Weltgrößte Fotosammlung koptischer Handschriften erleichtert Verständnis der Bibel
Wie sah die Bibel ursprünglich aus? Wie feierten die koptischen ChristInnen vom 4. bis ins 8. Jahrhundert ihre Gottesdienste, und welche liturgischen Elemente sind heute noch erhalten? Um diese Fragen zu beantworten, müssen die ältesten vorhandenen Übersetzungen herangezogen werden, zu denen neben lateinischen und syrischen auch die koptischen – also frühägyptischen – zählen. Doch es gibt ein Überlieferungsproblem: Die ältesten dieser Schriften sind auf Papyrus überliefert, das schneller zerfällt als Pergament.
Zudem kam es im Zusammenhang mit Christenverfolgungen in der Antike immer wieder zu Bücherverbrennungen – oder die Bücher sind aus anderen Gründen verloren gegangen. »Die Gier mancher Ausgräber und Handschriftensammler führte dazu, dass die Schriften heute als einzelne Blätter in aller Welt verstreut sind: Denn der Verkauf einzelner Blätter brachte mehr Geld als der Verkauf der gesamten Handschrift«, schildert Hans Förster vom Institut für Alttestamentliche Wissenschaft und Biblische Archäologie der Universität Wien.
Weltweite Suche
Karlheinz Schüssler hat sich dem Zusammentragen dieser Handschriften verschrieben. Der deutsche Koptologe wechselte nach seinen Studien der Theologie und Ägyptologie in Münster in die Privatwirtschaft, blieb aber seiner Leidenschaft treu: Auf diversen Urlaubsreisen und mit viel Geduld hat er in den vergangenen vierzig Jahren die einzelnen Blätter koptischer Handschriften im Vatikan, in Kairo, Barcelona, London oder Paris ausfindig gemacht, abfotografiert und zu ihren ursprünglichen Codices in seiner mehrbändigen »Biblia Coptica« zusammengeführt.
»Schüsslers Arbeit war ein großer Schritt: Nur wenn wir einen homogenen Text haben, können wir damit auch sinnvoll arbeiten, ihn richtig verstehen und interpretieren«, so Hans Förster, der bereits seit fünf Jahren mit dem passionierten Handschriftensammler kooperiert und derzeit an einer kritischen Edition des Johannesevangeliums arbeitet – eines der am besten bezeugten biblischen Bücher in der koptischen Überlieferung.
Die kritische Edition – ein Lebenswerk
Das vom mittlerweile 70-jährigen Schüssler zusammengetragene Material – über 240.000 digitalisierte Seiten alter koptischer Schriften – wird nun an die Universität Wien überführt. »Damit hat er die Grundlage für die Erforschung des koptischen Bibeltextes geschaffen, auf die wir heute aufbauen«, erklärt Förster. Jetzt gilt es, die noch unbearbeiteten Blätter und Fragmente auf ihren genauen Inhalt und ihre Zusammengehörigkeit zu untersuchen.
Nach dem Johannesevangelium warten fast alle neutestamentlichen Bücher auf die Erstellung eines kritischen Textes, der alle bekannten Handschriften berücksichtigt. In Münster wird derzeit an der Apostelgeschichte gearbeitet, in Paris am Markusevangelium: »Nach der Zusammenführung der Handschriften muss das Material ausgewertet werden – mit einer Gesamtausgabe der koptischen Bibeltexte als Endziel«, erklärt Förster, der sich den immensen Arbeitsaufwand mit KollegInnen am Institut für neutestamentliche Textforschung in Münster sowie mit WissenschafterInnen unter anderem in Paris, Cambridge und Birmingham teilt.
Wie aus Frauen Männer wurden
Dabei haben BibelforscherInnen bereits spannende Details gefunden. So steht im Römerbrief von Paulus (16:7): »Grüßt Andronikus und Junias, die zu meinem Volk gehören […]; sie sind angesehene Apostel und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt.« In dieser deutschen Übersetzung wird Junias als Mann dargestellt. Laut Förster ein Übersetzungsfehler. Denn im Griechischen lautet der Akkusativ für die weibliche als auch für die männliche Form Junian. Ab dem Mittelalter war es in unserer Gesellschaft nicht mehr vorstellbar, dass an dieser Stelle eine Frau erwähnt sein könnte, und so wurde aus ihr kurzerhand ein Mann. In der koptischen Version ist aber von Junia die Rede: »Die koptische Sprache dekliniert die Namen nicht, weshalb wir in der koptischen Überlieferung den eindeutigen Beweis haben, dass Junia sehr wohl von Paulus als weibliche Apostelin gegrüßt wird«, betont Förster.
Wahr oder falsch?
»Traduttore – Traditore«: das italienische Wortspiel bringt es auf den Punkt: Jeder Übersetzer (traduttore) sei ein Verräter (traditore), da er den Text nie wortwörtlich übersetzt, sondern immer wieder seine eigenen Interpretationen einfließen lässt. »Unsere Aufgabe ist es zu verstehen, was im Text Deutung und was wirklich auf die ursprüngliche Vorlage zurückzuführen ist. Das ist nicht immer einfach, da die Übersetzungen früher vergleichsweise frei waren«, sagt Förster, der nach dem Motto »unicum ergo dubium« arbeitet: Nur weil etwas einmal bezeugt wurde, heißt das nicht, dass es auch wirklich so war.
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