Steinzeit in der Verlängerung
Feldforschungen unter der Leitung von Eleanor Scerri, Leiterin der Pan-African Evolution Research Group am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, und Khady Niang von der Universität Cheikh Anta Diop im Senegal haben die jüngste bekannte Verwendung von handwerklichen Techniken aus der Mittelsteinzeit dokumentiert. Das technische Repertoire beinhaltete markante Steinbearbeitungsmethoden zur Erzeugung von scharfen Abschlagkanten für die geeignete Gesteinsbrocken sorgfältig vorbereitet wurden und von denen einige zu »Schabern« oder »Spitzen« weiterverarbeitet wurden. Die Mehrzahl der afrikanischen Mittelsteinzeit-Funde ist zwischen 300.000 und 30.000 Jahren alt, jüngere Funde sind selten.
Lange Zeit ging man davon aus, dass diese Werkzeugtypen vor rund 30.000 Jahren durch ein völlig anderes kleineres Werkzeugset ersetzt wurden, das besser für die vielfältigen Subsistenzstrategien und Mobilitätsmuster in Afrika geeignet war. Das Forschungsteam um Scerri fand jetzt jedoch heraus, dass Jäger-Sammler-Gruppen im heutigen Senegal noch bis vor 11.000 Jahren die Techniken aus der Mittelsteinzeit nutzten. Dies widerspricht der lange vorherrschenden Ansicht, dass die grundlegenden prähistorischen Kulturphasen der Menschheit klar voneinander getrennt verliefen und die Abfolge überall gleich war.
Das letzte Eden?
»Westafrika ist echtes Neuland für Studien zur menschlichen Evolution - wir haben kaum Kenntnisse darüber, was sich hier in der tiefen Vorgeschichte ereignete. Fast alles, was wir über die Ursprünge des Menschen wissen, wird aus Funden in kleinen Teilen des östlichen und südlichen Afrikas geschlossen«, sagt Eleanor Scerri, Erstautorin der Studie.
Um diese Datenlücke zu schließen, haben Scerri und Niang ein Forschungsprogramm initiiert mit dem Ziel, verschiedene Regionen des Senegal zu erkunden: die Wüstenränder Senegals ebenso wie seine Wäldern und die verschiedenen Abschnitte der großen Flusssysteme des Senegal und des Gambia. Bei ihren Untersuchungen entdeckten sie in verschiedenen Gebieten mehrere mittelsteinzeitliche Fundstellen, alle mit erstaunlich jungen Daten.
»Diese Entdeckungen zeigen, wie wichtig es ist, den gesamten afrikanischen Kontinent zu untersuchen, wenn wir die menschliche Frühgeschichte wirklich verstehen wollen«, sagt Khady Niang. »Vor unseren Arbeiten deuteten die Erkenntnisse aus dem restlichen Afrika darauf hin, dass die letzten Spuren der mittleren Steinzeit - und die Lebensweise, die sie widerspiegelt - vor 11.000 Jahren längst verschwunden waren.«
Es ist nicht einfach zu erklären, warum in dieser Region Westafrikas eine so frühe Kultur wie die Mittelsteinzeit so lange erhalten blieb. »Im Norden grenzt die Region an die Sahara«, erklärt Jimbob Blinkhorn, einer der Autoren der Studie. »Im Osten liegen die zentralafrikanischen Regenwälder, die in manchen Zeiten durch Dürre und Zergliederung oft von den westafrikanischen Regenwäldern abgeschnitten waren. Selbst die Flusssysteme in Westafrika bilden eine in sich geschlossene und isolierte Region.«
»Es ist möglich, dass diese Gegend Afrikas weniger von den Extremen der wiederholten Zyklen klimatischen Wandels betroffen war«, ergänzt Scerri. »Wenn dies der Fall war, könnten die relative Isolation und die Stabilität des Lebensraums dazu geführt haben, dass wenig Bedarf an radikalen Veränderungen bestand, was sich in der erfolgreichen Verwendung dieser traditionellen Werkzeugsätze widerspiegelt.«
»Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass dieses Beharren nicht auf einer mangelnden Fähigkeit zur Entwicklung neuer Technologien beruhte. Diese Menschen waren intelligent. Sie waren in der Lage, geeignetes Gestein für die Herstellung ihrer Werkzeuge auszuwählen und die Landschaft, in der sie lebten, für ihren Lebensunterhalt zu nutzen«, sagt Niang.
Ein ökologischer, biologischer und kultureller Flickenteppich
Die Ergebnisse unterstützen eine neue Sichtweise, die zunehmend Unterstützung findet. Danach lebten die menschlichen Populationen während des größten Teils der Vorzeit relativ isoliert voneinander in kleineren Gruppen und in unterschiedlichen Regionen. Zu dieser Sichtweise und passt die Tatsache, dass in Westafrika der große kulturelle Wandel hin zu miniaturisierten Werkzeugen im Vergleich zum Rest des Kontinents ebenfalls extrem spät stattfand. Für eine relativ kurze Zeit lebten Populationen, die die Mittelsteinzeit-Technologien nutzten, neben anderen, die die später entwickelten miniaturisierten Werkzeugsätze nutzten, die charakteristisch für die »Späte Steinzeit« waren.
»Dies steht im Einklang mit genetischen Studien, die nahelegen, dass Menschen in Afrika in den letzten zehntausend Jahren getrennt voneinander in verschiedenen Populationen lebten«, sagt Niang. »Wir sind uns nicht sicher, warum. Aber abgesehen von der physischen Entfernung könnte es sein, dass es auch kulturelle Grenzen gab. Vielleicht lebten die Populationen, die diese verschiedenen materiellen Kulturen nutzten, auch in leicht unterschiedlichen ökologischen Nischen.«
Vor etwa 15.000 Jahren gab es einen starken Anstieg der Luftfeuchtigkeit und des Waldwachstums in Zentral- und Westafrika. Dadurch könnte es zu einer Verbindung verschiedener Gebiete und der Entstehung von Korridoren für die Ausbreitung gekommen sein. Vielleicht kam es so zum endgültigen Aus für das erste und früheste kulturelle Repertoire der Menschheit und eine neue Periode der genetischen und kulturellen Vermischung begann.
»Diese Befunde passen nicht in ein einfaches Modell des kulturellen Wandels zur »Moderne«, der in einer geraden Linie verläuft«, erklärt Scerri. »Gruppen von Jägern und Sammlern, die in radikal unterschiedlichen technologischen Traditionen verwurzelt waren, bewohnten über Jahrtausende hinweg benachbarte Regionen Afrikas oder teilten sich diese Regionen vielleicht sogar. Andere Regionen, die lange isoliert waren, könnten hingegen wichtige Reservoirs kultureller und genetischer Vielfalt gewesen sein«, fügt sie hinzu. »Dies könnte ein entscheidender Faktor für den Erfolg unserer Spezies gewesen sein.«
Publikation
Continuity of the Middle Stone Age into the Holocene
Scientific Reports. 11.01.2021
DOI: 10.1038/s41598-020-79418-4
https://www.nature.com/articles/s41598-0...
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