Fundplatz revidiert Konzepte zur Entstehung und Ausbreitung neuer Technologien
An der Studie des internationalen Forscherteams um Prof. Dan Adler (University of Connecticut) ist auch der Archäologe Dr. Olaf Jöris beteiligt, Wissenschaftlicher Kurator im Archäologischen Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution MONREPOS bei Neuwied.
Steingeräteanalysen der rund 325.000 Jahre alten paläolithischen Fundstelle Nor Geghi 1 in Armenien zeigen, dass das Innovationspotential und die Flexibilität technologischer Konzepte früher Menschen bisher weit unterschätzt wurden. Für die frühen Phasen der Menschheitsgeschichte war man bislang davon ausgegangen, dass markante Verhaltensänderungen und technologischer Wandel eng an demographische Aspekte geknüpft sind. Technologische Neuerungen breiten sich demnach zusammen mit ihren Trägern von dem Ursprungsort einer Innovation in andere Teile der Welt aus. So ist die Faustkeil-Technologie in Afrika erstmals vor rund 1,75 Mio. Jahren belegt, tritt im Südwesten Asiens dann vor rund 1,5 Mio. auf, in Europa aber erst vor ca. 600-900.000 Jahren. Das Allzweckgerät bestimmt dann lange Zeit den "Werkzeugmarkt". Erst vor etwa 300.000 Jahren treten neue Technologien in Erscheinung, unter denen die sogenannte Levallois-Methode besondere Verbreitung findet. Sie ersetzt die Faustkeilherstellung weitgehend und markiert dem Archäologen den Beginn einer neuen Epoche, des sogenannten Mittelpaläolithikums bzw. des Middle Stone Age in Afrika. Diese Zeit ist durch eine Reihe weiterer, umfassender Verhaltensänderungen charakterisiert.
Die Levallois-Methode galt bislang meist als Erfindung früher anatomisch moderner Menschen in Afrika, wo sie vor rund 300.000 Jahren zuerst nachweisbar ist. Die aktuelle Studie belegt nun jedoch, dass Levallois-Konzepte an mehreren Orten unabhängig voneinander entwickelt wurden. Und zwar von unterschiedlichen Menschenarten: im westlichen Eurasien leben in dieser Zeit Neandertaler.
An der Fundstelle Nor Geghi 1 treten erstmals in Eurasien Faustkeile zusammen mit Steingeräten auf, die à la Levallois hergestellt sind. Beide Konzepte werden zeitweise parallel genutzt. Offenbar wird die Levallois-Methode hier wie auch andernorts aus bestehenden Konzepten der Faustkeilherstellung entwickelt. Dies ist umso bedeutender, da die Grundprinzipien beider Technologien grundverschieden sind. Ihr Nebeneinander zeugt von einem völligen Umdenken:
Bei der Herstellung von Faustkeilen wird ein großes Ausgangsstück (= der spätere Faustkeil) durch zahlreiche dünne Abschläge (= Abfall) beidflächig in die gewünschte Form gebracht. Bei der Levallois-Methode wird das Ausgangsstück rundum durch Abschläge in eine Form gebracht, die es erlaubt, schließlich einen in Größe und Morphologie gut vorherbestimmbaren, jedoch vergleichsweise kleinen Abschlag als Zielprodukt zu gewinnen. Diese Methode zeugt von abstrakter Planung durch eine mehrphasige Präparation.
Schon die Rohmaterialauswahl in Nor Geghi 1 belegt diese planerische Voraussicht: Analysen der hier verwendeten Obsidiane beweisen, dass die Steine z.T. aus Quellen in über 120 km Entfernung stammen. "Die Landnutzungssysteme dieser Menschen waren offenbar größer und komplexer, als wir bisher dachten", so Dr. Olaf Jöris (MONREPOS). "Wir erhalten hier ganz neue Einblicke in das Abstraktionsvermögen der Menschen und die Flexibilität, mit der sie technische Lösungen für ihren Alltag generierten. Eine Flexibilität, die im westlichen Eurasien über die folgenden 250 Jahrtausende das Leben der Neandertaler charakterisierte, während in Afrika vergleichbare Verhaltensweisen den frühen modernen Menschen kennzeichnen".
Publikation
D.S. Adler, K.N. Wilkinson, S. Blockley, D.F. Mark, R. Pinhasi, B.A. Schmidt-Magee, S. Nahapetyan, C. Mallol, F. Berna, P.J. Glauberman, Y. Racynski-Henk, N. Wales, E. Frahm, O. Jöris, A. MacLeod, V.C. Smith, V.L. Cullen, B. Gasparian
Early Levallois Technology and the Lower to Middle Paleolithic Transition in the Southern Caucasus
Science Vol 345 Issue 6204, S.1609-1613, 26. September 2014 (DOI: 10.1126/science.1256484)
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