Eine Geschichte von zwei Senkgruben

Alte DNA beleuchtet Darmgesundheit im mittelalterlichen Europa und Nahen Osten

Die Untersuchung von Latrinen aus dem 14. und 15. Jahrhundert in Jerusalem und Riga, Lettland, identifiziert einige der Mikroben, die den Darm dieser vorindustriellen Bevölkerungen besiedelten und beleuchtet, wie sich das menschliche Darmmikrobiom seit dem Mittelalter verändert hat.

Mittelalterliche Latrine
Die mittelalterliche Latrine in Riga während der Ausgrabung. (Foto: MPI SHH)

Innovative Methoden zur Rekonstruktion und Bestimmung der DNA alter Bakterien aus archäologischen Funden waren in den zurückliegenden Jahren bei der Erforschung vergangener Epidemien bahnbrechend. Eine neue Studie berichtet nun über den ersten Versuch, mit diesen Methoden auch die mikrobielle Vielfalt des mittelalterlichen Darmmikrobioms zu bestimmen. Die Ergebnisse der Studie gewähren Einblicke in die Mikrobiome vorindustrieller landwirtschaftlicher Populationen und könnten den dringend benötigten Hintergrund für das Verständnis der Gesundheit moderner Mikrobiome liefern.

Im Laufe der Jahre hat die Forschung festgestellt, dass sich die Mikrobiome von Menschen in den industrialisierten Gesellschaften deutlich von den Mikrobiomen der Menschen unterscheiden, die in Jäger-Sammler-Gemeinschaften leben. Eine wachsende Zahl von Erkenntnissen weist zudem auf einen Zusammenhang zwischen den Veränderungen des Mikrobioms und vielen Krankheiten der industrialisierten Welt hin, wie entzündliche Darmerkrankungen, Allergien und Übergewicht. Die aktuelle Studie trägt dazu bei, die Veränderung der Darmmikrobiome zu beschreiben und unterstreicht die Bedeutung archäologischer Latrinen als Quelle bio-molekularer Informationen.

Piers Mitchell von der Universität Cambridge hat sich auf die Untersuchung der Darminhalte von Individuen aus der Vergangenheit spezialisiert. Indem er und sein Team Sedimente aus archäologischen Latrinen und ausgetrocknete Fäkalien unter dem Mikroskop betrachten, ist es ihnen gelungen, umfangreiches Wissen über die Darmparasiten zu erwerben, die unsere Vorfahren plagten. »Die mikroskopische Analyse kann die Eier von parasitären Würmern zeigen, die im Darm lebten, aber viele Mikroben im Darm sind einfach zu klein, um sie zu sehen«, erklärt Mitchell. »Wenn wir herausfinden wollen, was ein gesundes Mikrobiom für den modernen Menschen ausmacht, sollten wir uns die Mikrobiome unserer Vorfahren ansehen, die vor dem Einsatz von Antibiotika, Fastfood und anderen Fallen der Industrialisierung lebten.«

Kirsten Bos, Spezialistin für alte bakterielle DNA vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Ko-Leiterin der Studie, war zunächst skeptisch, ob es machbar sei, den Inhalt der mittelalterlichen Latrinen zu analysieren. »Am Anfang waren wir nicht sicher, ob molekulare Signaturen von Darminhalten in den Latrinen über Hunderte von Jahren überlebt haben könnten, und ob wir sie von einem vermutlich dominanten Umweltsignal würden unterscheiden können. Bislang konnten wir alte bakterielle DNA vor allem aus verkalktem Gewebe wie Knochen oder Zahnstein gewinnen, welche völlig andere Konservierungsbedingungen bieten«, erklärt Bos. »Dennoch«, fährt sie fort, »habe ich natürlich gehofft, dass unsere Daten, meine Sichtweise ändern würden.«

Das Team analysierte Sedimente aus mittelalterlichen Latrinen in Jerusalem und Riga, Lettland, aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Die erste Herausforderung bestand darin, die Bakterien, welche einst zu einem menschlichen Mikrobiom gehörten, von den Bakterien zu unterscheiden, welche durch die Umwelt in die Latrinen gelangten. Das Forschungsteam identifizierte ein breites Spektrum von Bakterien, Archaeen, Protozoen, parasitären Würmern, Pilzen und anderen Organismen, darunter viele Arten, von denen bekannt ist, dass sie auch im Darm des modernen Menschen vorkommen.

»Es scheint, dass Latrinen in der Tat wertvolle Quellen sowohl für mikroskopische als auch für molekulare Informationen sind«, schlussfolgert Bos.

Susanna Sabin, ehemals Doktorandin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Erstautorin der Studie, verglich die DNA aus den Latrinen mit der DNA aus anderen Quellen, darunter Mikrobiome von Populationen aus Industrieländern und Jäger- und Sammler-Gemeinden, sowie aus Abwasser und Boden. »Wir stellten fest, dass die Mikrobiome in Jerusalem und Riga einige gemeinsame Merkmale aufwiesen. Und sie zeigen Ähnlichkeit mit modernen Jäger-Sammler-Mikrobiomen sowie mit Mikrobiomen von Menschen aus industrialisierten Ländern. Dennoch waren sie so verschieden, dass sie eine eigene Gruppe bildeten. Wir kennen keine moderne Quelle, die den gleichen mikrobiellen Inhalt enthält, wie den, den wir in den mittelalterlichen Latrinen fanden«.

Die Untersuchung von Latrinen, in denen sich die Fäkalien vieler Menschen mischten, ermöglichte dem Forschungsteam einen beispiellosen Einblick in die Mikrobiome ganzer Gemeinschaften. »Durch diese Latrinen erhielten wir sehr viel repräsentativere Informationen über die breitere vorindustrielle Bevölkerung dieser Regionen, als dies anhand einer einzelnen Kotprobe möglich gewesen wäre«, erklärt Mitchell. »Die Kombination von Beweisen aus der Lichtmikroskopie und der Analyse alter DNA erlaubt es uns, die erstaunliche Vielfalt von Organismen zu identifizieren, die im Darm unserer Vorfahren lebten.«

Obwohl der neue Ansatz zur Untersuchung des Mikrobioms äußerst vielversprechend ist, bleiben Herausforderungen bestehen. »Wir werden noch zahlreiche weitere Studien an anderen archäologischen Stätten und zu anderen Zeiträumen brauchen, um vollständig zu verstehen, wie sich das Mikrobiom menschlicher Populationen im Laufe der Zeit verändert hat«, sagt Bos. »Dennoch ist uns ein entscheidender Schritt gelungen, indem wir zeigen konnten, dass die Gewinnung von DNA aus archäologischen Latrinen funktionieren kann.«

Mittelalterliche Latrine (um ca. 1350)
Mittelalterliche Latrine (um ca. 1350) (Abb.
Publikation

Sabin, S., Yeh, H.Y., Pluskowski, A.G., Clamer, C., Mitchell, P.D., Bos, K.

Estimating molecular preservation of the intestinal microbiome via metagenomic analyses of latrine sediments from two medieval cities

Philosophical Transactions of the Royal Society B. 5.10.2020
DOI: 10.1098/rstb.2019.0576
https://royalsocietypublishing.org/doi/1...

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