Funde und Befunde aus über 2.500 Jahren im Herzen der halleschen Altstadt
Drei Monate lang hat das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in der Kleinen Steinstraße direkt neben einem der ältesten Fachwerkhäuser Halles ausgegraben. Das heutige Gebäude mit den markanten renaissancezeitlichen Fenstergewänden, in dem so mancher Hallenser bis 2007 in der hier befindlichen »Marktwirtschaft« sein Feierabendbier genoss, geht in seinem Kern auf das Jahr 1589/90 zurück. An exponierter Stelle in der Nähe der Ratswaage und des Rathauses gelegen, befand sich das Grundstück bis ins 18. Jh. hinein meist im Eigentum herausragender Personen der Stadtgeschichte wie der Schultheiß Melchior Hoffmann, verschiedene kurfürstlich brandenburgische Beamte oder der Stadtsyndikus Christian Bieck und seine Erben.
Für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist wahrscheinlich mit einem Vorgängergebäude, ebenfalls aus Fachwerk, zu rechnen - die Besiedlungsgeschichte des Areals an der Kleinen Steinstraße reicht allerdings viele Jahrhunderte weiter zurück.
Einzelne Pfosten und Scherben stammen bereits aus der Frühen Eisenzeit (800–500 v. Chr.). Bereits bei den Grabungen für die Erweiterung eines Kaufhauses Anfang der 2000er Jahre zeigten sich Pfostenreihen von vorgeschichtlichen Wohnhäusern im Bereich der Tiefgarage an der Kleinen Steinstraße. Wahrscheinlich zog diese Siedlung bis in das Areal der aktuellen Grabungsfläche gegenüber des Hauptgebäudes des Landesamtes.
Ebenfalls in die Frühe Eisenzeit datieren Reste von technischer Keramik, die in vorgeschichtlicher Zeit zum Sieden von Sole diente. Diese sogenannte Briquetage findet sich im gesamten Stadtgebiet und unterstreicht die lange Tradition der Salzgewinnung in Halle. Ergänzt werden diese Funde durch Reste von Solebecken, die bei früheren archäologischen Untersuchungen in der Gustav-Anlauf-Straße und auf dem Marktplatz zu Tage kamen.
Für den Zeitraum bis ins Mittelalter fehlen archäologische Zeugnisse. Erst im 10./11. Jahrhundert n. Chr. wurde dann ein hölzerner Kastenbrunnen errichtet. Ähnlich ist die Situation auf dem nahegelegenen Marktplatz, wo nach der vorgeschichtlichen Nutzung erst wieder im 11./12. Jahrhundert n. Chr. Brunnen und Grubenhäuser vor dem heutigen Ratshof eine spätslawische Siedlung belegen. Möglicherweise gehören die zeitgleichen Befunde in der Kleinen Steinstraße noch dazu.
Aus einem Kastenbrunnen, der anhand charakteristischer Keramik in die spätslawische Zeit (etwa 10./11. Jahrhundert n. Chr.) datiert werden kann, stammt ein kleiner zierlicher Fingerring (Durchmesser 1,6 cm) aus Kupfer oder Bronze mit kreisförmigen Verzierungen. Vermutlich wurde er von einem Kind oder einer jungen Frau getragen. Durch die normalerweise selten im archäologischen Befund auftretende Feuchtbodenerhaltung sind sogar Reste von mit parallelen Linien verzierter Birkenrinde überliefert. Es bleibt spannend, welche Überraschungen dieser Befund nach der fachgerechten Reinigung der Funde in der Restaurierungswerkstatt noch liefern wird.
Aus spätslawischer Zeit (Mitte 12. Jahrhundert n. Chr.) sind insbesondere sechs Fragmente von Bleiglasringen mit typisch D-förmigem Querschnitt zu erwähnen. Die meisten besitzen eine grünliche Farbgebung. Nur ein Fragment ist gelblich gefärbt, ein weiteres zeigt darüber hinaus eine Zierbemalung. Vermutlich wurden diese Ringe als Fingerringe, vielleicht aber auch als Kleiderbesatz getragen. Diese Glasringe sind vor allem im slawischen Raum bis weit in den Osten nach Russland hinein verbreitet. Einen weiteren besonders bemerkenswerten Fund stellt eine kleine Zierscheibe (Durchmesser 1,6 cm) dar, die vermutlich aus Blei gefertigt wurde. Sie zeigt einen Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Die Gestaltungsform des Adlers weist auf eine Datierung des Fundstücks in die Stauferzeit (Mitte 13. Jahrhundert) hin.
Die Ergebnisse der archäologische Untersuchung auf den zwei kleinen Parzellen »Kleine Steinstraße 3/4« und dem angrenzenden Hofbereich der Brüderstraße erweitern unser Wissen über die historischen Zeitenräume und Lebensaspekte, die nicht in den Schriftquellen erwähnt werden. Sie ergänzen außerdem die Erkenntnisse früherer Grabungen aus dem Bereich um den nördlichen Marktplatz und präzisieren unser Wissen darüber, in welchem Besiedlungskontext die Stadt Halle zu sehen ist und wie sie sich durch die Jahrhunderte hindurch entwickelte.
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