Nördlichste Siedlung der linienbandkeramischen Kultur mit Hausgrundrissen in Sachsen-Anhalt entdeckt
Vor 7.500 Jahren erreichten die ersten Ackerbauern Mitteldeutschland. Sie kamen aus dem Vorderen Orient, wo die Idee zum Getreideanbau und zur Viehzucht geboren worden war. Diese Veränderungen der Lebensweise führten schnell zu einer Bevölkerungsexplosion und in deren Folge zu Auswanderungsbewegungen. Diese verliefen einerseits entlang der Mittelmeerküste, andererseits über den Schwarzmeerraum und donauaufwärts bis ins Pariser Becken. Mitteldeutschland mit seinen fruchtbaren Lössböden und den aufgrund des Harzschattens geringen Regenfällen spielte in dieser Phase der ersten Ackerbauernkultur eine ganz besondere Rolle. Hier herrschten fast ähnliche klimatische Bedingungen wie in der Ursprungsregion der sogenannten neolithischen Revolution – des Übergangs von Wildbeutertum zu Pflanzenanbau und Tierhaltung – zwischen Euphrat und Tigris. So verwundert es nicht, dass es im Mittelelbe-Saale-Gebiet zu einer sehr raschen und intensiven »Neu« -Besiedlung mit bäuerlichen Kulturen kam. Die ursprüngliche Bevölkerung der Region, die Jäger-Sammler-Gruppen des Mesolithikums, wich nach Norden in die Regionen aus, in denen kieshaltige bzw. sandige Böden vorherrschen. Dort pflegten sie zunächst weiterhin ihre mesolithische Lebensweise. Selbstverständlich bestanden schnell Kontakte zu den neuen Siedlern und so ist der ursprünglich mesolithischen Bevölkerung im Laufe der Jahrhunderte eine zunehmend semi-bäuerliche Lebensweise zu attestieren.
Die Kontakte zwischen den beiden »Welten« spielten sich am Rand der fruchtbaren Lösszone ab. Archäologische Fundstellen mit Hinweisen auf die Anwesenheit der Träger der sogenannten linienbandkeramischen Kultur (5.500–4.800 v. Chr.), der ersten Ackerbauern und Siedler Zentraleuropas, sind aus dem Raum Magdeburg und, wenngleich selten, noch weiter nördlich aus dem breiten Tal der Elbe bekannt. Große Siedlungsplätze, die sich über mehrere Hektar erstrecken, fehlten jedoch bislang außerhalb der südlich gelegenen Kernverbreitungszone der Linienbandkeramik-Kultur. Kürzlich wurde im Zuge einer Baumaßnahme am Deich von Niegripp ein einzelner Hausgrundriss der ersten Ackerbauern erkannt. Eine große Siedlung hingegen mit zahlreichen Gebäuden, mehreren Brunnen und weiteren siedlungsdeterminierenden Elementen am nördlichen Rand des Verbreitungsgebietes der Linienbandkeramik-Kultur wurde nun erstmals im Bereich der neuen Ortsumfahrung Wedringen entdeckt. Die Gebäude weisen den im 6. Jahrtausend v. Chr. üblichen vierschiffigen Grundriss auf. Auch die Konstruktion in Pfostenbauweise und die Nordwest-Südost-Orientierung sind typisch für die Zeit der Linienbandkeramik. Entlang der Außenwände der Häuser wurden traditionellerweise Gruben ausgehoben. Sie dienten in erster Linie der Entnahme von Lösslehm, der als Wandverputz eingesetzt wurde. So konnte man vermeiden, diesen über große Distanzen transportieren zu müssen. Allerdings scheint auch die sekundäre Nutzung dieser auf den ersten Blick störenden bzw. sogar gefährlichen Bodenlöcher wichtig gewesen zu sein. Denn die Wedringer Siedler legten diese Baugruben ebenfalls an, obwohl sie dem von Schotter geprägten Untergrund keinen Löss entnehmen konnten.
Während der mittleren Zeit der Linienbandkeramik-Kultur (um 5.200 bis 5.000 v. Chr.), etwa 300 bis 500 Jahre nach dem Eintreffen erster Ackerbauern-Gemeinschaften im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt, scheint also eine Gruppe aus der prosperierenden Gunstregion im Süden Richtung Norden aufgebrochen zu sein und gründete dort eine Siedlung. Geschah dies aus einem bestimmten Grund? Waren die Böden im fruchtbaren Mittelelbe-Saale-Gebiet mittlerweile bereits ausgelaugt, oder durch weitere Bevölkerungszuströme der Druck zu groß geworden? Führten interne Streitigkeiten zu einem Ausweichen oder wurde die Nähe zu den noch mehr oder weniger in Tradition der mesolithischen Gesellschaft lebenden Bevölkerungsgruppen gesucht?
Die Untersuchungen im Vorfeld des Neubaus der Ortsumgehung Wedringen werden diese und andere Fragen beleuchten. Derzeit arbeitet ein Team von ca. 50 Kollegen vor Ort. Auf der 4,5 km langen Strecke wurden bereits im vorigen Jahr 19 Fundstellen erkannt. Die Neubautrasse tangiert damit auf 16 Hektar höchst bedeutsamen archäologischen Boden. Die Ausgrabungen sollen im Gelände bereits im Laufe des ersten Halbjahres 2019 abgeschlossen sein.
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