Ötzi und die Jagdausrüstung in der Jungsteinzeit

Schweizer Wissenschaftler sind überzeugt, Ötzis Bogenschnur identifiziert zu haben. Obwohl der Mann aus dem Eis noch an seinem Bogen arbeitete, führte er in seinem Köcher eine fertig gedrehte Schnur mit sich, die nicht aus Pflanzen- sondern aus Tierfasern besteht. Sie ist elastisch, extrem belastbar und eignet sich deshalb hervorragend als Bogensehne.

Ötzis Bogensehne und Sehnenbündel
Ötzis Bogensehne und Sehnenbündel (© Südtiroler Archäologiemuseum / H. Wisthaler)

In einem umfassenden Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaften (SNF) konnten erstmals jungsteinzeitliche Pfeile und Bögen im Detail auf ihr Material untersucht und mit Ötzis Ausrüstung verglichen werden. Für das Archäologiemuseum bedeutet das Ergebnis der Untersuchung einen weiteren Rekord: Ötzis kunstvoll gedrillte Kordel und seine Jagdausrüstung sind weltweit die ältesten erhaltenen der Jungsteinzeit.

Während Pfeile und Pfeilspitzen weltweit relativ häufig als Einzelfunde auftreten, sind komplette Jagdausrüstungen, bestehend aus Pfeil und Bogen, bisweilen sogar mit Köchern, extrem selten und auch nur aus Gletscherfunden des Alpenbogens bekannt. Dass sich eine Bogensehne erhalten hat, kam überhaupt weltweit nur dreimal vor. Zusammen mit früheren, europaweit gemachten Einzelfunden von Pfeilen und Bögenhölzern und den jüngsten Vergleichen aus der Schweiz (Funde von Schnidejoch und Lötschenpass aus der Bronzezeit) war es nun erstmals möglich, Materialien, Größen und Machart von prähistorischen Jagdwerkzeugen im Detail zu untersuchen. Die Autoren der Studie Jürgen Junkmanns (Bogenbauexperte Deutschland), Giovanna Klügl (Archäologischer Dienst Bern), Werner Schoch (Holzanalyse Schweiz), Giovanna Di Pietro (Hochschule der Künste Bern), Albert Hafner (Universität Bern), erhielten für ihre vergleichende Untersuchung eine mikroskopisch kleine Faserprobe von Ötzis Bogensehne.

Prähistorische Bogensehnen gehören zu den seltensten Funden in archäologischen Ausgrabungen. Die in Ötzis Köcher erhaltene Schnur dürfte weltweit die älteste erhaltene Bogensehne sein. Sie ist im Durchmesser 4mm breit und besteht aus drei Strängen, die sehr gleichmäßig und fein gedrillt sind. Die Schweizer Studie konnte nachweisen, dass als Fasern Beinsehnen einer nicht bestimmbaren Tierart verarbeitet wurden und sich die Schnur deshalb hervorragend als Bogensehne eignet. Bisher war die Forschung von Pflanzenfasern ausgegangen, die sich für eine Bogensehne nicht bewährt hätten. Die Schnur misst knapp 2m und wäre lang genug für Ötzis unfertigen Bogen. Aufgespannt würde die elastische Schnur nur noch ca. 2mm im Durchmesser messen, was genau in die Kerben (Nock) an den Pfeilen in Ötzis Köcher passen würde. Der Mann aus dem Eis hatte das Schnurbündel S-förmig aufgewunden und an einem Ende der Schnur einen Knoten angebracht. Ein weiteres Bündel aus tierischen Beinsehnen, das sich im Köcher befand, war möglicherweise als Ersatzmaterial für eine weitere Bogensehnen vorgesehen.

Ötzis 1,83 m langer unvollendeter Bogen aus Eibe (taxus baccata) erlaubt einen einmaligen, aufschlussreichen Einblick in die Fertigung eines jungsteinzeitlichen Langbogens. Der Bogen war erst frisch aus einer 8-10 cm dicken Eibe geschlagen worden. Seine Bearbeitung war schon weit gediehen, aber vermutlich sollte der Bogen noch dünner und kürzer werden. Die besten Schussergebnisse erhält man, wenn der Bogen etwa der Körpergröße des Schützen entspricht. Bei Ötzi wären das etwa 1,60 m gewesen. Erstmals konnte in der Untersuchung festgehalten werden, dass Ötzis Bogen mit einem Beil aus beiden Richtungen bearbeitet wurde. Ob es das von Ötzi war, kann nicht gesagt werden. Die Frage nach der Bearbeitung der Bogen-Enden zur Befestigung der Schnur muss ebenfalls offen bleiben. Man kann an Ötzis Bogen verschiedene Enden beobachten, eine einfache Spitze und eine Doppelspitze, die vermutlich ebenfalls noch bearbeitet werden sollten. Junkmanns lanciert die Hypothese, dass Ötzi den Bogen-Rohling unterwegs erworben haben könnte, was ev. erklären würde, warum er im Hochgebirge einen unfertigen Bogen dabei hatte.

Auch der Köcher des Mannes aus dem Eis ist der einzige bekannte neolithische Tragebehälter für Pfeile. Er ist 86 cm lang und aus Rehfell oder Rehleder genäht (rupicapra rupicapra). Eine Seite des Köchers ist mit einem Haselstock versteift. Am oberen Ende des Köchers schützt eine Lasche aus versteiftem Rindsleder die darin transportierten Pfeile. Bei Bedarf lässt sie sich sehr schnell aufklappen und mit einer einzigen Armbewegung einen Pfeil herausziehen.

In seinem Inneren barg der Köcher 14 Pfeile, zwei davon waren schussbereit mit Pfeilspitze und Befiederung versehen. Sie stellen die besterhaltenen Beispiele neolithischer Pfeilherstellung in Europa dar. Jungsteinzeitliche Pfeile bestanden meist aus Ästen geeigneter Büsche wie Hasel (corylus avellana) oder, wie bei Ötzi, aus den Ästen des Schneeballs (Viburnum lantana). Die mit Birkenteer angeklebten und feinem Nesselfaden umwickelten drei Vogelfederhälften an Ötzis Pfeil-Enden stellen die einzige, in Europa erhaltene Befiederung dar. Die dreifache, radial angeordnete Befiederung zur Stabilisierung des Pfeil-Fluges ist seit der Jungsteinzeit bis heute praktisch gleich geblieben.

Jungsteinzeitliche Pfeile
Jungsteinzeitliche Pfeile (© Südtiroler Archäologiemuseum / H. Wisthaler)
Publikation

Junkmanns, Jürgen / Klügl, Giovanna / Schoch, Werner / Di Pietro, Giovanna / Hafner, Albert

Neolithic and Bronze Age archery equipment from alpine ice-patches: A review on components, construction techniques and functionality

Journal of Neolithic Archaeology. 12.12.2019
DOI: 10.12766/jna.2019.10

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