Weitere große Teile der Stadtmauer von Halle entdeckt
»Die Ausgrabungen tragen dazu bei, das hauptsächlich auf schriftlichen Quellen basierende Wissen zu erweitern und zu veranschaulichen. Die freigelegten Reste des ehemaligen Steintors und die jetzt ausgegrabene Mauer auf der Ostseite des Joliot-Curie-Platzes belegen die Wehrhaftigkeit der Saalestadt«, erklärt Dr. Caroline Schulz, Projektleiterin und Referentin für Mittelalter und Stadtarchäologie vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt.
»Die HAVAG nimmt die archäologischen und denkmalpflegerischen Arbeiten im Rahmen der Baumaßnahme sehr ernst. Daher unterstützen wir das Landesamt gern bei den Ausgrabungen mit zeitlichen, personellen und technischen Ressourcen«, betont Erhard Krüger, Bereichsleiter Infrastruktur der HAVAG und führt weiter aus: »Da für die Zeit der Ausgrabungen die Bauarbeiten an der jeweiligen Fundstelle ruhen müssen, haben wir in Absprache mit allen am Bau beteiligten Gewerken den Bauablauf und die Bautechnologie auf die archäologischen Arbeiten angepasst. Demnach wurden Arbeiten an anderer Stelle aufgenommen, die eigentlich zu einem späteren Zeitpunkt geplant waren, um die geplante Fertigstellung Ende April 2019 zu halten.« Auf den Fund des historischen Steintors 2018 reagierten die HAVAG/STRABAG in Abstimmung mit dem LDA sowie der Projektbeteiligten HWS umgehend und plante die Verlegung der unterirdischen Infrastruktur von Gas-, Elektro-, Abwasser- und Trinkwasserleitung sowie des Mischwasserkanals um.
Der Umfang der archäologischen Funde hat überrascht
Im Zuge der hochmittelalterlichen Stadterweiterung erhielt Halle im 12. Jahrhundert eine Stadtbefestigung, die in ihrer Ausdehnung bis ins 19. Jahrhundert bestehen blieb. Ihr Verlauf ist bis heute in den Straßenzügen Universitätsring – Moritzburgring – Robert-Franz-Ring – Hallorenring – Waisenhausring – Hansering noch erkennbar. Die Große Steinstraße durchzieht als historisch bedeutsame Ost-West-Achse das Stadtgebiet. Bereits seit Ende des 12. Jahrhunderts schützte ein steinernes Tor (1182 als porta lapidae erstmals erwähnt), das östliche Ende dieser Straße, die diesem Tor ihre Bezeichnung verdankt.
Mit der Verstärkung der Befestigung auf der Ostseite der Stadt wurde nach 1450 auch das Steintor ausgebaut und erhielt seine dreigestaffelte Form, die im Wesentlichen bis zum Abriss 1831/1832 bestand. Die früheste bildliche Darstellung der Stadtbefestigung samt Steintor findet sich auf einem Plan, den Gottfried Olearius 1667 in seiner Halygraphia Topo-Chronologica veröffentlichte. Danach erhob sich zur Innenstadt hin ein hoher Turm, es folgte in der Mitte das Torhaus und auf der Außenseite eine Streichwehr.
Erich Neuß hat in den 1920/30er Jahren den Bestand an Bild- und Schriftquellen zur Stadtbefestigung akribisch gesammelt und seine Rekonstruktion der halleschen Stadttore ist bis heute Stand der historischen Forschung. Die letztjährigen Freilegungen des Steintores und angrenzender Mauerzüge ließen sich grob mit dem Plan von Erich Neuß korrelieren. Inzwischen hat sich der Schwerpunkt der Ausgrabungen aus der Großen Steinstraße auf die Ostseite des Joliot-Curie-Platzes verlagert, wo die ca. 1,20 m breiten Fundamente der äußeren Stadtmauer fast auf der gesamten Länge des Platzes noch erhalten und durch den modernen Leitungsausbau betroffen sind. Nun erfolgt abschnittsweise die Freilegung und Dokumentation der Stadtmauerreste im Wechsel mit dem Leitungsbau.
Die inzwischen bekannte Lage der äußeren Stadtmauer und die Reste des Steintores im Gelände deuten darauf hin, dass die Gesamtmaße der Toranlage größer waren als von Erich Neuß rekonstruiert. Ferner tauchten weitere Mauerreste auf, die mit dem von Erich Neuß publizierten Plan nicht in Einklang zu bringen sind, wie beispielsweise zwei Außenmauern an jeder Zwingerseite. Ob es sich dabei möglicherweise um verschiedene Bauphasen handelt, kann beim derzeitigen Stand der Arbeiten noch nicht abschließend beurteilt werden.
Ein wichtiger Aspekt der öffentlichen Infrastruktur im frühneuzeitlichen Halle war die Versorgung mit Frischwasser. Die Archäologen konnten zahlreiche Holzwasserleitungen freilegen, meist aus Kiefernstämmen, seltener aus Fichte gefertigt. Mittels der Jahrringmethode ergibt sich eine Datierung in die Zeit zwischen 1500 und 1800. Mittlerweile sind mindestens drei unterschiedliche Wasserleitungssysteme erkennbar, die sich ergänzen und offensichtlich über einen längeren Zeitraum immer wieder erweitert und erneuert wurden.
Rätsel gibt noch eine tiefe runde Grube auf, die im Bereich des äußeren Steintores in den Felsen geschlagen war. Neben Keramik des 18. Jahrhunderts fanden sich darin ein Metallknopf, Holzspäne, Samen und Körner, sowie eine Vielzahl von Tonpfeifenfragmenten, die auf eine lange Tradition des Tabakkonsums in Halle hinweisen.
Die HAVAG passt ihre gesamte Bautechnologie den archäologischen Arbeiten an und wird aus heutiger Sicht die verkehrstechnische Inbetriebnahme Ende April schaffen.
RSS-Feeds @ Archäologie Online
- Nachrichten
- Videos
- Podcasts