Vom Seidentuch zur Reliquie
Der heilige Ambrosius ist der Schutzpatron der Krämer, Imker, Lebkuchenbäcker - und auch des Lernens. Deshalb zählen zu seinen Attributen neben Bienenkorb auch Buch und Geißel. Außerdem ist Ambrosius (339 bis 397) Stadtpatron von Mailand. Dort, in der nach ihm benannten Basilika Sant'Ambrogio, ruhen seine Gebeine. In Trier geboren schlug er zunächst die Politikerlaufbahn ein und wurde 374 zum streitbaren Bischof der Kaiserresidenz Mailand gewählt. Er forcierte die Reliquienverehrung, wird häufig im Katechismus zitiert, auf ihn gehen die ambrosianischen Gesänge zurück und er trägt den Ehrentitel "Kirchenvater". Weniger bekannt sind die in Sant'Ambrogio verwahrten Tuniken, die auf den Heiligen zurückgeführt und als Reliquien verehrt werden.
"Es handelt sich dabei um traumhaft schöne Gewänder aus kostbarer Seide, die dem Heiligen zugeschrieben werden", sagt Prof. Dr. Sabine Schrenk von der Abteilung Christliche Archäologie der Universität Bonn. Auf einem Tuch sind aufwändige Jagdszenen mit Bäumen und Leoparden eingewebt, das andere kostbare Textil ist dagegen schlichter gehalten. Der wissenschaftliche Nachweis, ob die Tuniken tatsächlich im späten vierten Jahrhundert entstanden, steht noch aus. Sehr viel später aber werden sie nicht gewebt worden sein. Und so zählen sie zu besonders wichtigen Zeugnissen für die Spätantike und die frühchristliche Epoche.
Im Lauf der vielen Jahrhunderte nagte der Zahn der Zeit an den berühmten Textilien. "Um die brüchigen Seidenfasern noch lange zu erhalten, ist es wichtig, dass sie von schädigenden Staubauflagen befreit werden", sagt die Kölner Textilrestauratorin Ulrike Reichert, die seit vielen Jahren ihre eigene Textil-Restaurierungswerkstatt in Köln-Dellbrück führt und sich auf die Konservierung früher Seidengewebe spezialisiert hat. Mit einem Ministaubsauger und unter Zuhilfenahme feiner Pinsel werden die Tücher mit viel Geduld vorsichtig abgesaugt. "Hierfür mussten wir die Textilien ganz vorsichtig von der Glasscheibe befreien, die zum Schutz darüber gelegt war", berichtet Katharina Neuser, Mitarbeiterin von Prof. Schrenk.
In den vergangenen zwei Jahren fuhr das Team aus den Restauratorinnen und Prof. Schrenk mit Förderung der Gielen-Leyendecker-Stiftung mehrfach mit einem mobilen Labor nach Mailand, um dort über die Restaurierung hinaus mehr über die Herkunft und Geschichte der Textilien zu erfahren. "Wohl spätestens ab dem elften Jahrhundert wurden die Gewebe als die Tuniken des Heiligen Ambrosius verehrt", sagt Prof. Schrenk. Erzbischof Heribert von Mailand ließ damals ein Textilband mit einem Hinweis an dem Ort anbringen, an dem die Tuniken verwahrt wurden. "Es handelt sich dabei um eine Art textiles Museumsschild, das auf die Bedeutung der Reliquien hinweist", berichtet die Wissenschaftlerin der Universität Bonn. Vermutlich wurde jedoch schon viel früher ein rotes Kreuz auf eines der Gewänder als Zeichen seiner kirchlichen Bedeutung aufgenäht.
Im Lauf der Jahrhunderte wurden die Tuniken auf unterschiedliche Weise präsentiert und aufbewahrt. Eine Zeit lang wurden die kostbaren Seidengewebe wie ein Sandwich zwischen zwei weiteren Stoffen eingepackt in einer Truhe gelagert. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Reliquien in einem Rahmen an einem Altar der Kirche Sant'Ambrogio angebracht, dann, bis vor einigen Jahren, im Museum der Kirche in neuen Glasrahmen. Um sie vor Licht zu schützen, legte man sie danach in einen großen Schubladenschrank. "Der Druck der schweren Glasscheibe beansprucht die Jahrhunderte alten Textilien zusätzlich", sagt Prof. Schrenk. Vor einigen Jahren reifte die Entscheidung, die wertvollen Seidenstoffe restaurieren zu lassen.
Die beteiligten Forscher und Restauratoren sind schon ein großes Stück vorangekommen, haben aber auch in den nächsten Jahren noch alle Hände voll zu tun. "Das Projekt zu Ambrosius fördert auf erstaunliche Weise anhand der Textilien zutage, wie sich die Entstehungsgeschichte der frühen Reliquienverehrung vollzog", sagt Prof. Schrenk. Auch für die spätantike Wirtschaftsgeschichte wird das Projekt neue Erkenntnisse liefern. Zwar ist bekannt, dass im vierten Jahrhundert in Europa und Kleinasien noch keine Seide gewonnen wurde. Die kostbaren Garne wurden aus China importiert. Die Wissenschaftlerin zweifelt aber die gängige Lehrmeinung an, dass zu dieser Zeit sämtliche Seidenstoffe im östlichen Mittelmeergebiet – vor allem in Syrien – gewebt wurden. "Mailand war damals Kaiserresidenz, verfügte über zahlungskräftige Kundschaft und nutzte Seide im ganz großen Stil. Es würde mich sehr wundern, wenn es zu dieser Zeit nicht auch vor Ort Seidenmanufakturen gegeben hätte", sagt die Archäologin.
RSS-Feeds @ Archäologie Online
- Nachrichten
- Videos
- Podcasts