Marmor, Stein und Eisen spricht...
Ob auf Stein, Metall, Holz oder Textilien: Inschriften begegnen uns überall in unserem täglichen Leben. In Kirchen auf Glocken oder Taufbecken, auf Grabdenkmälern, aber auch auf Alltagsgegenständen wie dem Löffel eines Ratsherrn oder als Kritzelei eines Häftlings an der Wand eines Stadtgefängnisses. Sie legen Zeugnis ab vom Leben der Menschen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit jenseits dessen, was uns Urkunden und Chroniken überliefern. Doch was motivierte die Menschen vor Hunderten von Jahren, Inschriften gerade an einer bestimmten Stelle und auf einem bestimmten Material anzubringen und was steht dort überhaupt? Es ist eine mühevolle Arbeit, Inschriften zu erschließen: Man muss sie trotz schlechtem Erhaltungszustand lesen, die Abkürzungen auflösen, die alte – uns heute sehr fremde – Sprache übersetzen, um dann immer noch über den Sinn zu rätseln.
Viele dieser Rätsel wurden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des interakademischen Projekts »Die Deutschen Inschriften« bereits gelöst. Mit den von den Akademien herausgegebenen Editionsbänden der »Deutschen Inschriften« bieten die insgesamt zehn Forschungsstellen Übersetzungen, Personen- und Sachregister sowie einen umfangreichen Bildteil zu Schriftzeugnissen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (bis 1650). Dabei werden auch Inschriften berücksichtigt, die nur noch in Abschriften, Fotos oder Zeichnungen überliefert sind. Gerade ist der 100. Band erschienen, der sich den Inschriften der Stadt Lüneburg, einem der bedeutendsten Inschriftenbestände Norddeutschlands, widmet. Wie wichtig diese Aufgabe ist, erklärt die Göttinger Forschungsstellenleiterin Dr. Christine Wulf: »Unsere Arbeit wird zunehmend ein Wettkampf gegen die Zeit«, warnt sie. Umwelteinflüsse setzen vielen Denkmälern zu, Oberflächen bröckeln ab, Inschriften werden beschädigt oder gar gänzlich zerstört. »Paradoxerweise muss das vergängliche Papier bewahren, was einst auf vermeintlich dauerhaften Materialien für ewige Zeiten angebracht worden ist«, so Christine Wulf.
Die Editionen sind eine wichtige Quelle für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, aber auch eine spannende Lektüre für den interessierten Laien. Viele Inschriften bezeugen beispielsweise religiöse Frömmigkeit und Bekenntnisse zu Luthers Lehre nach 1531. In den Editionsbänden zeigen Text- und Bildinschriften – wie zum Beispiel die Grabinschrift (Epitaph) in einer Dorfkirche im Landkreis Hildesheim – wie die Idee der Reformation im Volk verbreitet wurde.
»Die deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit sind das größte interakademische Projekt, das wir in unserem gemeinsamen Forschungsprogramm, dem Akademienprogramm, bearbeiten«, erläutert Prof. Dr. Dr. Hanns Hatt, der Präsident der Akademienunion. »Inschriften sind einzigartige, alltagsnahe Quellen für das Leben unserer Vorfahren und damit ein wertvolles Kulturgut, dessen Erschließung ein Stück unserer eigenen Geschichte und Identität bewahrt«, betont er die Bedeutung des Forschungsprojekts.
Auf der interakademischen Plattform »Deutsche Inschriften Online« (DIO) ist ein Großteil der Bände auch online abrufbar (www.inschriften.net).
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