Ötzi hatte Veranlagung zu Herz-Kreislauferkrankungen

Erste Analyse des Genoms der Gletschermumie liegt vor

Vor rund eineinhalb Jahren gelang Wissenschaftlern die Entschlüsselung des kompletten Genoms des Mannes aus dem Eis, also seines gesamten Erbguts. Die Weichen, um weitere Rätsel rund um die älteste Gletschermumie der Welt aufzulösen, waren damit gestellt. Nun folgt der nächste Meilenstein: Die Forscher des Instituts für Mumien und der Europäischen Akademie Bozen (EURAC), des Instituts für Humangenetik der Universität Tübingen und der Universität des Saarlandes haben die Rohdaten der DNA-Sequenzierung auf verschiedene Aspekte hin ausgewertet. Die Ergebnisse hat das Fachmagazin „Nature Communications“ kürzlich publiziert.

Progenentnahme Ötzi
Eduard Egarter-Vigl (links) und Albert Zink (rechts) bei der Probenentnahme an Ötzi im November 2010

Ötzi hatte eine genetische Veranlagung für Herz-Kreislauferkrankungen. Das ergaben die jüngsten Studien des Forscherteams rund um Albert Zink und Angela Graefen vom Bozner EURAC-Institut für Mumien und den Iceman, Carsten Pusch und Nikolaus Blin vom Institut für Humangenetik der Universität Tübingen sowie Andreas Keller und Eckart Meese vom Institut für Humangenetik der Universität des Saarlandes. An der 5.000 Jahre alten Gletschermumie ist jedoch nicht nur die genetische Veranlagung nachweisbar, sondern auch bereits ein Symptom der Erkrankung in Form einer Arterienverkalkung. Dabei war Ötzi seinerzeit nicht den Risikofaktoren ausgesetzt, die heute Herzkreislauf-Erkrankungen maßgeblich beeinflussen: Er war nicht übergewichtig, bewegte sich viel. »Die Bestätigung, dass solche genetischen Veranlagungen schon zu Zeiten des Ötzi vorhanden waren, ist für uns sehr interessant. Denn es zeigt, dass Herz-Kreislauferkrankungen keineswegs moderne Zivilisationskrankheiten sind. Uns liegt nun daran, anhand dieser Daten die Entwicklung dieser Erkrankungen besser zu erforschen«, unterstreichen der Anthropologe Albert Zink und der Bioinformatiker Andreas Keller.

Neben dieser genetischen Veranlagung konnten die Forscher Spuren von Borrelien aufspüren, die die Ursache einer Infektionskrankheit sind, die durch Zecken übertragen wird. Carsten Pusch, der die genetischen Untersuchungen in Tübingen leitete, vermerkt: »Dies ist der älteste Beleg für Borreliose und dafür, dass sie bereits vor 5.000 Jahren übertragen wurde.«

Ein Aspekt, dem die Forscher außerdem nachgingen, ist die genetische Herkunft des Mannes aus dem Eis. Ihre Untersuchungen zeigen, dass Ötzi einer so genannten Haplogruppe des Y-Chromosoms angehört, die heutzutage in Europa relativ selten ist. Die Charakteristiken weisen zum einen darauf hin, dass Ötzis Vorfahren in der Jungsteinzeit im Zuge der Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht aus dem Nahen Osten eingewandert sind. Zum anderen zeigt es sich, dass deren DNA sich bis heute in sehr abgelegenen Gegenden, etwa bei Inselbevölkerungsgruppen, gehalten hat wie beispielweise auf Sardinien und Korsika.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass Ötzis Vorfahren von dort stammen, erklärte Angela Graefen, Paläogenetikerin am EURAC-Institut für Mumien und den Iceman, die Erstautorin des nun in »Nature Communications« veröffentlichten Artikels. »Viel wahrscheinlicher ist es, dass diese Haplogruppe ursprünglich von den ersten Ackerbauern und Viehzüchtern im Zuge der so genannten „Neolithischen Revolution« (etwa 1.000 Jahre vor Ötzis Lebzeiten) aus dem Nahen Osten nach Europa gebracht wurde und zu Ötzis Zeit wesentlich verbreiteter war. Sie ging allmählich über die nächsten Jahrtausende durch die vielen Wanderbewegungen der Menschheitsgeschichte verloren und ist nur noch in isolierten Regionen wie beispielsweise den mediterranen Inselregionen erhalten geblieben.“, erklärt sie. Möglicherweise sei diese Haplogruppe auch im Alpengebiet und Südtirol häufiger. Für diese Gebiete stehen aber noch nicht genügend genetische Daten moderner Populationen zur Verfügung. »Das Archiv an Informationen, welches Ötzis Genom uns bietet, wird im Laufe der nächsten Jahre im Vergleich mit weiteren paläogenetischen Studien Aufschluss über die damaligen Migrations- und Ausbreitungsrouten der ersten Ackerbauern und Viehzüchter bieten.«, erläutert Angela Graefen.

