Historische Fallstudien zu Pandemien
»In einer solchen Situation wie der derzeitigen ist es lohnend, in die Vergangenheit zu blicken und Strategien früherer Kulturen im Umgang mit Epidemien bzw. Pandemien in Erinnerung zu rufen«, erklärt der Sprecher des Clusters, Archäologe Professor Johannes Müller, die Motivation hinter der Veröffentlichung. Denn wenn moderne Technologien an ihre Grenzen kommen, weil es beispielsweise noch keinen Impfstoff oder passende Medikamente gibt, geht dem Menschen heute im Kern wie vor hunderten von Jahren. Die interdisziplinär angelegte Broschüre, die auf Deutsch und Englisch erscheint, enthält Momentaufnahmen von vom Neolithikum über die klassische Antike bis ins Mittelalter. Als Autorinnen und Autoren fungieren die einschlägigen Expertinnen und Experten aus dem breiten Fächerspektrum des Clusters, das gleichermaßen aus Natur-, Lebens- und Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern besteht. In kurzen, allgemein verständlichen, reich bebilderten Artikeln widmen sie sich signifikanten Fällen von Seuchen, ihrer Entstehung, ihren Verläufen, überraschend vielfältigen Strategien zu ihrer Bewältigung und nicht zuletzt dem durch zeitgenössische Reflexionen kulturell bewahrten Wissen.
Kein neuzeitliches Phänomen: Gesellschaftliche Verwerfungen
Die Beiträge sollen den Blick zu unerwarteten Einsichten in zum Teil vermeintlich Altbekanntes eröffnen. »So ist es beispielsweise kaum mehr im Bewusstsein, dass der griechische Dichter Homer in seiner Ilias die Problematik der Handlung vom Trojanischen Krieg um den Ausbruch einer Seuche herum konstruiert«, berichtet Professor Lutz Käppel. »Die Wurzel der Tragik der Ilias, all des sinnlosen Mordens und Sterbens, liegt letzten Endes im Scheitern am sozialen Ausgleich bei der Bewältigung der Seuche, gar nicht in ihrer faktisch-medizinischen.« Die wahre Gefahr für ein Gemeinwesen – so die Moral dieses Werkes am Anfang der europäischen Literaturgeschichte – gehe eher von der internen sozialen Verwerfung von Interessen als von der eigentlichen Seuche aus. Wie dieser Ansatz in der heutigen Zeit dargelegt wird, zeigt Käppel in seiner neuen Werkinterpretation.
Aus der Geschichte lernen
»Der Grundgedanke des Clusters ist, dass es stets Konnektivitäten sind, die die Entwicklung menschlicher Gesellschaften maßgeblich prägen: Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt, Gruppen und anderen Gruppen, im weiteren Sinne auch zwischen verschiedenen Handlungsdomänen wie Lebensweisen, gesellschaftlichen Ordnungen, Wissenskulturen, ökonomischen Strategien, Ernährungsweisen oder Krankheitsbildern. Das konnte auch hier als Ausgangsbasis dienen«, fasst es Lutz Käppel zusammen.
Die Artikel bieten keine Patentrezepte zur Bewältigung der aktuellen Pandemie. »Allerdings leisten sie einen unverzichtbaren Beitrag zu einem historisch aufgeklärten Umgang mit einer derartigen Bedrohung, bei der historische Erfahrung neben modernem medizinischem Wissen Teil einer Gesamtstrategie zu ihrer Bewältigung sein muss«, resümiert Johannes Müller.
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