Molekularanalysen enthüllen die bislang ältesten Überreste der Denisova-Menschen

Einem internationalen Forschungsteam der Universitäten Wien und Tübingen sowie der Max-Planck-Gesellschaft gelang es, fünf menschliche Überreste in der südsibirischen Denisova-Höhle zu identifizieren. Zu den Funden zählen neben Steinwerkzeugen und Nahrungsresten auch Überreste dreier Denisova-Menschen sowie eines Neandertalers mit einem Alter von rund 200.000 Jahren.

Eingang der Denisova-Höhle
Der Eingang zur Denisova-Höhle. Foto © IAET, Siberian Branch Russian Academy of Sciences

Die Denisova-Höhle im Altai-Gebirge Südsibiriens erlangte vor elf Jahren Berühmtheit, nachdem anhand von Gensequenzierungen eines kleinen Fingerknochen-Fragments eine bislang unbekannte menschliche Gruppe identifiziert wurde. Obwohl diese neue Gruppe als Denisova-Menschen bezeichnet wurde, konnten bisher nur wenige weitere Überreste unter den zahlreichen innerhalb der Höhle gefundenen Knochen nachgewiesen werden.

Innerhalb der letzten vier Jahre arbeitete ein Team unter der Leitung von Assistenzprofessorin Katerina Douka am Institut für evolutionäre Anthropologie der Universität Wien gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen in Deutschland und Russland daran, alte Proteine und DNA aus fast 4.000 Knochenfragmenten aus der Denisova-Höhle zu extrahieren und zu analysieren. Ihre Ergebnisse werden nun in der Zeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlicht und bieten einen fundierten Einblick über die ersten Bewohner der Denisova-Höhle und ihren archäologischen Abdruck.

Mithilfe des biomolekularen Peptid-Fingerabdrucks oder auch ZooMS (»ZooArchaeology by Mass Spectrometry«) fokussierte sich das Team auf die ältesten Schichten der Stätte, die mit einem Alter von knapp 200.000 Jahren bisher keine menschlichen Überreste aufwiesen. Solche Methoden stellen für die Wissenschaft die einzige Möglichkeit dar, unter den Tausenden tierischen Knochen menschliche Überreste zu identifizieren, da mehr als 95% der Knochen bereits zu sehr beschädigt und fragmentiert waren, um die üblichen Identifikationsmethoden anwenden zu können. Samantha Brown, Doktorandin des ERC FINDER-Projekts und Juniorgruppenleiterin an der Universität Tübingen, analysierte 3.800 Knochenfragmente mit einer Größe unter 4 cm, welche bis dahin als taxonomisch nicht-identifizierbar galten. Brown gelang es schließlich, fünf Knochen zu identifizieren, deren Kollagen mit dem Peptidprofil eines Menschen übereinstimmte.

»Lediglich einen neuen menschlichen Knochen zu finden, wäre bereits großartig gewesen. Aber fünf? Das konnte selbst ich mir nicht in meinen wildesten Träumen vorstellen«, so Brown.

»Wir waren enorm überrascht, dass wir in solchen Schichten neue menschliche Knochenfragmente finden konnten, deren Biomoleküle noch so intakt waren«, fügt Douka hinzu.

Von den fünf Knochen, enthielten vier noch ausreichend DNA-Fragmente, um daraus ein mitochondrielles Genom zu rekonstruieren. Drei davon stimmten mit dem mtDNA-Typ der Denisova-Menschen überein und ein weiterer mit dem von Neandertalern. Mit einem Alter von 200.000 Jahren zählen die neuen Denisova-Knochen zu den ältesten menschlichen Überresten, die jemals genetisch sequenziert werden konnten.

»Die Denisova-Höhle ist ein unglaublicher Ort für die aDNA-Erhaltung. Uns ist es nun gelungen, Genome aus den teilweise ältesten und am besten erhaltenen menschlichen Überresten zu rekonstruieren«, so Dr. Diyendo Massilani, Postdoc am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Leiter der Genanalysen.

Die Entdeckungen des Teams schließen dabei die Lücke in Bezug auf die evolutionären Anpassungen der ältesten Denisova-Menschen. Zum ersten Mal erscheinen die Denisova-Menschen in der Höhle während einer Warmzeit und nutzten die strategisch vorteilhafte Lage der Höhle. Sie brachten eine voll ausgeprägte Tradition der Steinbearbeitung mit und verwendeten die Rohmaterialien des Schwemmlandbodens aus dem nahe gelegenen Fluss Anui. Sie jagten Pflanzenfresser wie Bisons, Rehe und Rotwild, Gazellen, Saigas und sogar Wollnashörner. Diese Subsistenzwirtschaft praktizierten die Denisova-Menschen über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren. Vor etwa 130-150.000 Jahren erreichten schließlich auch Neandertaler die Höhle, wie der Nachweis des in der Studie vorgestellten fossilen Neandertalerknochens zeigt.

Teammitglied Professor Tom Higham von der Universität Wien resümiert, »dass die Anwendung der biomolekularen Fingerabdrücke – wie die, die in der Denisova-Höhle genutzt wurden – uns es ermöglichte, mehr menschliche Überreste zu entdecken, als es durch normale archäologische Ausgrabungen möglich gewesen wäre. Es ist ein entscheidender technischer Durchbruch für die paläolithische Archäologie.«

Die Forschungen in der Denisova-Höhle werden durch systematische Feldarbeit und gezielte Analysen von Knochen und Sedimenten mit einem Team russischer Archäologen und Archäologinnen fortgesetzt, welche dort regelmäßig für sechs Monate im Jahr vor Ort sind. Die Denisova-Höhle bleibt die einzige Stätte, für die eine periodische Besiedlung aller drei großen menschlichen Gruppen – Denisova-Menschen, Neandertaler und moderne Menschen – während der letzten 200.000 Jahren nachgewiesen ist.

Ausgrabungen in der Denisova-Höhle
Ausgrabungen in der östlichen Kammer des Denisova-Höhle. Foto © IAET, Siberian Branch Russian Academy of Sciences
Knochenfragmente
Knochenfragmente, wie sie für die Molekularanalyse verwendet werden. Foto © S. Brown
Publikation

Samantha Brown et al.

The earliest Denisovans and their cultural adaptation

Nature Ecology & Evolution. 25.11.2021
DOI: 10.1038/s41559-021-01581-2
https://www.nature.com/articles/s41559-0...

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