Konnten Neandertaler sprechen?

Max-Planck-Wissenschaftler vermuten, dass die moderne menschliche Sprache schon vor 500.000 Jahren entstanden ist.

Neanderthaler
Wissenschaftler vermuten, dass der moderne Mensch nicht nur Neandertaler- und Denisova-Gene in sich trägt, sondern auch noch Reste der Sprache seiner nächsten Verwandten bewahrt hat. © MPI für evolutionäre Anthropologie

Sprache ist ein flüchtiges Medium, sie hinterlässt keine direkt messbaren Spuren. Auf der Suche nach den Ursprüngen menschlicher Sprache sammeln Wissenschaftler deshalb archäologische, anatomische und genetische Indizien, die ihnen verraten, wann die Fähigkeit zu sprechen entstanden ist. Forschern vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande, zufolge deuten die meisten wissenschaftlichen Studien darauf hin, dass die menschliche Sprache deutlich älter ist als bislang angenommen. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass schon der letzte gemeinsame Vorfahr von Neandertaler und modernem Menschen sprechen konnte. Möglicherweise enthalten heutige Sprachen sogar noch Elemente der Sprachen früherer Menschenformen.

Neandertaler sind die nächsten Verwandten des modernen Menschen. Der letzte gemeinsame Vorfahr lebte vor rund 500.000 Jahren. Mehrere Jahrhunderttausende lang war der Neandertaler bestens an die rauen Lebensbedingungen im westlichen Eurasien angepasst. Trotzdem galten sie lange als primitive, affenähnliche Wesen. Intelligenz, Kultur und Sprache wurden ihnen von der Forschung lange Zeit abgesprochen. Archäologische, paläoanthropologische sowie genetische Daten haben viele Wissenschaftler jedoch zum Umdenken gebracht. Inzwischen weiß man, dass moderne Menschen, Neandertaler und vermutlich verschiedene andere, noch unbekannte Menschenformen in engem Kontakt miteinander standen und sich sogar genetisch vermischt haben. Dies deutet darauf hin, dass sie ähnliche intellektuelle und kulturelle Fähigkeiten besaßen.

Dan Dediu und Stephen C. Levinson vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik schließen aus diesen Daten, dass die menschliche Sprache in der heutigen Form mindestens bis zum letzten gemeinsamen Vorfahren von modernem Menschen und Neandertaler zurückgeht. Sprache ist demnach vor 1,8 Millionen bis einer Million Jahren entstanden, also zwischen der Entstehung der Gattung Homo und dem Auftauchen von Homo heidelbergensis, dem mutmaßlichen Vorfahren des modernen Menschen und Neandertaler. Sie hat sich über einen langen Zeitraum weiter entwickelt. Diese Interpretation der beiden Max-Planck-Wissenschaftler verschiebt den Ursprung um den Faktor zehn nach hinten: Bislang gingen die meisten Forscher davon aus, dass Sprache vor 100.000 bis 50.000 Jahren als Folge einer einzelnen, plötzlich aufgetretenen Veränderung im Erbgut entstanden ist.

Der moderne Mensch sich im Laufe seiner Geschichte außerhalb Afrikas sowohl mit dem Neandertaler vermischt also auch mit dem Denisova-Menschen, einer weiteren Menschenform, die bislang nur aus Erbgut-Analysen bekannt ist. So finden sich im Erbgut von heute lebenden Menschen Gene, die ursprünglich von Neandertalern und Denisova-Menschen stammen. Darüber hinaus deuten Gemeinsamkeiten bei der Fertigung von Werkzeugen oder Waffen deuten auch auf einen kulturellen Austausch hin. Dediu and Levinson zufolge könnten sich bei diesen Begegnungen auch die Sprachen vermischt haben. Der moderne Mensch trägt demnach nicht nur Neandertaler- und Denisova-Gene in sich, sondern hätte auch noch Reste der Sprache seiner nächsten Verwandten bewahrt. Die heutige Sprachenvielfalt würde dann zum Teil auf die Begegnungen mit anderen Menschenformen zurückgehen. Ein deutlicher Hinweis auf eine solche Sprachvermischung wäre es, wenn Sprachforscher strukturelle Unterschiede zwischen afrikanischen und nicht-afrikanischen Sprachen finden würden. Denn nur die nicht-afrikanischen Sprachen könnten Element von Neandertaler- und Denisova-Idiomen enthalten.

Publikation

Dediu, D., & Levinson, S. C.
On the antiquity of language: The reinterpretation of Neandertal linguistic capacities and its consequences
Frontiers in Language Sciences, 4: 397.
doi:10.3389/fpsyg.2013.00397

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