Fraueninsel im Chiemsee: 1000 Jahre im Erdboden verborgener Zentralbau entdeckt
"Im Bereich des Fundes gab es die zum Kloster gehörende, erstmals für das Jahr 1393 überlieferte Kirche St. Martin. Sie befand sich auf dem höchsten Punkt der Insel und wurde 1803 im Zuge der Säkularisation abgerissen. Doch dass es einen älteren Vorgängerbau gab, das ist auch für uns eine große Überraschung", sagt Armin Krämmer, Bürgermeister der Gemeinde Chiemsee.
Um den genauen Standort der abgerissenen Saalkirche zu lokalisieren, fanden im Sommer 2023 im Rahmen von Untersuchungen für ein Kommunales Denkmalkonzept (KDK) Messungen auf dem Dorfanger nördlich der bekannten Tassilolinde statt. In einer Tiefe von 50 bis 70 Zentimetern stießen die Denkmalpfleger auf Fundamente, deren Grundriss mit der Ansicht der Kirche auf dem 1701 veröffentlichten Stich von Michael Wening korrespondiert. Die Radardaten zeigten aber auch, dass es an dieser Stelle noch einen älteren Bau gegeben hat: In einer Tiefe von 80 bis 100 Zentimetern zeichneten sich völlig überraschend, aber sehr deutlich weitere Grundmauern ab und ließen einen oktogonalen Zentralbau mit einem durch acht Stützen gebildeten Umgang und vier kreuzförmig angeordneten Anbauten erkennen. Insgesamt hat das Bauwerk einen Durchmesser von stattlichen 19 Metern.
"Zentralbauten sind in der vorromanischen und romanischen Sakralarchitektur nördlich der Alpen selten und damit eine sehr individuell gestaltete Bauform, die oftmals in der Nachfolge der Pfalzkapelle zu Aachen oder als Imitation der Grabeskirche in Jerusalem gedeutet wird. In Bayern sind achteckige Zentralbauten mit innerem Säulenumgang bislang lediglich mit St. Andreas in Bamberg, um 1050, und St. Gallus in Würzburg, um 1130, archäologisch nachgewiesen. Wir sprechen hier also von einer absoluten Seltenheit", so Mathias Pfeil, Generalkonservator, Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege.
Doch wie lässt sich dieser Fund historisch einordnen? Möglicherweise kann ein Zusammenhang mit der Verehrung der Seligen Irmengard, Tochter König Ludwigs des Deutschen und Urenkelin Karls des Großen, hergestellt werden. Sie war Äbtissin des zum Reichskloster aufgestiegenen Konvents Frauenwörth und wurde 866 in der Abteikirche bestattet. Zwischen 1001 und 1020 fand zur Förderung ihrer Verehrung eine Öffnung ihres Grabes zur Reliquienentnahme statt. Zeitgleich wurde ein grundlegender Klosterneubau errichtet, von dem heute noch die Torhalle, die frühromanische Abteikirche und der Glockenturm erhalten sind. Vielleicht entstand in diesem Kontext der zusätzliche Memorialbau, der in Anlehnung an die Jerusalemer Grabeskirche als Ziel für Pilger dienen sollte. Nun liegt es an der Wissenschaft, die jüngsten Daten auszuwerten und sorgfältig zu analysieren, um Antworten auf die vielen, noch offenen Fragen zu geben. Derzeit wird darüber nachgedacht, den Grundriss im kommenden Sommer in Form einer Bepflanzung zu visualisieren und damit erlebbar zu machen.
"Bayerns reiches kulturelles Erbe ist immer für eine Überraschung gut – das beweist der Sensationsfund im Chiemgau einmal mehr! Die bei Radarmessungen entdeckten Grundmauern auf der Fraueninsel zeigen, den fachkundigen Blicken unserer Denkmalpfleger entgeht wirklich nichts. Ein derartiger Grundriss eines romanischen Zentralbaus hat nördlich der Alpen absoluten Seltenheitswert. Es bleibt also spannend, wie die Wissenschaft diesen Fund historisch einordnet", betont Kunstminister Markus Blume.
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