Relikte des Reformators
Nicht der Theologe Luther steht im Mittelpunkt der Landesausstellung, sondern der Mensch und Privatmann Martin Luther. Auf 1200m² Ausstellungsfläche zeigt das Landesmuseum in Halle materielle Zeugnisse aus dem alltäglichen Leben des Reformators und seiner Zeitgenossen. Erstmalig werden die neu entdeckten archäologischen Funde von den drei Lutherstätten Eisleben, Mansfeld und Wittenberg gezeigt. Die höchst aufschlussreichen Fundkomplexe ermöglichen einen bisher noch nie dagewesenen Einblick in das Leben Martin Luthers und seiner Familie. Sie verraten dabei Erstaunliches über den Haushalt und die Lebensführung des Reformators, was so in den schriftlichen Quellen noch nicht zu finden war - und widerlegen diese sogar zum Teil. Insgesamt werden über 600 Exponatgruppen von 63 Leihgebern aus sieben Ländern präsentiert.
Besonders hinsichtlich der von Luther selbst angeführten Herkunft aus ärmlichem Elternhaus sprechen die Befunde und Funde aus Mansfeld eine deutliche Sprache: Er war nicht »eines armen Häuers« Sohn, vielmehr war sein Vater Besitzer eines Bergwerkes und musste nicht unter Tage im Schweiße seines Angesichtes sein Brot verdienen. Der Reformator entstammte also einer Familie, die vermögend war und dank reicher Einkünfte einen aufwendigen Lebensstil führen konnte.
Dies bezeugen die Funde von teuren Gläsern, Tafelmessern, Gewandapplikationen und nicht zuletzt neue Ergebnisse der Bauforschung, die eine viel größere Ausdehnung des elterlichen Anwesens feststellte als bisher angenommen wurde. Wie dieses ausgesehen hat, zeigt eine 3D-Animation, die auf Basis der archäologischen und historischen Befunde am Computer erstellt wurde.
Ein Großteil der Funde aus Mansfeld, darunter ein Münzschatz von 300 Silbermünzen, Gürtel- und Gewandbeschläge, geht vermutlich auf eine überhastete Entsorgung von Hausrat zurück: Als zwei Brüder Martin Luthers 1505 in Mansfeld an der Pest starben, verbrannte die Familie offenbar in aller Eile die »gefährlichen« Besitztümer der Söhne und entsorgte sie zusammen mit anderem Abfall in einer Grube auf dem Grundstück. In der Grube befanden sich zudem Hunderte von Tierknochen, die eine relativ genaue Rekonstruktion von Luthers Speiseplan erlauben: Die Familie leistete sich das teuere Fleisch von jungen Schweinen, jagte und verzehrte aber auch Singvögel. Wie die Gerichte schmeckten, kann man in Kürze selbst erleben: Demnächst erscheint ein Kochbuch mit Rezepten aus jener Zeit - mit Zutaten, die durch die Ausgrabungen der Archäologen belegt sind.
Die Ausgrabungen in Luthers einstiger Wirkungsstätte Wittenberg brachten ebenfalls spektakuläre Ergebnisse: Ein im 19. Jahrhundert als »Waschhaus« geschmähter und daher abgerissener turmartiger Anbau an das ehemalige Wohnhaus Luthers stellte sich bei den Ausgrabungen als der eigentliche Standort von Luthers Arbeitszimmer heraus, in dem dieser nach eigener Aussage seine bahnbrechenden Ideen entwickelte und die Reformation in Gang setzte.
Umgeben war der im Untergeschoss komplett erhaltene und mit einem Abort sowie mit Wandheizung versehene Turm von zahllosen Fundstücken: Nach Luthers Tod übernahm die Universität Wittenberg das Wohngebäude und entsorgte die übrig gebliebenen Stücke aus Luthers Haushalt im unattraktiv gewordenen Hinterhof.
Dank dieses Glücksfalls für die Archäologie ist nun auch ein detaillierter Einblick in den zweiten Teil von Martin Luthers Leben möchlich: Luthers Tafelgeschirr, darunter kostbare Fadengläser, exotisches Geschirr aus Venedig und sogar aus dem osmanischen Reich, ließ sich offensichtlich durchaus mit dem Prunk an den zeitgenössischen Fürstenhäusern messen. Auch für Wohnkomfort im Hause Luther war gesorgt: Zahlreiche buntglasierte Ofenkacheln lassen auf einen prächtigen Kachelofen schließen, der mit Personen aus dem Alten Testament geziert war. Pikanterweise besaß ausgerechnet einer von Luthers größten Gegenspielern, Kardinal Albrecht von Brandenburg, ein identisches Stück in seiner Residenz in Halle.
Auch die tägliche Arbeit des Reformators ließ sich nachvollziehen: Beschläge seiner Bücher, Schreibmesser und sogar ein Schreibset mit Tintenfass fanden sich im Abfall.
Ergänzt wird die Schau mit Stücken, die obertägig in Sammlungen und Kirchenschätzen überliefert sind und die sich mit der Person der Reformators in Verbindung bringen lassen. Darunter etwa die Kutte, die er als Augustinermönch getragen habe, ein Messgewand, das ihm für eine Predigt auf seiner Romreise zur Verfügung gestellt wurde, und 16 kostbare Gefäße, die Luther von seinen Gönnern geschenkt bekam. Erstmals werden auch die originale Grabplatte und das Holzmodell, das zu ihrer Anfertigung diente, zusammen gezeigt. Aufbewahrt wurden diese und andere Objekte aufgrund der großen Verehrung, die man dem Reformator schon zu Lebzeiten entgegen brachte und manchmal bemerkenswerte Ausprägungen bildete. Ein späterer Abschreiber eines Originalmanuskriptes von Luther fand zwischen den Seiten einen Floh, den er als Relikt des großen Mannes aufbewahrt wissen wollte, das Tierchen deshalb fein säuberlich aufklebte und beschriftete.
Warum wühlten die Archäologen im Abfall des Reformators? »Wenn Sie meinen Abfall untersuchen würden, würden Sie darin Chipstüten, meine Lieblings-Boulevardzeitung und ein Cover von Terminator 2 finden. Wenn Sie das drei Wochen lang machen, hätten Sie ein ziemlich genaues Bild davon, wie der Landesarchäologe seine Abende verbringt. Trotzdem würde ich von mir sagen, dass ich mich „Bio“ ernähre und niveauvolle Literatur lese.« So beschrieb der Landesarchäologe und Museumsdirektor Dr. Meller bei der feierlichen Eröffnung am Donnerstag Abend den Unterschied zwischen öffentlicher Darstellung bzw. schriftlicher Überlieferung und den Erkenntnissen, die sich aus materiellen Hinterlassenschaften wie etwa dem Hausmüll gewinnen lassen. »Abfall ist unbestechlich«, sagte Meller und unterstrich damit die Bedeutung der Archäologie auch für historische Epochen, von denen man gemeinhin annimmt, sie seien bereits durch schriftliche Überlieferung hinreichend dokumentiert.
Mit welchen Überraschungen man dabei rechnen darf, zeigt die Ausstellung noch bis zum 26.04.2009. Das Interesse am Privatleben Martin Luthers ist groß: Bereits am ersten Öffnungstag wurden über 1.000 Besucher gezählt.
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