Archäologie und Eisenbahn
In dieser Zeit hat die Zusammenarbeit zwischen DB ProjektBau, dem archäologischen Landesamt und verschiedenen beteiligten Baufirmen einen einmaligen Querschnitt durch die mitteldeutsche Kulturlandschaft erzeugt. Bis zu 150 Mitarbeiter waren in teilweise mehrjährigen Grabungskampagnen auf den Grabungsflächen zwischen Unstrut und der Landesgrenze zu Sachsen tätig. Auf den 64 Streckenkilometern wurde eine Fläche von ca. 140 Hektar untersucht. 15.000 dokumentierte Befunde erbrachten weit über 400.000 Fundstücke. Etwa 1070 Bestattungen geben Zeugnis von der dichten Besiedlung des Gebietes über die letzten 7000 Jahre hinweg. Als ein Ergebnis der Ausgrabungen lässt sich schon jetzt einschätzen, dass die Vorstellungen von Siedlungsdichte, Siedlungsgröße und prähistorischer Infrastruktur in Mitteldeutschland neu betrachtet werden müssen. Die großen Bauflächen lassen eindrucksvoll die tatsächliche Ausdehnung urgeschichtlicher Fundplätze über Dutzende von Hektar hinweg sichtbar werden. Unter den Siedlungsspuren ragt aber besonders eine großflächige Siedlung in der Gemarkung Wennungen hervor, die aus der ausgehenden Bronzezeit (1.200 – 800 v. Chr.) bzw. frühen Eisenzeit (800 – 500 v. Chr.) stammt und etwa so groß wie die heutige Innenstadt von Halle war: Innerhalb eines Rings von mindestens drei Doppelgrabensystemen nahm sie eine Fläche von ca. 100 Hektar ein. Reiche Funde aus zahlreichen Siedlungsgruben ermöglichen einen Einblick in das Alltagsleben der Bewohner, Gussformen für die Herstellung von Bronzewaffen und –geräten, Werkzeugen und die Reste eines Salzsiedeofens geben aber auch Aufschluss über die Tätigkeit spezialisierter Handwerker.
An anderer Stelle erstreckte sich in der Neubautrasse der Eisenbahn über mehr als einen halben Kilometer ein urgeschichtlicher Weg. Er konnte mit zwei Fahrspuren – ähnlich einem heutigen Feldweg – nachgewiesen werden. Wie Bronzefunde aus dem Hohlweg belegen, wurde er bereits um 1.600 v. Chr. intensiv genutzt und war mindestens 400 Jahre lang in Benutzung.
Neben diesem völlig neuen Raumverständnis alter Siedlungsstrukturen kam eine Vielzahl bedeutender Funde ans Licht. Von besonderem optischen Reiz sind die reich verzierten Glockenbecher, die in den Gräbern der gleichnamigen steinzeitlichen Kultur zum Vorschein kamen. Zu den besonderen Stücken aus etwas jüngerer Zeit gehören Bronzewaffen und Bronzeschmuck eines großen Gräberfelder der mittleren Bronzezeit. Das Schwert und die Radnadel zeugen vom Wohlstand der damaligen Bevölkerung und lagen als wertvolle Beigaben im Grab.
Auch die Reste der Menschen selbst bieten tiefe kulturgeschichtliche Einblicke in das damalige Sozialgefüge. Zwischen Oechlitz und Langeneichstädt entdeckten die Archäologen das 4.400 Jahre alte Grab einer gehbehinderten Frau, die mit ihrem Kleinkind bestattet war. Zu Lebzeiten war diese Frau jahrelang auf die Fürsorge ihrer Dorfgemeinschaft angewiesen.
Die Grabungsergebnisse belegen neben der wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Relevanz des Streckenneubaus zwischen Erfurt und Leipzig/Halle bereits jetzt die hohe wissenschaftliche Bedeutung der Ausgrabungen für die Region. Die dokumentierten und geborgenen Befunde und Funde bilden eine breite Basis für weiterführende Untersuchungen, die noch mancherlei Aufschluss und Einblick in die Lebensweise und Jenseitsvorstellungen der damaligen Gemeinschaften, aber auch Informationen über Bevölkerungsgeschichte und Umweltbedingungen erwarten lassen.
Bereits jetzt führen die im Kolloquium vorgestellten ersten Ausgrabungsergebnisse den außerordentlichen kulturellen Reichtum und die bereits jahrtausende alte Bedeutung dieser Region als Siedlungsraum und Kreuzungsbereich wichtiger Verkehrsrouten vor Augen.
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