Digitalisierungsschub für alte Fächer
"In den alten Sprachen ist das Studium heutzutage immer noch sehr traditionell. Es gibt da wenig Unterschiede zu einem Studium vor 20 Jahren. Gleichzeitig hat sich aber durch die Digitalisierung viel verändert. Wissenschaftliche Arbeiten und Forschungsprojekte laufen heute ganz anders ab als vor ein paar Jahrzehnten.", sagt Dr. Holger Essler. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Klassische Philologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und nebenberuflicher Professor an der Universität Venedig. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Papyrologie und Digital Humanities. In einem neuen Projekt arbeitet Essler jetzt daran, das Studium altertumswissenschaftlicher Fächer mit neuen Methoden und Werkzeugen fit zu machen für die Herausforderungen der Moderne. Unterstützt wird er dabei von Birgit Breuer. Breuer hat, wie Essler auch, Griechisch und Latein studiert, sitzt jetzt an ihrer Doktorarbeit und kümmert sich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin ebenfalls um das im September 2020 gestartete Projekt.
"ENCODE" lautet der Name des Projekts – eine Abkürzung von "Enhance Competences in the Digital Era". Unter dem ENCODE-Motto "Bridging the gap in ancient writing cultures" ist es Esslers Ziel, eine Lücke im Lehr- und Lernbereich der antiken Schriftkulturen zwischen der humanistischen Ausbildung und den heute unverzichtbaren digitalen Kompetenzen, die für Studium, Forschung und den Beruf unerlässlich sind, zu schließen, wie es auf der Projekt-Homepage heißt. Seine Laufzeit endet am 31. August 2023.
Zusammengeschlossen haben sich dafür sechs renommierte Partner: die Universitäten von Bologna, Parma, Leuven, Oslo, Hamburg und Würzburg. Die Europäische Union finanziert ENCODE im Rahmen ihres Erasmus plus-Programms. An die JMU fließen dabei rund 60.000 Euro. Die Federführung liegt bei der Uni in Bologna. Adressaten von ENCODE sind in erster Linie Studierende aller Fächer, die sich mit antiken Schriftzeugnissen befassen, aber auch fertig ausgebildete Akademikerinnen und Akademiker der entsprechenden Fachrichtungen sowie alle anderen, die von Berufs wegen mit digitalen Sammlungen und dem digitalen Publizieren zu tun haben.
"Unser Ziel ist es, Module für Kurse oder Workshops zu entwickeln in Form von Open-Access-Pools, die Lehrende anderer Universitäten quasi als fertiges Produkt aus der Schublade ziehen und in ihre Curricula übernehmen können, und die auch in anderen Ländern problemlos anerkannt werden", schildert Essler das Ziel des Projektes. In solchen Kursen kann es beispielsweise um digitale Editionen gehen – also darum, einen alten Text abzuschreiben, eventuelle Lücken zu füllen, ihn zu übersetzen und das Ganze dann in die digitale Welt zu transformieren.
Dabei gibt es eine Reihe von Fragen, die zuvor geklärt werden müssen: Wie kann man die Daten zusammenführen? Wie lassen sich diese am Besten analysieren? Kann man vielleicht eine künstliche Intelligenz daran trainieren, so dass sie zu automatischen Transkriptionen in der Lage ist? Antworten auf diese und weitere Fragen sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler parat haben, bevor sie die Edition starten.
Bei Null anfangen müssen Essler und Breuer in ihrem Projekt nicht: "Als Papyrologen haben wir schon in der Vergangenheit Workshops und Seminare zu digitalen Techniken angeboten mit Teilnehmern aus der ganzen Welt. Dabei konnten wir sehen, dass sich das lohnt", sagt Holger Essler. Jetzt allerdings gehe es darum, diese Angebote auf eine formalere Grundlage zu stellen. Das Spektrum möglicher Themen ist groß: Es reicht vom Arbeiten mit Datenbanken und endet nicht beim Programmieren.
Die Auswahl ist allerdings nicht ganz einfach: Welche Angebote sind von allgemeinem Interesse, welche fachspezifisch? Welche Relevanz hat eine bestimmte Technik überhaupt für das jeweilige Fach? Und – ganz wichtig: Ist eigentlich garantiert, dass diese Technik auch in zehn Jahren noch State of the Art ist? Oder ist sie ein Kandidat, der schon bald auf dem digitalen Friedhof schnell vergessener Anwendungen landet? All diese Fragen müssen von den an ENCODE Beteiligten geklärt werden, bevor sie mit der Entwicklung von Modulen beginnen.
Holger Essler und Birgit Breuer setzen in ihrem Teilprojekt auf bereits existierende Angebote und Module. "Wir nutzen diese als Piloterfahrung und wollen darauf aufbauen", erklärt Breuer. Konkret bedeutet dies: Essler und Breuer haben einen Fragebogen entwickelt, mit dem sie die Erfahrungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern solcher Angebote sammeln. Zusätzlich führen sie offene Interviews mit den Organisatorinnen und Organisatoren dieser Kurse. "Wir wollen wissen, was man verbessern kann, was intensiviert werden sollte, was etabliert werden kann", sagt Breuer.
Am Ende der dreijährigen Projektlaufzeit wird es nach Ansicht der beiden Projektverantwortlichen einen Pool an Modulen geben, die europaweit im Studium klassischer Fächer zum Einsatz kommen können. Das Ende der Arbeit ist damit allerdings nicht erreicht: Dann sei es unbedingt erforderlich, diese Angebote zu evaluieren und – auf den Ergebnissen aufbauend – weiterzuentwickeln. Schließlich werde die Digitalisierung auch nicht zum Stillstand kommen.
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