Fremde Frauen in der Hohen Börde?
Seit dem Jahr 2010 finden im Vorfeld der Erweiterung des Mammendorfer Hartsteinwerkes archäologische Ausgrabungen statt, die seit August 2014 durch eine kleine Grabungsmannschaft fortgesetzt werden. Auf der bisher untersuchten, insgesamt rund 10 ha umfassenden Fläche konnten über 1000 Befunde der späten Bronze- und Eisenzeit (ab ca. 1300 v. Chr.) dokumentiert werden. Der größte Teil dieser Siedlungsreste ist dabei einer eisenzeitlichen (ca. 800–50 v. Chr.) Besiedlung zuzuordnen. Anhand zahlreicher Siedlungsgruben, etwa vierzig Grubenhäusern und eines 3 Meter breiten Grabens, der die Siedlung nach Süden hin vom Umland abgrenzte, lässt sich das einstige Erscheinungsbild des Dorfes anschaulich nachvollziehen. Keramik- und Tierknochenfunde sowie Hinweise auf einen Metallverarbeitungsplatz geben detaillierte Einblicke in den Alltag und die Wirtschaftsweise der Bewohner. Einige der Siedlungsgruben enthielten menschliche Skelettreste, die im Gegensatz zum damals üblichen Bestattungsbrauchtum nicht verbrannt wurden.
Auf der Ausgrabungsfläche konnten zusätzlich zu den Siedlungsbefunden aus der jüngeren Bronze- und Eisenzeit mehr als zwei Dutzend reguläre Bestattungen aus vorangegangenen Perioden erfasst werden. Die ältesten Grabfunde wurden von den Trägern der mittelneolithischen Baalberger Kultur (ca. 4100–3600 v. Chr.) angelegt. Auch Gräber aus der endneolithischen Schönfelder (ca. 2700–2400 v. Chr.) und der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur (ca. 2200–1600 v. Chr.) belegen eine frühe Besiedlung des Gebietes.
Besonders aufsehenerregend sind jedoch zwei Bestattungen, die sich durch die Beigabe von reichem Gewand- und Körperschmuck aus Bronze auszeichnen und in die Mittelbronzezeit zu datieren sind. Das erste Grab, das die sterblichen Überreste einer erwachsenen Frau enthielt, kam bereits bei Grabungen im Jahr 2012 zutage. Die Tote war in gestreckter Rückenlage beigesetzt worden, vermutlich unter einem aufgeschütteten Hügel, von dem sich jedoch keine sichtbaren Reste erhalten haben. Ihr bronzener Schmuck, der im Kopfbereich aufgefunden wurde, setzte sich aus Spiralröllchen und einer 20 cm großen sogenannten Brillennadel mit doppeltem Spiralkopf zusammen. Vermutlich fixierten die bronzenen Trachtbestandteile eine Haube, ein Tuch oder einen Schleier am Kopf. Die Schmuckstücke erlauben eine zeitliche Eingrenzung auf 1350–1250 v. Chr. und werfen eindringlich die Frage nach der Herkunft der Bestatteten auf, da derartige Schmuckstücke nicht zum lokalen Trachtrepertoire gehörten, sondern typisch für die im heutigen Nordhessen und Südthüringen verbreitete sog. Fulda-Werra-Gruppe ist.
Bei den aktuellen Ausgrabungen wurde nun ein weiteres, wohl etwa gleichzeitig angelegtes Grab eines 9–10jährigen Mädchens in nur 50 m Entfernung zum oben beschriebenen Befund angetroffen. Seine Schmuckausstattung war mit einer Brillennadel, Spiralröllchen, einer Perlenkette sowie Arm- und Beinringen sogar noch umfangreicher und verweist auf den gleichen Herkunftsraum. Möglicherweise war auch das Mädchen in einem weithin sichtbaren Hügel beigesetzt worden – darauf könnte der größere Abstand zu den Siedlungsbefunden der Umgebung hindeuten. Der Befund soll aufgrund der guten Erhaltung und seiner kulturellen Bedeutung im Block geborgen werden.
Die Bestattungen von zwei weiblichen Individuen mit fremden Accessoires werfen diverse Fragen auf: Wie kamen die in der Hohen Börde Bestatteten in die Region? Spielten Heirats- oder Handelsverbindungen eine Rolle? Ist das Kind in dem Gebiet, wo es bestattet wurde, aufgewachsen oder erst kurz vor seinem Tod zugezogen? Bestanden verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Individuen?
Diese Aspekte werden nur weitere Forschungen, die u. a. DNA-Untersuchungen und Strontiumisotopenanalysen umfassen müssten, abschließend klären können.
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