Morphologie als Alternative zur genetischen Erbgutanalyse
Geprüft wurde mithilfe computergestützter Verfahren in den größten verfügbaren Datenbeständen, inwieweit sich die weltweite genetische Diversität von Menschen in der Struktur und Form, der sogenannten Morphologie, unterschiedlicher Skelettelemente widerspiegelt. Die besten Ergebnisse erzielte das Team bei Vergleichen bestimmter Elemente im Gebiss und am Schädel, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Die neuen Ergebnisse können in archäologischen und forensischen Untersuchungen genutzt werden, wenn DNA-Analysen nicht möglich sind. Die Studie wurde in dem Fachjournal PNAS Nexus veröffentlicht.
Merkmale mit unterschiedlicher Gewichtung
Die Morphologie des menschlichen Skeletts ist hochvariabel und unterscheidet sich weltweit sowohl zwischen Individuen wie auch zwischen Populationen. Diese Diversität entwickelte sich infolge komplexer Wechselwirkungen verschiedener evolutionärer Kräfte über einen langen Zeitraum. »Evolutionsbiologen teilen diese Kräfte in zwei unterschiedliche Prozesse auf. Ein neutraler Prozess bezeichnet den Vorgang, bei dem Mutationen neue Diversität hervorbringen, die den betroffenen Individuen keine direkten Vor- oder Nachteile bietet. Diese neue Diversität vermehrt oder verliert sich dann zufällig durch die sogenannte Gendrift innerhalb einer Population«, erklärt Hannes Rathmann. »Dem gegenüber stehen nicht-neutrale Prozesse, die beispielsweise den Vorgang bezeichnen, bei dem Mutationen sich auf die Fitness eines Individuums auswirken. Die betroffenen Individuen können sich dann entweder besser oder schlechter an Umweltfaktoren anpassen.« Um detaillierte Rückschlüsse auf Verwandtschaftsverhältnisse zu ziehen, so der Wissenschaftler, sollten ausschließlich Skelettelemente verwendet werden, die sich durch neutrale Prozesse entwickelten.
Das Team konzentrierte sich in der Studie auf Gebiss und Schädel, deren Strukturen als vorherrschend durch neutrale Prozesse entwickelt gelten. »Entgegen früherer Annahmen geben nicht alle Merkmale im Gebiss und am Schädel den zugrundeliegenden genetischen Code verlässlich wieder, einige eignen sich viel besser als andere«, berichtet Rathmann. Als besonders geeignet erwiesen sich kleinere morphologische Merkmale an den Zähnen, wie Rillenmuster in den Kronen, die Anzahl und Größe der Höcker, die Form der Wurzeln und die An- oder Abwesenheit von Weisheitszähnen. »Die besten Ergebnisse, fast nahezu identisch mit einer klassischen genetischen Verwandschaftsanalyse, erzielten wir jedoch, wenn wir alle Merkmale von Schädel und Gebiss in integrierter Form einbezogen«, berichtet er.
Zerstörungsfreie Alternative
Katerina Harvati, die Seniorautorin der Studie, fügt hinzu: »Die Ergebnisse erweitern unser Verständnis über die Ursprünge der menschlichen Skelettdiversität. Sie sind auch vielversprechend für die Anwendung in archäologischen und forensischen Untersuchungen.« Erbgutanalysen seien häufig nur sehr eingeschränkt möglich, wenn die DNA schlecht erhalten ist. Das sei häufig der Fall bei sehr alten Knochen oder solchen, die einem warmen Klima ausgesetzt waren. Auch müssten die Knochen für DNA-Analysen beschädigt werden, was bei brüchigem Material oder seltenen Funden oft nicht in Frage komme. »In solchen Fällen ist die zerstörungfreie Untersuchung von Schädel und Gebiss eine wertvolle Alternative, um beispiesweise vergangene Bevölkerungsgeschichte oder die menschliche Abstammung in archäologischen Zusammenhängen zu rekonstruieren oder Verwandtschaftsprofile in der Forensik zu erstellen.«
Publikation
Inferring human neutral genetic variation from craniodental phenotypes
PNAS Nexus, Volume 2, Issue 7, pgad217. 03.07.2023
DOI: 10.1093/pnasnexus/pgad217
https://academic.oup.com/pnasnexus/artic...
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