Ötzi: dunkle Haut, Glatze, anatolische Vorfahren

Ein Forschungsteam analysierte Ötzis Genom in hoher Qualität und kann nun ein genaueres Bild von seinem Aussehen und seiner genetischen Herkunft zeichnen.

Ötzi
»Ötzi« ist die die wohl am intensivsten erforschte Mumie weltweit. Auch 30 Jahre nach der Entdeckung des über 5.000 Jahre alten Leichnams in den Ötztaler Alpen ergeben Untersuchungen neue Erkenntnisse. Foto © Südtiroler Archäologie-Museum / EURAC / Marco Samadelli-Gregor Staschitz

Bereits im Jahr 2012 wurde das Genom von Ötzi, der berühmten prähistorischen Mumie, entschlüsselt – ein bahnbrechender Schritt in der Genforschung. Diese Erstanalyse ermöglichte wertvolle Einblicke in das Erbgut frühzeitlicher Europäer. In jüngster Zeit hat ein Expertenteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Zusammenarbeit mit Eurac Research das Genom nun erneut unter die Lupe genommen. Die neuesten Erkenntnisse verfeinern nicht nur unsere Sicht auf die Vergangenheit, sondern werfen auch neues Licht auf Ötzis Herkunft und sein Erscheinungsbild.

Die kontinuierliche Entwicklung der Sequenzierungstechnologie ermöglichte dem Forschungsteam eine präzisere Analyse des Erbguts. Diese tiefergehende Untersuchung enthüllt, dass Ötzis genetischer Mix im Vergleich zu seinen zeitgenössischen europäischen Nachbarn einen unerwartet hohen Anteil an Anatolien-Abstammung aufweist. Dies lässt darauf schließen, dass er aus einer isolierten alpinen Gemeinschaft stammt, die wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen hatte. Die genetische Zusammensetzung gibt Aufschluss über die soziale Dynamik früherer Gemeinschaften.

Überraschende Enthüllungen zu Aussehen und Gesundheit

Die Studie enthüllt auch neue Aspekte von Ötzis äußerem Erscheinungsbild. Es wurde festgestellt, dass sein Hauttyp, der bisher als mediterran-europäisch beschrieben wurde, tatsächlich dunkler war als bisher angenommen. Diese Entdeckung liefert nicht nur Einblicke in Ötzis ursprüngliche Hautfarbe, sondern hat auch Bedeutung für die Konservierung der Mumie.

Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat. Man dachte bisher, die Haut der Mumie sei während der Lagerung im Eis nachgedunkelt, aber vermutlich ist, was wir jetzt sehen, tatsächlich weitgehend Ötzis originale Hautfarbe. Dies zu wissen, ist natürlich auch wichtig für die Konservierung.

Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumienforschung bei Eurac Research in Bozen

Weiterführende Untersuchungen deuten darauf hin, dass Ötzi mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in fortgeschrittenem Alter an Haarausfall litt. Seine Gene wiesen auf eine genetische Prädisposition für Glatzenbildung hin, was möglicherweise erklärt, warum nur wenige Haare an der Mumie gefunden wurden. Ebenso wurde eine Veranlagung zu Übergewicht und Diabetes Typ 2 in seinen Erbanlagen identifiziert – eine interessante Entdeckung, die angesichts seines gesunden Lebensstils jedoch wohl keine tatsächlichen gesundheitlichen Auswirkungen hatte.

Vorfahren kamen aus Anatolien

Die Untersuchung des Erbguts von Ötzi ermöglicht es, die Geschichte der europäischen Bevölkerungsentwicklung zu vertiefen. Die Kombination von Analysen an Ötzis Genom und anderen prähistorischen Funden ergibt ein umfassenderes Bild. Bisherige Annahmen über eine osteuropäische Steppenhirten-DNA im Genom von Ötzi wurden durch die aktuelle Studie revidiert.

Der Genmix heutiger europäischer Menschen ist hauptsächlich aus der Vermischung dreier Ahnengruppen entstanden: Die ursprünglichen Jäger und Sammler Westeuropas gingen nach und nach in den frühen Bauern auf, die vor etwa 8.000 Jahren aus dem Nahen Osten einwanderten, und schätzungsweise beginnend vor etwa 4.900 Jahren kamen dazu noch Steppenhirten aus Osteuropa.

Bei ersten Analysen hatte man in Ötzis Erbgut genetische Spuren dieser Steppenbevölkerung gefunden, die die verfeinerten neuen Ergebnisse nun nicht mehr zeigen: Die damalige Probe war mit moderner DNA kontaminiert. Seit der ersten Studie wurden nicht nur die Technologien zur Sequenzierung enorm weiterentwickelt, man hat auch viele Genome prähistorischer Europäer, häufig aus Skelettfunden, vollständig entschlüsselt. Damit war es möglich, Ötzi mit Zeitgenossen zu vergleichen. Das Ergebnis: Unter den hunderten frühen europäischen Menschen die zur selben Zeit wie Ötzi lebten und deren Genome zur Verfügung stehen, hat Ötzi die meisten bäuerliche Ahnenanteile.

Ötzis genetische Spur führt zurück nach Anatolien, was darauf hinweist, dass seine Vorfahren direkt von dort kamen und weniger von den osteuropäischen Steppenhirten beeinflusst wurden als bisher angenommen. 

Wir waren sehr überrascht, im neuen Ötzi-Genom keine Spuren der osteuropäischen Steppenhirten zur finden, auch der Anteil der Jäger und Sammler Gene beim Ötzi ist sehr gering. Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen.

Johannes Krause, Leiter der Abteilung Archäogenetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig

Insgesamt eröffnet die neueste Analyse von Ötzis Genom ein faszinierendes Fenster in die Vergangenheit und verfeinert unser Verständnis von prähistorischen Gemeinschaften sowie der genetischen Entwicklung Europas. Durch den Einsatz fortschrittlicher Technologien und sorgfältiger Forschung gewinnen wir zunehmend Klarheit über unsere Wurzeln und die Geschichte unseres Kontinents.

Neues Portrait von Ötzi
Portraitzeichnung von Ötzi nach den neuesten Erkenntnissen. © Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie
Neues und altes Bild von Ötzi
Zeichnerische Gegenüberstellung des alten und neuen Bildes von Ötzi. © Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie
Publikation

Ke Wang, Kay Prüfer, Ben Krause-Kyora, Ainash Childebaya, Verena J. Schuenemann, Valentina Coia, Frank Maixner, Albert Zink, Stephan Schiffels, Johannes Krause

High-coverage genome of the Tyrolean Iceman reveals unusually high Anatolian farmer ancestry

Cell Genomics. 16.08.2023
DOI: 10.1016/j.xgen.2023.100377

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