Kult um den Krokodilsgott

Ägyptische Tempel waren nicht nur Kultstätten, sondern auch florierende Wirtschaftsunternehmen. Was an den heiligen Orten ablief? Das erforscht der Ägyptologe Martin Stadler von der Universität Würzburg. Für sein Projekt hat er 300.000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt bekommen.

Der Würzburger Ägyptologe Martin Stadler erforscht den Kult im Tempel Dime und das Alltagsleben im Umfeld des Heiligtums. (Foto: Robert Emmerich)
Der Würzburger Ägyptologe Martin Stadler erforscht den Kult im Tempel Dime und das Alltagsleben im Umfeld des Heiligtums. (Foto: Robert Emmerich)

Mitten in der Wüste, nahe bei der Oase Fayum, südwestlich von Kairo: Dort liegen die Überreste des Tempels Dime, für den sich Privatdozent Dr. Martin Stadler interessiert. Der Tempel war in den Jahrhunderten um Christi Geburt dem Soknopaios geweiht, einem Gott mit Krokodilskörper und Falkenkopf. Die Bewohner von Fayum verehrten ihn als Manifestation des Sonnengottes, als Gott der Schöpfung.

Über das tägliche Ritual, das die Priester in Dime zelebrierten, weiß der Würzburger Ägyptologe schon einiges. Die Priester durften den Tempel nicht einfach so betreten. Sie hatten bestimmte Wege einzuhalten und mussten an vorgeschriebenen Stellen Sprüche sagen. Darin beteuerten sie zum Beispiel, in guter Absicht zu kommen - denn der Gott sollte das Eindringen in sein Heiligtum nicht als Aggression auffassen.

Ziel des Weges war immer das Allerheiligste des Tempels. In diesem Raum befand sich ein Schrein mit einem Kultbild des Gottes. "Das war eine meist etwa 50 Zentimeter große Statue, und die Priester hatten sie jeden Tag aufs Neue zu versorgen", erklärt Stadler. Weihrauch wurde verbrannt, der Schrein geöffnet. Die Priester salbten dann die Statue, versahen sie mit neuer Kleidung und reichten ihr Opfergaben. Zu all diesen Tätigkeiten hatten sie Ritualsprüche aufzusagen.

Wie das Ritual ablief, welche Worte die Priester sprechen mussten: Das erfährt Stadler aus Papyri, die aus dem Tempel von Dime stammen. Mehrere Überreste eines einstmals zusammenhängenden Textes hat er in den vergangenen Jahren in ganz Europa zusammengetragen. In Berlin, Wien, London und anderen Städten. Als Beute von Raubgräbern waren die wertvollen Handschriften im 19. Jahrhundert dorthin gelangt.

Beschrieben sind die Papyrus-Fragmente mit demotischer Schrift. "Das war eine Schreibschrift für den täglichen Gebrauch. Sie ist über Umwege aus dem Hieroglyphischen entstanden, circa ab 650 vor Christus", sagt der Ägyptologe. Die Entzifferung dieser Schrift ist selbst für den Experten eine Herausforderung: "Sie ist wahnsinnig schwierig, weil sie vom normalen Demotischen abweicht. Das ist bei religiösen Texten häufig der Fall und ganz besonders noch einmal bei den Papyri aus Dime", so Stadler. Denn die Schreiber dieses Ortes hatten sich einige Eigenheiten angewöhnt.

Noch kniffliger wird die Erforschung der Papyri, weil die antiken Dokumente teils stark zerlöchert sind. Aber auch daraus gewinnt Stadler eine Erkenntnis: "Das weist auf einen häufigen Gebrauch der Papyrusrolle hin. Die Priester hatten sie beim Ritual im Tempel dabei und lasen die Texte ab."

Von Stadlers Einsichten profitiert auch ein italienisches Forschungsteam um die Archäologin Paola Davoli. Sie ist von der Universität des Salento in Lecce und leitet die Grabungen in Dime. Bis 2002 gingen die Wissenschaftler davon aus, dass der Tempel von Dime drei hintereinander liegende Tore hat. Bis sie dann einen Anbau freilegten. Und bis Stadler bei einem Vortrag von Paola Davoli eine Zeichnung vom Grundriss des Tempels sah. Aus dem demotischen Text wusste er, dass der Priester beim Eintreten in den Tempel von Dime fünf Tore zu passieren hatte. Deren Lage erkannte er auf dem Grundriss. Und so konnte er voraussagen, dass im Anschluss an den soeben entdeckten Anbau die große Säulenhalle folgen müsste. Die Italiener hörten es mit Interesse - und fanden Stadlers Theorie im weiteren Verlauf der Grabungen bestätigt.

Seitdem kooperiert der Würzburger mit den Forschern aus Lecce. Er ist der so genannte Grabungsphilologe, entziffert und ediert also Schriftstücke, die bei der Grabung gefunden wurden und die noch entdeckt werden. Und der schwierige Ritualtext aus Dime, den er selber zusammengetragen hat? Seine weitere Erforschung ist Teil von Stadlers DFG-Projekt: "Bis wir ihn komplett verstehen, werden noch einige Jahre vergehen."

Nicht nur um Religiöses drehen sich die Texte aus Dime. Sie geben auch Aufschluss über das Leben im Umfeld des Tempels. "Der Kult musste finanziert werden. Weihrauch war teuer, die Priester mussten von etwas leben, das Personal in den Tempelwerkstätten war zu bezahlen", sagt Martin Stadler.

Kurzum: Der Tempel war auch ein Wirtschaftsunternehmen - mit Verwaltung und Buchhaltung, mit Ländereien, Viehherden und Wollproduktionsstätten. In der römischen Zeit von 300 vor bis 250 nach Christus wurde der Tempel auch besteuert. "Dime war in der höchsten der damals drei Steuerklassen", sagt Stadler, "daher wissen wir, dass er florierte und von großer Bedeutung war."

Über die wirtschaftliche Tätigkeit des Tempels von Dime gebe es in Berlin und Wien "meterlange Texte, die alle noch unerforscht sind", so Stadler. Rund 1300 Listen aus der Tempelbuchhaltung, die allesamt sehr gut datiert sind, harren der wissenschaftlichen Bearbeitung. "Nach ihrer Auswertung können wir die Wirtschaftsgeschichte von Dime schreiben", sagt Stadler. Auch das soll in seinem Projekt angegangen werden.

Abrechnung für Weizenlieferungen: Darum geht es auf dieser in demotischer Schrift beschriebenen Tonscherbe aus dem Tempel von Dime. Die erstmalige Publikation dieser Scherben ist Teil des Würzburger DFG-Projekts. (Foto: Martin Stadler)
Abrechnung für Weizenlieferungen: Darum geht es auf dieser in demotischer Schrift beschriebenen Tonscherbe aus dem Tempel von Dime. Die erstmalige Publikation dieser Scherben ist Teil des Würzburger DFG-Projekts. (Foto: Martin Stadler)
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