Grabbeigabe unter dem Elektronenmikroskop
Der Bauer staunte nicht schlecht. Das mulmige Gefühl, als sein Pflug plötzlich an metallischen Widerstand im Acker stieß, wich zunehmend der Überraschung: Das was beim Pflügen auf dem Schweinsrück, einem Flurstück in der Nähe des thüringischen Dörfchens Ballstädt, zutage kam, war keine Fliegerbombe oder andere Hinterlassenschaft des letzten Krieges. Es war weit älter. Und es waren mehrere Dinge, teils aus Metall, teils aus Keramik.
Etwa 2.000 Jahre alte Urnen samt deren Inhalt hatte der Landwirt im Herbst 2003 ans Tageslicht befördert. Dies bestätigten die folgenden Untersuchungen durch Denkmalpfleger und Archäologen. Der Ballstädter Schweinsrück war ein Urnenbestattungs- bzw. Brandgräberfeld. Nach keltischer bzw. elbgermanischer Tradition wurden die Toten in dieser Zeitperiode mit ausgewählten Beigaben verbrannt und Asche und Reste anschließend in Urnen bestattet. Bis heute werden darin der so genannte »Leichenbrand«, Asche und Knochenstücke, sowie Überreste und teils erhaltene Beigaben gefunden.
Eine besonders interessante Grabbeigabe, die 2014 auf dem Schweinsrück zutage kam, wurde in diesem Jahr zum Thema einer Bachelorarbeit: David Bitter, Student der Fachrichtung »Konservierung und Restaurierung« der Fachhochschule Erfurt, untersuchte die Reste eines Schildbuckels, des schmiedeeisernen Mittelteils eines Holzschildes, die in einer Keramikurne gefunden wurden.
Für seine Arbeit forschte er nicht nur am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Weimar, der Arnstädter setzte sich auch mit Wissenschaftlern der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena in Verbindung. Denn überraschenderweise waren Teile der Oberfläche des metallischen Schildbuckels auch nach mehr als 2.000 Jahren völlig frei von Rost geblieben.
Möglicherweise hatte sich dort eine schützende Schicht auf der Oberfläche gebildet. Aber wie war sie entstanden und woraus bestand sie? David Bitter wollte diese rostfreien Stellen in seiner Abschlussarbeit chemisch charakterisieren und mögliche Ursachen der Entstehung erforschen. »Durch die Hitzeeinwirkung auf den Stahl«, so Bitter, »hat sich vermutlich eine Art Brandpatina gebildet. Im Querschliff des Materials ist diese Patina als dunkle Linie erkennbar.«
Physiker der EAH Jena untersuchten eine etwa zwei mm große Probe des Schildbuckels unter dem Rasterelektronenmikroskop. »Hoch spannend!“, beurteilte Steffen Teichert, derzeit Dekan des Fachbereichs SciTec, seine Untersuchungen: »Zur Bestimmung der Zusammensetzung dieser besonderen, nicht korrodierten Schicht auf dem Schildbuckel haben wir verschiedene Analyseverfahren eingesetzt. Mittels der Röntgenspektroskopie ließ sich eine auf dem Metallkern liegende Passivierungsschicht aus verschiedenen Eisenoxiden nachweisen. Diese Oxidschicht wurde von uns sicher als Brandpatina identifiziert.«
Unter Passivierung wird (lt. Wikipedia) die spontane Entstehung oder gezielte Erzeugung einer nichtmetallischen Schutzschicht auf einem metallischen Werkstoff verstanden, welche die Korrosion des Grundwerkstoffes verhindert oder stark verlangsamt. Im Falle des keltischen Schildbuckels, der nicht nur als Verzierung diente, sondern auch dem Schutz der Hand des Schildträgers, handelt es sich um eine spontane Entstehung durch Brandhitze.
Welche Eisenoxide konnten Prof. Dr. Teichert und seine Kollegen als Bestandteile der Brandpatina nachweisen? Durch die so genannte »Elektronenrückstreubeugung«, ein Verfahren, das eine ortsaufgelöste Analyse der Kristallstrukturen erlaubt, haben die Wissenschaftler drei verschiedene Eisenoxide festgestellt: »Im Inneren der Patina fanden wir Wüstit, ein Eisenoxid, das bei sehr hohen Temperaturen, um die 750 bis 950 Grad Celsius, entsteht, in der Mitte befand sich Magnetit und am äußeren Rand der Brandpatina Hämatit«, so Teichert, der im kommenden November die Leitung der Ernst-Abbe-Hochschule Jena antritt.
Ob diese Oxidschicht durch das Schmieden des Schildbuckels oder durch die Verbrennung des Toten zustande kam, lässt sich nur vermuten. Doch spricht alles dafür, dass die Brandpatina von der Leichenverbrennung stammt, da für die Entstehung der gefundenen Oxide eine längere Hitzeeinwirkung nötig ist, als bei der Bearbeitung im Schmiedefeuer.
David Bitter hat den Schildbuckel restauriert und so weit wie es möglich war, dem historischen Originalzustand angeglichen. Besonders eindrucksvoll ist für ihn, dass die Oxidschicht auch Zeichen der Herstellung und Nutzung des Schildbuckels bewahrt hat. Er weist auf Schleif- und Hammerspuren hin: »Die Brandpatina hat viele Spuren erhalten, die sonst durch die Korrosion verloren gegangen wären. Diese 2.000 Jahre alten Kratzer und Beulen verbinden sich mit der Patina zu einer Einheit, die den Lebensweg des Schildes dieses keltischen Kriegers, von seiner Herstellung, über den Gebrauch bis hin zum Verbrennen, für uns dokumentiert.«
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