Die genetischen Untersuchungen ergaben auch zahlreiche Informationen zu den körperlichen Eigenschaften des Mannes aus dem Eis: Er hatte braune Augen, braune Haare und litt unter Laktoseunverträglichkeit, konnte also keinen Milchzucker verdauen. Dieser Befund stützt die Annahme, dass in der Zeit von Ötzi trotz der bereits vorherrschenden bäuerlichen Lebensweise die Laktoseintoleranz noch sehr weit verbreitet war. Die Entwicklung hin zur Milchverträglichkeit im Erwachsenenalter ging mit der Domestizierung von Tieren einher.

Die Laktoseintoleranz sei allerdings keine Krankheit, sondern »der eigentliche biologische Normalzustand des
Menschen in der Geschichte«, erklärte die Paläogenetikerin Graefen. Studien haben ergeben, dass Laktoseintoleranz während der Jungsteinzeit noch die Regel war. Die Fähigkeit, Milch nach der Kindheit zu verdauen, sei einst eine zufällige Mutation gewesen, welche aber dann einen erheblichen Selektionsvorteil bot und sich daher über die nächsten Jahrtausende allmählich ausbreitete. Allerdings sei in vielen Regionen, beispielsweise in Süditalien, die Laktoseintoleranz immer noch der häufigere Zustand. Ötzis Laktoseintoleranz sei somit für seine Zeit normal und keineswegs ein Beleg dafür, dass er noch Jäger und Sammler war - zu einer mittlerweile vom bäuerlichen Leben geprägten Zeit.

Hintergrund

An der Bearbeitung des Erbguts von Ötzi war eine Vielzahl von Instituten beteiligt: Koordiniert wurde das Gesamtprojekt vom EURAC-Institut für Mumien und den Iceman in Bozen, wo auch ein erheblicher Teil der späteren Auswertung stattgefunden hat. Die DNA-Extraktion ist in Tübingen erfolgt, weitere Probenvorbereitungen und die Genom-Sequenzierung haben Forscher der Universität des Saarlandes mit Projektpartnern aus den USA durchgeführt.

Die anschließende Genomanalyse fand ebenfalls an unterschiedlichen Orten statt. Ötzis Herkunft haben Forschergruppen aus Massachusetts und Kalifornien mit den EURAC-Wissenschaftlern gemeinsam untersucht. Die Analyse der bakteriellen DNA in der Knochenprobe haben die EURAC-Forscher hingegen mit den Kollegen der Universität Tübingen durchgeführt. Die Ergebnisse waren im Anschluss mittels Untersuchung einer Zweitprobe an der EURAC bestätigt worden. Die genomischen Daten sind im Internet für Forscher aus allen Forschungszweigen öffentlich zugänglich (www.icemangenome.net).

 

TV-Tipp

Am ersten Märzwochenende kommen Ötzi-Fans im Fernsehen auf ihre Kosten. Die kürzlich publizierte Genomanalyse sowie die letzte Mahlzeit des Mannes aus dem Eis sind Thema des exklusiven Dokumentarfilms von National Geographic, der 2010/2011 in Bozen gedreht wurde. Unter dem Titel »Aufgetaut – Ötzis Geheimnis« strahlt ihn der deutsche Sender N24 am Freitag 2. März zum ersten Mal für den deutschen Sprachraum aus, Wiederholungen am 3. und 4. März folgen.

Im selben Zeitraum wiederholt der ORF auf 3SAT die 25minütige Sendung »Ötzi - ein Archäologiekrimi« am Montag, 5. März mit Wiederholung am Donnerstag, 15. März.

Genaue Sendetermine:
»Aufgetaut – Ötzis Geheimnis« auf N24 von National Geographic, 2011, 50 Minuten
Freitag Abend 2. März 2012 um 0:10 und um 3:50 Uhr. Die Wiederholungen laufen am Samstag, 3. März um 16:05 Uhr und am Sonntag, 4. März um 12:05 Uhr.
»Ötzi - ein Archäologiekrimi« auf 3sat von ORF, 2011, 25 Minuten
Montag, 5. März 2012 um 18:00 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 15. März um 2:55 Uhr

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