Glasnadeln machten Keramik brasilianischer Ureinwohner robuster

Vor 1.500 Jahren haben Brasiliens Ureinwohner ihren Ton mit Zusatzstoffen vermischt, damit er haltbarer wird. Eine wichtige Rolle spielten dabei mikroskopisch kleine Glasnadeln von Süßwasser-Baumschwämmen. Das hat eine internationale Forschergruppe unter Leitung von Dr. Filipe Natalio vom Institut für Chemie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg herausgefunden.

Tonscherben mit Glasnadeln
Glasnadeln aus Süßwasser-Baumschwämmen machten die Keramikgefäße, von denen diese Scherben stammen, robuster. Foto: Uni Halle / Tom Leonhardt

Gemeinsam mit Kollegen der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung Mainz und des Berliner Julius-Wolff-Instituts konnte er erstmals nachweisen, dass der Ton dadurch robuster wird. Die Studie wurde im Fachjournal »Scientific Reports« der Nature Publishing Group veröffentlicht.

Die Idee für das Projekt kam Filipe Natalio während einer Urwald-Expedition im brasilianischen Manaus. Dort ließ er sich gemeinsam mit seinen Kollegen aus Deutschland, Chile und Brasilien eine Jahrtausende alte Technik zur Herstellung von Ton-Gefäßen zeigen. »Es war bereits bekannt, dass die Ureinwohner Amazoniens die Glasnadeln von Süßwasser-Schwämmen in ihren Ton gemischt haben«, berichtet Natalio. Allerdings hatte man dafür bisher noch keinen Grund gefunden.

Auch andere Völker hätten frühzeitig Ton mit zusätzlichen Stoffen vermischt. »Wir können jetzt beweisen, dass hier erstmals biologisch-anorganische Stoffe organischen Ursprungs verwendet wurden«, fasst der gebürtige Portugiese die Studie zusammen. Für ihre Forschung haben die Wissenschaftler bis zu 1.500 Jahre alte Tonscherben aus archäologischen Grabungen an den Fundorten Itacoatiara und Silves im zentralen Amazonasgebiet analysiert. Mit Hilfe von optischen und Elektronen-Mikroskopen haben die Forscher die Oberfläche untersucht, anhand von Hochleistungs-Röntgenaufnahmen konnten sie sich ein Bild von der inneren Struktur der Tonstücke machen.

Durch weitere Tests im Labor konnten die Forscher die besonderen mechanischen Eigenschaften der Glasnadeln beschreiben. »Sie sind erstaunlich robust und trotzdem biegsam, was sonst bei Glas nicht der Fall ist«, so Natalio weiter. Noch ungewöhnlicher: Selbst nach einer Erhitzung auf 500 Grad Celsius verloren die Nadeln diese Eigenschaften nicht. Normalerweise zieht sich Ton beim Brennen zusammen. Im Labor konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass mit Glasnadeln angereicherter Ton sein Volumen nur um etwa elf Prozent verringert, während sich seine Steifheit verdreifacht. »Das haben sich die Menschen damals zunutze gemacht: Mit der Mischung aus Ton und Glasnadeln konnten sie größere Tongefäße herstellen und damit mehr Wasser oder Nahrung speichern«, berichtet der Chemiker. Diese verbesserten Eigenschaften seien vermutlich auch der Grund, warum Überreste dieser speziell angefertigten Tongefäße im ganzen Amazonastiefland zu finden sind.
Aber nicht nur die Glasnadeln waren für die verbesserten Eigenschaften verantwortlich. Auch die Herstellungstechnik der Keramikgefäße habe entscheidend dazu beigetragen: »Die Ureinwohner stellten ihre Gefäße her, indem sie den Ton rollten und in Schichten übereinander legten«, berichtet Natalio. Durch diese Technik konnten sich die Glasnadeln gleichmäßig verteilen. »Dadurch verhindern die Nadeln auch, dass sich ein Riss oder Bruch im Ton ungestört ausbreiten kann«, erklärt der Chemiker.

Zwar könnten die Erkenntnisse nicht in eine konkrete Anwendung überführt werden. »Wir haben heute mit Nanoröhren oder Glasfaserkabeln deutlich modernere Stoffe, composite materials, zur Verfügung, die aber auf demselben Prinzip beruhen wie die Tonarbeiten vor 5.000 Jahren«, fasst er zusammen. Damals wie heute wurden also verschiedene Werkstoffe miteinander vermischt, um sogenannte Verbundwerkstoffe mit verbesserten Eigenschaften herzustellen. Die Ergebnisse liefern aber einen Baustein, um die Geschichte der Einwohner Amazoniens und ihrer technologischen Entwicklung besser zu verstehen. »Das ist nur möglich gewesen, weil in diesem Projekt Archäologen, Physiker und Chemiker zusammen gearbeitet haben«, betont Natalio.

Publikation

Natalio, Filipe et al. Siliceous spicules enhance fracture-resistance and stiffness of pre-colonial Amazonian ceramics. Sci. Rep. 5, 13303; doi: 10.1038/srep13303 (2015).

Blog-Beiträge durchblättern
Mit unserem kostenlosen Newsletter können Sie sich regelmäßig alle aktuellen Infos von Archäologie Online bequem in Ihr Postfach senden lassen.