Das geographische Wissen der Antike

Forscher entziffern Weltkarte des Klaudius Ptolemaios und untersuchen die Ergebnisse und Methoden der alten Geographen und Astronomen

Nachgebaute Skiotherikós Gnomonen oder Skiotherikonen
Prof. Dr.-Ing. Dieter Lelgemann mit zwei nachgebauten Skiotherikós Gnomonen oder Skiotherikonen, schattenfangende Gnomonen oder wissenschaftliche Sonnenuhren, an der TU Berlin. Die Geräte wurden ca. 600 vor Christus von Thales und Anaximander entwickelt. © TU Berlin/Uli Dahl

Was wussten die antiken Naturwissenschaftler schon über den Erdumfang oder das Planetensystem? Nicht viel, wenn man den gängigen Vorstellungen vom damals verbreiteten Wissen folgt. Exakte Landvermessungen, die Erde als Kugel, ihre Ellipsenbahn oder ihr Abstand zur Sonne – all diese Erkenntnisse werden meist der Neuzeit zugeschrieben.

Doch die Wissenschaftler der Antike waren „modernen Ingenieuren ähnlicher, als wir denken", sagt Dieter Lelgemann, Professor für Geodäsie der TU Berlin, der die Ergebnisse und Methoden der alten Geographen und Astronomen erforscht hat. Dafür werteten Lelgemann und sein Team, zu dem auch Historiker sowie Gräzisten gehören, die Werke antiker Geschichtsschreiber und Naturwissenschaftler aus.

Erstaunlich ist beispielsweise, wie genau der griechische Mathematiker und Geograph Eratosthenes von Kyrene (ca. 276 v. Chr. bis 194 v. Chr.) den Erdumfang angeben konnte: Auf 252.000 „Stadien" bezifferte er ihn. Nach einer Auswertung literarischer Quellen sowie antiker Maßeinheiten aus archäologischen Grabungen ergibt sich, dass dieses Stadion etwa 158,73 Meter lang gewesen sein muss. Also hat bereits Eratosthenes den Erdumfang mit rund 40.000 Kilometern sehr genau ermittelt. Außerdem findet sich in der griechischen Literatur eine fast genauso gute Bestimmung des Abstandes zwischen Erde und Sonne: Eratosthenes gab ihn mit 804 Millionen Stadien oder 130 Millionen Kilometer an. Heute weiß man, dass die durchschnittliche Distanz rund 150 Millionen Kilometer beträgt.

Ebenso beeindruckend: Antike Denker entwickelten erste Konzepte, nach denen sich die Planeten keineswegs in konzentrischen Bahnen um die Sonne bewegen. Vielmehr gab es schon die Vorstellung von elliptischen Bahnen – und somit Frühformen der „Kepler-Ellipsen", die Johannes Kepler schließlich im 17. Jahrhundert in seinen Gesetzen beschreiben sollte.

Aber mit welchen Methoden erhielten die antiken Wissenschaftler solche genauen Ergebnisse? Lelgemann hat auch ihre Messgeräte untersucht und teils sogar nachgebaut. Eine detaillierte Beschreibung eines „Skiotherikos Gnomon" – eines „schattenfangenden Gnomon" – fand sein Team beispielsweise in einer eher untypischen Quelle: in der Komödie „Die Vögel" des griechischen Dichters Aristophanes. Bislang habe man die Stellen häufig als „sinnloses Geschwätz" abgetan, sagt Lelgemann. Anhand einer Neuübersetzung des Wissenschaftshistorikers und TU-Professors Eberhard Knobloch konnten die Forscher das U-förmige Instrument rekonstruieren. Ein Stab, der sogenannte Polos, wirft in der Sonne einen Schatten auf den gegenüberliegenden Gnomon. Anhand der Schattenlänge lassen sich nun das Sonnenazimut und die „Wahre Ortsonnenzeit" bestimmen sowie die geographische Breite eines Ortes ableiten – mit der Genauigkeit eines modernen Sextanten.

Es waren vor allem praktische Bedürfnisse, die die Wissenschaftler damals antrieben: Geographen, Astronomen und Geodäten wollten Navigation und Zeitbestimmung verbessern – und entwickelten dabei neue mathematische Methoden. Dass die Griechen etwa den Begriff des Sinus nicht kannten, hält Lelgemann für unwahrscheinlich: „Die ganze Trigonometrie und sogar komplizierte goniometrische Relationen waren schon bekannt." Archimedes von Syrakus (287 v. Chr. bis 212 v. Chr.) nutzte etwa Hilfsmittel, die einer Sinus- oder Cosinus-Tafel vergleichbar sind.

Zu den größten Aufgaben, die sich antike Wissenschaftler vornahmen, gehörte, eine Karte der „Oikumene" – der bekannten Welt – zu erstellen. Die Entzerrung einer solchen Karte ist für Dieter Lelgemann das aktuelle Großprojekt: Die Weltkarte des Klaudius Ptolemaios, die im 2. Jahrhundert n. Chr. entstand und etwa 6500 Orte beschreibt, will er in eine moderne Karte überführen. Es gilt, gleich mehrere Fehler auszugleichen: Schreibfehler in Koordinatenangaben, systematische Fehler beim Zusammentragen von Einzelquellen, Ungenauigkeiten in den Militär-Aufzeichnungen, denen Ptolemaios seine Daten entnahm. Für Westeuropa konnten die Forscher die Koordinaten mittels eines speziell entwickelten Computerprogrammes bereits entzerren. In Germanien sind nun zum Beispiel 137 Orte, Flüsse und Berge aufgeführt. Ptolemaios\' Angaben für Westeuropa weichen im Schnitt nur 18 bis 20 Kilometer von den heutigen Koordinaten ab. In den nächsten zwei Jahren sollen Karten für Osteuropa, Afrika und Asien folgen, so dass eine nahezu vollständige Karte der wichtigsten Ortschaften des Altertums entsteht. Den für ihn wichtigsten Ort hat Lelgemann aber schon gefunden: Seine Heimatstadt Essen-Steele am Hellweg ist als „Nabalia" in der Karte Germaniens verzeichnet.

Ausführliche Informationen zum Wissen antiker Mathematiker, Geographen und Astronomen wird das Buch „Messkunst und Naturwissenschaften in der griechischen Antike" zusammenfassen, das Lelgemann fertiggestellt hat. Es erscheint im Frühjahr 2010 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt.

 

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