Die Transformation der Mikroregion Pergamon zwischen Hellenismus und Römischer Kaiserzeit

Deutsche Forschungsgemeinschaft bewilligt interdisziplinäres Langfristvorhaben

In Zeiten von Klimawandel und der Diskussion über den Beginn eines neuen, vom Menschen geprägten Erdzeitalters haben auch historische Mensch-Umwelt-Beziehungen als Forschungsgegenstand Konjunktur.

Pergamon
Blick vom Stadtberg von Pergamon über die westliche Ebeen des Bakır Çay (Kaikos) zur Küste. Foto: DAI Istanbul

Die Rekonstruktion des komplexen Wechselspiels zwischen Natur und Zivilisation verlangt nach interdisziplinärer Zusammenarbeit von Geistes-, Ingenieur- und Naturwissenschaften. Nur auf dieser Basis ist es möglich, neue Erkenntnisse zum Beziehungsgeflecht von Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft in historischen Epochen zu gewinnen. 

Ein Weg zu diesem Ziel führt über die Untersuchung von Mikroregionen, die nicht nur geographisch definiert sind, sondern auch gemeinsamen kulturelle Netzwerke und Kreisläufe in der Nutzung von Ressourcen aufweisen. Das antike Pergamon und seine Landschaft im Nordwesten der heutigen Türkei liefern dafür ein gutes Beispiel. Seit 140 Jahren arbeiten hier Archäologen gemeinsam mit zahlreichen anderen Disziplinen unter der Ägide des Deutschen Archäologischen Instituts und mit Genehmigung des Ministeriums für Kultur und Tourismus der Republik Türkei an der Erforschung der Metropole. Ihre Besiedlung begann im 2. Jahrtausend v. Chr., doch  reichen die Spuren im Umland von Pergamon sogar bis in das 7. Jahrtausend zurück. Die umfangreichsten und aussagekräftigsten Befunde stehen bislang jedoch für den Hellenismus (3.-1. Jh. v. Chr.) und die römische Kaiserzeit (1.-3. Jh. n. Chr.) zur Verfügung. Dieses besondere Potential und eine interdisziplinäre Strategie zu seiner wissenschaftlichen Auswertung sind jetzt von der  Deutschen Forschungsgemeinschaft mit der Bewilligung der ersten Förderphase eines auf 12 Jahre ausgelegten Langfristvorhabens gewürdigt worden. In dem Projekt werden Archäologie, Bauforschung und Physische Geographie mit zahlreichen weiteren historischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen zusammenarbeiten. Federführend beteiligt sind neben der Abteilung Istanbul des DAI die Freie Universität und die Technische Universität Berlin sowie die Celal Bayar Üniversitesi in Manisa und die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Kooperationen bestehen unter anderem mit der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, der Ege Üniversitesi und der Katib Celebi Üniversitesi in Izmir, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Zürich.

Am Anfang des Projektes steht die Frage, welche Wechselwirkungen zwischen tiefgreifendem urbanen Wandel in Pergamon – markiert von einer Verdoppelung des Stadtgebietes seit dem späten 1. Jahrhundert n. Chr. und monumentalen Baumaßnahmen – und Veränderungen in der Mikroregion bestanden. Ausgehend von der Beobachtung, dass das westliche Tal des Kaikos mit den angrenzenden Gebirgszügen und der Küstenzone seit Ende der pergamenischen Königszeit 133 v. Chr. zunächst von Siedlungskonzentration und Entmilitarisierung, später in der Kaiserzeit von der Einrichtung von Freizeit bzw. Wellness-Elementen wie Thermen gekennzeichnet war, sollen die Beziehungen zwischen Städten, ländlichen Siedlungen und der Landschaft erstmals systematisch und diachron in der gesamten Mikroregion untersucht werden. Dies geschieht auf unterschiedlichen Ebenen wie Ressourcennutzung, Produktion und Konsum, Lebensweise und Gesundheit der Bewohner, Architektur und Bauwesen sowie der Gestaltung und Wahrnehmung von Lebensräumen. Bezogen auf die Vielfalt der natürlichen Ressourcen konzentriert sich das beantragte Projekt auf Boden, Wasser, Holz, Stein und Ton, deren Bedeutung für den Wirtschafts- und Lebensraum allein über die direkte Zusammenarbeit von Archäologie, Bauforschung und Physischer Geographie verstanden werden kann. Daraus ergeben sich folgende übergeordnete Fragestellungen:

(1) Interdependenzen in der diachronen Entwicklung von Siedlungsstruktur und Naturraumnutzung zwischen urbanen und ländlichen Räumen, (2) Organisation und Funktion komplexer Prozesse wie z. B. Bauprogramme oder Keramikproduktion und –vertrieb unter besonderer Berücksichtigung ökonomischer und ökologischer Faktoren auf verschiedenen räumlichen Ebenen (lokal, regional, überregional), (3) Transformationen städtischer Physiognomien im Kontext dynamischer ökologischer, ökonomischer und demographischer Entwicklungen innerhalb der Mikroregion und im Kontext überregionaler Netzwerke, (4) Entwicklung eines komplexen sozial-ökologischen Modells der Transformation der Mikroregion Pergamon als Beitrag zum besseren Verständnis des dynamischen Mensch-Umwelt Verhältnisses und dessen Rezeption in Landschaftsgestaltung, Städtebau und Architektur. Bei der Bearbeitung dieser Fragen verschieben sich im Laufe des Projekts Fokus und Zielsetzungen von einer kleinräumig exemplarischen Betrachtung hin auf die Mikroregion und angrenzende Gebiete in ihrer Gesamtheit.

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