Ritzzeichnungen aus der Römerzeit
2018 konnte unter Leitung des zuständigen Bezirksarchäologen Thomas Becker M.A. eine Fläche von 600 m² ausgegraben werden – im Gegensatz zu den bisherigen Untersuchungen weit im Vorfeld zur eigentlichen Baumaßnahme. Dies ist der vertrauensvollen und intensiven Zusammenarbeit mit der Hans Reichardt-Stiftung (Bauträger des geplanten Bauvorhaben) zu verdanken.
Das Neubaugebiet "Auf Esch" liegt im Bereich einer römischen Zivilsiedlung (vicus), die sich vor dem Groß-Gerauer Kastell ab ca. 75 n. Chr. entwickelt hat. Nach Abzug der römischen Truppe um 120 n. Chr. hatte diese eher ländlich geprägte Ansiedlung weiterhin Bestand und war bis in die zweite Hälfte des 3. Jh. n. Chr. bewohnt. Das jetzt untersuchte Baufeld liegt am Rand des öffentlichen Bereiches dieser Siedlung.
Bereits 1998 und 2001 wurden im Umfeld zur aktuellen Maßnahme bei archäologischen Untersuchungen ein Badegebäude, 2015 ein staatliches Unterkunftshaus (mansio) dokumentiert. Bei den Grabungen in diesem Jahr fanden sich die baulichen Überreste eines einfachen Holzgebäudes von mindestens 15 x 15 m, das wahrscheinlich zeitgleich zum Kastell in den 70er Jahren des 1. Jahrhunderts entstanden ist. Die Ausführung mit in gleichen Abständen von 3 m stehenden Pfosten, die durch Fachwerkwände getrennt waren, sprechen gegen eine Nutzung als Wohnbau. Möglicherweise handelte es sich um einen militärisch genutzten Lagerbaues, wofür auch Funde militärischer Ausrüstungsgegenstände sprechen.
Ob einer der drei in der Nachbarschaft gefundenen Brunnen zu dieser Nutzungsphase des Areals gehört, wird die Auswertung der Befunde und des geborgenen Fundmaterials zeigen.
Nach Abzug des Militärs wurde dieser Bereich weiterhin von der Bevölkerung genutzt. So deuten Abfallgruben daraufhin, dass sich das untersuchte Areal im hinteren Teil eines Grundstücks befand, der als Garten oder Nutzbereich verwendet wurde. Ein kleiner, hier aufgedeckter Erdkeller wird wohl der Vorratshaltung der Bewohner gedient haben.
Geborgen wurden neben Objekten mit militärischem Charakter auch Fragmente von sogenannter Terra Sigillata, Teile von Koch- und Vorratstöpfen aus Keramik. Speiseabfälle wie Knochen von Säugetieren oder Fischwirbel erlauben Einblicke in die damaligen Ernährungsgewohnheiten.
Außergewöhnlich unter all den geborgenen Fundobjekten ist ein noch ca. 8 cm breites Schiefertafelfragment aus einer der Abfallgruben. Auf ihr hat der Besitzer mittels eines Nagels oder eines anderen spitzen Gegenstands ein verschieden Linien eingeritzt. Man meint vielleicht sehr stilisiert Menschen zu erkennen, vielleicht auch ein Gebäude, aber letzten Endes ergeben sich für den Betrachter keine eindeutigen Interpretationen. War es eine Übungstafel für ein Kind? Hat sich hier ein Römer die Zeit mit Kritzeleien vertrieben? Fragen, die unsere Fantasie über das römische Alltagsleben anregen.
Zerbrochen und daher für den Besitzer nutzlos, wurde die Schieferplatte in einer der Abfallgruben entsorgt. Es sind gerade solche Fundstücke, die uns die Menschen "hinter" diesen Objekten auf eine besondere Art nahe bringen und einen Einblick in das Leben in einem römischen Dorf im Hessischen Ried geben.
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