, schriftliche Quellen aus der jeweiligen Region der Funde. Die ältesten erhaltenen Knochen des Haushuhns wurden in Ban Non Wat in Zentralthailand gefunden und stammen aus der Zeit zwischen 1.650 und 1.250 vor Christus.

Mittels C14-Datierung bestimmte das Forscherteam das Alter von 23 Knochenfunden der frühesten Hühner aus Europa und Nordwestafrika unabhängig vom Fundkontext. Die meisten der Knochen waren dabei viel jünger als bisher angenommen. Die Ergebnisse widersprechen der Behauptung, dass Hühner in Europa bereits 6.000 v. Chr. lebten; sie deuten vielmehr darauf hin, dass sie erst um 800 v. Chr. nach Europa kamen. Nach der Ankunft im Mittelmeerraum dauerte es dann beinahe weitere 1.000 Jahre, bis sich Hühner in den kälteren Klimazonen Schottlands, Irlands, Skandinaviens und Islands etablierten. »Dies ist das erste Mal, dass Radiokohlenstoffdatierungen in diesem Ausmaß verwendet wurden, um die Bedeutung von Hühnern in frühen Gesellschaften zu bestimmen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es notwendig ist, frühe Funde direkt zu datieren, da dies uns das bisher klarste Bild unserer frühen Interaktionen mit Hühnern liefert.«, erklärt Dr. Julia Best von der Universität Cardiff.

Vergleich von Knochen moderner Hühner mit denen aus archäologischen Fundstätten
Vergleich von Knochen moderner Hühner mit denen aus archäologischen Fundstätten – wie hier Unterschenkelknochen zweier Hühner. (Foto: Jonathan Rees, Universität Cardiff)
Publikation

Peters J, Lebrasseur O, Irving-Pease E, Paxinos PD, Best J, Smallman R, Callou C, Gardeisen A, Trixl S, Frantz L, Sykes N, Fuller D, Larson G

The biocultural origins and dispersal of domestic chickens

PNAS. 6.6.2022
DOI: 10.1073/pnas.2121978119

Publikation

Best J, Doherty S, Armit I, Boev Z, Büster L, Cunliffe B, Foster A, Frimet B, Hamilton-Dyer S, Higham T, Lebrasseur O, Miller H, Peters J, Seigle M, Skelton C, Symmons R, Thomas R, Trentacoste A, Maltby M, Larson G & Sykes N

Redefining the timing and circumstances of the chicken’s introduction to Europe and north-west Africa

Antiquity. 7.6.2022
DOI: 10.15184/aqy.2021.90

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