Mittelalterlichen Fingerabdrücken auf der Spur
Forensik ist gemeinhin als Sammelbegriff für wissenschaftliche und technische Arbeitsgebiete bekannt, in denen kriminelle Handlungen systematisch untersucht werden. In diesem Fall dienen forensische Analysen jedoch dazu, mittelalterliche Fingerabdrücke zu untersuchen und damit Antworten auf geisteswissenschaftlich-kulturwissenschaftliche Fragestellungen zu ermöglichen.
Dank der Förderung durch die VolkswagenStiftung werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des Stadtarchivs Speyer in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz sowie der BMB Gesellschaft für Materialprüfung Heilbronn im Projekt "Verkörperung kommunaler Identität" der Bedeutung der Fingerabdrücke auf Siegeln nachgehen. Der Gießener Kunsthistoriker Dr. Markus Späth koordiniert das Pilotprojekt, für das 29.000 Euro bereitgestellt wurden, im Rahmen seines langjährigen Drittmittelprojekts Identitätsstiftung und Repräsentation.
Das mittelalterliche Stadtsiegel von Speyer galt bislang aufgrund seiner realistischen Darstellung des Doms als Meilenstein der mittelalterlichen Kunstgeschichte in Deutschland. Das Siegel wurde mit Hilfe eines Stempels zwischen 1231 und 1792 in vielen hundert Exemplaren in Wachs geprägt. Völlig unbeachtet blieb dagegen das fast immer gleiche Gestaltungsmuster von drei tiefen Fingereindrücken auf der Rückseite.
Dank neuster 3D-Scan-Technik können diese Fingerabdrücke erstmals auf solchen fragilen historischen Zeugnissen forensisch unter die Lupe genommen werden. Aktuell untersuchen die Forscherinnen und Forscher, warum auf mittelalterlichen Stadtsiegeln den identitätsstiftenden Bildmotiven – in diesem Fall der Dom zu Speyer – ausgerechnet Fingerabdrücke als Ausdruck menschlicher Individualität gegenübergestellt wurden. Durch die exemplarische Analyse der Speyerer Siegelprägungen versprechen sich alle Beteiligten Aufschlüsse über die Teilhabe von Bürgern an einem zentralen Rechts- und Bildgebungsakt mittelalterlicher Stadtgeschichte, über den die schriftlichen Quellen schweigen.
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