Kalkriese als Ort der Varusschlacht? Großes Forschungsprojekt startet in Museum und Park Kalkriese
»Über die historische Einordnung des archäologischen Fundplatzes wird seit vielen Jahren diskutiert. Stammen die Funde aus der Varusschlacht, im Jahr 9 n. Chr. oder sind sie einer Schlacht unter dem Feldherren Germanicus sechs Jahre später zuzuordnen? Beide Argumentationslinien haben ihre Argumente – jedoch wurde das archäologische Fundmaterial selbst bislang kaum in der Debatte berücksichtigt«, erklären Museumsleiterin Dr. Heidrun Derks und Sammlungsleiter Dr. Stefan Burmeister vom Museum Kalkriese die Beweggründe für das Projekt. Gefördert wird das auf drei Jahre angelegte Projekt durch die VolkswagenStiftung in Höhe von 435.000 € im Rahmen der Förderinitiative »Forschen in Museen«. »Wir sind dank der Zuwendung in der Lage hier vor Ort ein großes Forschungsprojekt durchzuführen. Die Kombination aus Forschung und anschließender Ausstellung der Ergebnisse passt hervorragend zu unserem Selbstverständnis als lebendiges Museum als ein offener und diskussionsfreudiger Ort der Forschung«, so Dr. Joseph Rottmann, Varusschlacht im Osnabrücker Land. In den kommenden Jahren werden die Forscher gemeinsam mit den Partnern in Bochum und München die Kalkrieser Sammlung umfassend untersuchen. Dabei stehen die archäologischen Objekte aus Kalkriese im Fokus der Betrachtung. »Neue, verbesserte Analysemethoden erlauben einen immer neuen Blick auf vermeintlich altbekannte Funde – mit manchmal überraschenden Ergebnissen«, so der wissenschaftliche Leiter des Projekts Kalkriese, Prof. Dr. Salvatore Ortisi.
Vier Module versuchen das Fundensemble, das hauptsächlich aus Metallen wie Eisen oder Kupferlegierungen besteht, zu fassen. Die kulturhistorische Einordnung der Kalkrieser Funde bildet den Schwerpunkt des ersten Vorhabens des Gesamtprojekts. Es geht darum ein näheres Verständnis zur einstigen Funktion der sehr stark fragmentierten, oft nur wenige Zentimeter großen Objekte vom antiken Schlachtfeld in Kalkriese zu erlangen. In einem zweiten Modul sollen mittels moderner Untersuchungsmethoden weitere Informationen zu den Funden gewonnen werden. Es wird u. a. versucht, durch der Ermittlung eines metallurgischen Fingerabdrucks die Identität der in Kalkriese untergegangen Legionen zu ermitteln. Die zentrale Frage: Welche Legionen wurden genau in die Kämpfe am Kalkrieser Berg verwickelt? Dieser neue methodische Ansatz könnte im Vergleich mit weiteren Fundplätzen wie Xanten und Vindonissa die Herkunft der in Kalkriese untergegangenen römischen Einheiten klären. »Wir leisten seitens der Materialkunde sehr gerne unseren Beitrag zur weiteren Erforschung in Kalkriese und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit allen Partnern in diesem Projekt, an dessen Ende wir hoffentlich neue Erkenntnisse zur Frage haben: Varus oder Germanicus?«, freut sich Prof. Dr. Michael Prange, Leiter Bereich Materialkunde im Deutschen-Bergbau Museum Bochum.
»Als Forschungsgemeinschaft der Leibniz-Gemeinschaft ist für uns außerdem ein Gewinn, dass dieses Projekt uns auch die Möglichkeit gibt, unseren wissenschaftlichen Nachwuchs mit einzubeziehen und das Projekt entsprechend begleiten lassen zu können«, so Prange weiter.
In den weiteren Modulen rücken zwei sehr ungewöhnliche Fundgruppen in den Mittelpunkt: Auf der einen Seite die so genannten Glasaugen. Die Funktion der Miniaturaugen, die nur knapp lebensgroß sind, ist nicht bekannt. Waren Sie eine Möbelverzierung? Oder gehörten Sie als Anbringung auf Totenbetten, so genannten Klinen, in einen Bestattungskontext? Und was haben Sie auf dem Kampfplatz in Kalkriese zu suchen? In einem Vergleichsprojekt werden die insgesamt 23 bislang aus Germanien bekannten Glasaugen aus Kalkriese, Haltern, Oberaden, Anreppen, Xanten und Augusta Raurica (Schweiz) in ihrer chemischen Zusammensetzung analysiert. Damit soll versucht werden, zum einen die Herstellung dieser außergewöhnlichen Objekte nachzuvollziehen und über etwaige Materialanhaftungen gegebenenfalls die ursprüngliche Funktion der Glasaugen zu ermitteln. Auf der anderen Seite geben die in Kalkriese gefundenen mehrfach zusammengefalteten Bleche den Wissenschaftlern viele Rätsel auf. Auch ihre Funktion ist bislang ungeklärt. Durch eine digitale Rekonstruktion sollen die »Metallpäckchen« virtuell und in 3D entpackt, also in ihre Ausgangform zurückgeführt werden. Zentrale Fragen hier sind: Handelt es sich um Metallrecycling durch siegreiche Germanen oder haben die römischen Soldaten, wie durchaus üblich, das wertvolle Altmetall gesammelt und für die weitere Verarbeitung geammelt? Hier wird der Kalkrieser Fundbestand mit Vergleichsstücken aus dem Römerlager in Haltern näher untersucht.
Eine öffentlichkeitswirksame Vermittlung des Projekts erfolgt laufend über die Internetseite des Museums, einen Forschungsblog und eine geplante webbasierte Datenbank, die über einen Open Access, einen freien Zugang, einsehbar sein wird. Im Jahr 2020 ist zusätzlich eine große Sonderausstellung geplant, die die Ergebnisse populär und verständlich für die Besucher aufbereiten soll. Im Rahmen des Projekts werden zwei Doktorandenstellen eingerichtet. Neben dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum und der LMU München unterstützen die Universität Osnabrück, das LVR-LandesMuseum Bonn, die LWL Archäologie für Westfalen, das LWL-Römermuseum Haltern am See, der LVR-Archäologische Park Xanten, das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg, das Musée Gallo-Romain (Frankreich), die Augusta Raurica (Schweiz) und die Kantonsarchäologie Aargau das Projekt.
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