Archäologische Entdeckungen bei Nordhausen
Auf dem Areal des künftigen Industriegebietes »Goldene Aue« waren grob gebrannte Tonscherben sowie aus der Luft sichtbare dunkle Streifen und Flecken schon seit Jahren bekannt. Nach geophysikalischen Messungen und ersten Voruntersuchungen verdichtete sich schnell der Verdacht, dass die Ausgrabungen dort aufregende Hinterlassenschaften längst vergangener Zeiten zutage fördern würden.
Es zeigte sich, dass unter den fruchtbaren Schwarzerden Zeugnisse des Lebens und Sterbens von Menschen aus fünf Jahrtausenden in einer Fülle konserviert waren, die alle Erwartungen der Archäologen des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie übertrafen. Fünf Grabungsteams entrissen dem Boden unter der Leitung des Gebietsreferenten Dr. Mario Küßner und des Grabungsleiters Markus Wehmer M.A. in den vergangenen 17 Monaten ihre Geheimnisse. Längst sind es nicht mehr nur Spaten, Spachtel und Pinsel: Archäologen, Geologen, Zoologen, Anthropologen, Physiker, Chemiker und Restauratoren lassen ein komplexes Bild vom Leben unserer Vorfahren entstehen.
Die Region wurde bereits von den ersten Ackerbauern um 5.600 v. Chr. besiedelt. Neben den Grundrissen ihrer Wohnbauten fanden sich auch Reste von zwei über fünf Meter tief eingegrabenen Brunnen der frühen Ackerbauern - die ersten, die in Thüringen systematisch untersucht werden konnten.
Aus der Zeit um 4.800 v. Chr. stammt eine weitere Sensation: eine ehemals rituellen und astronomischen Zwecken dienende sogenannte Kreisgrabenanlage mit einem Durchmesser von rund 50 Metern. Im Innenraum standen nochmals drei Reihen Palisadenringe. Vergleichbare Anlagen errichtete man im jungsteinzeitlichen Mitteleuropa über einen Zeitraum von nur wenigen Jahrhunderten. Für die Archäologen war es begeisternd, einen solchen Befund nun auch in Thüringen komplett untersuchen können.
Fremdartig mutete wohl auch schon um 4 000 v. Chr. ein rechteckiger, 40 m langer und 6 bis 9 m breiter Grabhügel den Zeitgenossen an. Solche als »earthern long barrows« bekannte Grabanlagen wurden in West-, Nord- und Ostmitteleuropa für die Eliten ihrer Zeit errichtet. Sie sind ein eindrücklicher Beleg für die kulturelle Vielfalt im damaligen Europa. Der mit einem Graben umgebene Hügel bei Bielen wurde für einen etwa 45-jährigen Mann errichtet, der in einem Baumsarg bestattet worden war. Der über dem Grab errichtete Hügel fiel der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung der letzten Jahrtausende zum Opfer.
Eine Besonderheit stellte das Grab einer um 2.500 v. Chr. bestatteten Frau dar: Die Tote war wahrscheinlich mit einem Umhang oder Mantel bedeckt, auf den fast 2.500 durchbohrte Muschelscheibchen und etwa 500 Zähne von Hunden als Applikation aufgenäht waren. Auch die in der Nähe gefundene, ca. 2 m x 3 m große Grabkammer eines Mannes, dem neun Gefäße sowie Beil und Axt mit ins Grab gelegt wurden, belegt dessen gehobenen sozialen Status.
Erstmals in Nordthüringen konnte der Rest eines Grabhügels aus der Zeit um 1.300 v. Chr. untersucht werden. Ein Mann mit reichen Beigaben - Lanze, Dolch, Nadel und Halsring aus Bronze sowie ein Gefäß - war im äußeren Randbereich des Hügels in einer Grabkammer aus Eichenholz beigesetzt worden.
300 Jahre später, um 1.000 v. Chr., errichteten bronzezeitliche Bauern und Handwerker am Rande einer flachen Erhebung auf der Niederterrasse der Helme einen Holz-Erde Wall. In weitem Halbkreis (350 m x 175 m) hoben sie davor zwei bis zu 3 m breite und noch bis zu 1,50 m tiefe Befestigungsgräben aus, um die sie hölzerne Palisaden errichteten. Bronzeschmuck und -waffen sowie Reste von Gussformen zeugen davon, dass in dieser Anlage offensichtlich auch Werkstätten von Metallhandwerkern ansässig waren.
Die Besiedlung des untersuchten Landschaftsteils endete vorerst mit der Aufgabe einer Siedlung der vorrömischen Eisenzeit (um 700 - 400 v. Chr.), von der zahlreiche Hausgrundrisse, Vorrats- und Abfallgruben sowie mehr als 130 Brandgräber untersucht werden konnten.
Mit den Ausgrabungen gelang ein eindrucksvoller Querschnitt durch die Besiedlungsgeschichte des fruchtbaren Altsiedellandes im nördlichen Thüringen. Durch seine zentrale Lage wurde es bereits vor mehr als 7.000 Jahren zur kulturellen Drehscheibe im Herzen des Europäischen Kontinents. Die Restaurierung der Funde und die wissenschaftliche Bearbeitung der Grabungsergebnisse werden noch einige Überraschungen bereit halten.
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