Klimakapriolen der letzten 600.000 Jahre
Die Ergebnisse der Bohrungen liefern zudem die Grundlage für Risikoabschätzungen, wie groß die Naturgefahren für die heutige Bevölkerung sind. In einer Sonderausgabe der renommierten Zeitschrift »Quaternary Science Reviews« stellen die Wissenschaftler nun ihre Resultate in mehreren Fachartikeln vor.
In den Sedimenten des Van-Sees lassen sich die helleren, kalkhaltigen Sommer- von den dunkleren, tonreichen Winterschichten – auch Warven genannt – deutlich voneinander unterscheiden. Ein internationales Forscherkonsortium hat im Jahr 2010 von einer schwimmenden Plattform aus bei einer Wassertiefe von 360 Metern ein 220 Meter mächtiges Sedimentprofil tief in den Seegrund hinein erbohrt und die Warven analysiert. Es handelt sich dabei um einen einzigartigen wissenschaftlichen Schatz: Denn an den Bohrkernen lassen sich die jeweiligen Klimabedingungen, Erdbeben und Vulkanausbrüche der vergangenen 600.000 Jahre in hervorragender Qualität ablesen.
Das Wissenschaftlerteam unter Federführung der Universität Bonn hat insgesamt rund 5.000 Proben analysiert. »Die Ergebnisse zeigen, dass das Klima in den vergangenen Hundertausenden Jahren Achterbahn gefahren ist. Innerhalb weniger Jahrzehnte konnte das Klima kippen und von Eiszeiten auf Warmzeiten und umgekehrt umschalten«, berichtet der Paläoökologe Prof. Dr. Thomas Litt vom Steinmann-Institut der Universität Bonn und Sprecher des internationalen Forscherkonsortiums PALEOVAN. Lückenlose kontinentale Klimaarchive aus dem Eiszeitalter, die mehrere Jahrhunderttausende umfassen, sind weltweit extrem selten. »Bislang gab es im gesamten Nahen Osten und in Zentralasien keine so weit in die Vergangenheit zurückreichende Kontinentalbohrung«, sagt Prof. Litt. Auf der Nordhalbkugel sind die Klimadaten aus Eisbohrkernen Grönlands maximal 120.000 Jahre alt. Das Van-See-Projekt schließt eine Lücke im wissenschaftlichen Klimaprotokoll.
Sedimente offenbaren sechs Zyklen aus Kalt- und Warmzeiten
Insgesamt sechs Zyklen aus warmen und kalten Perioden konnten die Wissenschaftler in den Ablagerungen des Van-Sees feststellen. Der Paläoökologe der Universität Bonn und seine Kollegen analysierten die in den Sedimenten konservierten Pollen. Mit einem Mikroskop lässt sich bestimmen, von welchen Pflanzen um den ostanatolischen See herum der Blütenstaub stammt. »Pollen sind erstaunlich widerstandsfähig und überdauern in den Sedimenten geschützt auch sehr lange Zeiträume«, erläutert Prof. Litt. Aufschluss über das Alter der einzelnen Schichten gaben radiometrische Altersbestimmungen, die den Zerfall radioaktiver Elemente als geologische Uhr nutzen. Aus der Art des Pollens und dem Alter schlossen die Wissenschaftler, wann für Warmzeiten typische Eichenwälder am Van-See wuchsen und wann sich eiszeitliche Kältesteppen aus Gräsern, Beifuß und Gänsefußgewächsen ausbreiteten.
Anhand der Pflanzenartenzusammensetzung und ihren jeweiligen Standortansprüchen können die Wissenschaftler recht genau die Temperatur und den Niederschlag für unterschiedliche Epochen rekonstruieren. Das Forscherteam liest in den Warven des Van-Sees deshalb wie in tausenden Seiten eines Archivs. Anhand dieser Daten wies das Team nach, dass die Klimaschwankungen vor allem auf periodische Schwankungen der Erdbahn und damit verbunden der Sonneneinstrahlung zurückzuführen sind. Aber auch der Einfluss von Nordatlantikströmungen machte sich bemerkbar. »Durch die Analysen der Van-See-Sedimente erhalten wir eine Vorstellung davon, wie ein Ökosystem auf abrupte Klimaschwankungen reagiert. Diese Grundlagen helfen, mögliche Szenarien zu künftigen Klimafolgewirkungen zu entwickeln«, führt der Paläoökologe der Universität Bonn aus.
Risiken für Erdbeben und Vulkanausbrüche in der Region Van
Solche Risikoabschätzungen lassen sich auch zu anderen Naturgewalten machen. »Vulkanaschenablagerungen von einer Mächtigkeit bis zu zehn Metern in den Van-See-Ablagerungen zeigen uns, dass es vor rund 270.000 Jahren ordentlich gerumst hat«, sagt der Paläoökologe der Universität Bonn. Auf rund 300 unterschiedliche vulkanische Tufflagen stieß das Team bei seinen Bohrungen. Das ergibt statistisch immerhin alle 2000 Jahre einen explosiven Vulkanausbrauch in der Region. Wie Deformationen in den Ablagerungsschichten zeigen, treten dort auch häufiger stärkere Erdbeben auf. »Die Gegend um den Van-See ist sehr dicht besiedelt. Die Daten aus den Bohrkernen zeigen, dass Vulkanaktivitäten und Erdbeben ein relativ großes Risiko für die Region bergen«, sagt Prof. Litt. Nach Medienberichten kamen in der Provinz Van im Oktober 2011 durch ein Beben der Stärke 7,2 mehr als 500 Menschen ums Leben, mehr als 2500 wurden verletzt.
Publikation
Results from the PALEOVAN drilling project: A 600‘000 year long continental archive in the Near East, Quaternary Science Reviers, Volume 104
doi: 10.1016/j.quascirev.2014.09.026
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