Analyse alter Genome zeigt bislang unbekannten Genfluss zwischen Nord- und Südamerika
Das heißt, dass die Menschen, welche die Clovis-Kultur verbreiteten, auch weiter südlich großen demografischen Einfluss hatten. Diese mit der Clovis-Kultur verbundene Linie fehlt jedoch bei späteren Südamerikanern. Das deutet auf einen Austausch der Bevölkerung des Subkontinents hin, der vor mindestens 9 000 Jahren begann. Ein internationales Forschungsteam analysierte für diese Studie die Genome von 49 Individuen aus Mittel- und Südamerika, die vor bis zu 11 000 Jahren lebten. Bisher waren die einzigen Genome aus dieser Region, für die Daten in ausreichender Qualität vorlagen, weniger als 1.000 Jahre alt. Das Forschungsteam konsultierte lokale Regierungsbehörden und indigene Gemeinschaften und erhielt die offizielle Genehmigung, die menschlichen Überreste zu analysieren. Durch den Vergleich alter und heutiger Genome aus Amerika und anderen Teilen der Welt konnte das Team dann neue Erkenntnisse über die Frühgeschichte Mittel- und Südamerikas gewinnen.
"Eine Schlüsselentdeckung war, dass ein etwa 12 800 Jahre altes, mit der Clovis-Kultur verbundenes Individuum aus Nordamerika, unzweifelhaft eine markante Abstammung mit den ältesten analysierten chilenischen, brasilianischen und belizischen Individuen teilt", erklärt Cosimo Posth vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Erstautor der Studie. "Dies unterstützt die These, dass die Menschen, welche die Clovis-Kultur in Nordamerika verbreiteten, auch nach Mittel- und Südamerika gelangten."
Diese Individuen aus dem Gebiet der heutigen Länder Chile, Brasilien und Belize lebten vor mehr als 9 000 Jahren. Individuen, die nach dieser Zeit lebten, und auch heutige Südamerikaner teilen die mit der Clovis-Kultur verbundene Abstammung jedoch nicht. Ko-Studienleiter David Reich von der Harvard Medical School sagt: "Dies ist unsere zweite wichtige Entdeckung: Wir haben gezeigt, dass es auf dem gesamten Subkontinent einen Austausch der Bevölkerung gab, der vor mindestens 9 000 Jahren begann". Von dieser Zeit an, gab es eine bemerkenswerte genetische Kontinuität von den bis zu 9 000 Jahre alten Individuen bis hin zu den heutigen Menschen in mehreren südamerikanischen Regionen. Im Gegensatz dazu gibt es in West-Eurasien und Afrika nur wenige Regionen mit einer so langen genetischen Kontinuität.
Eine zweite bislang unbekannte Ausbreitungswelle von Menschen offenbarte sich durch eine weitere Analyse. Diese zeigte, dass die früheren Bewohner der kalifornischen Santa-Barbara-Inseln (auch Kanalinseln genannt) unverkennbar eine gemeinsame Abstammung mit den Menschen hatten, die sich vor mindestens 4.200 Jahren großflächig in den südperuanischen Anden ausbreiteten. Wahrscheinlich spiegelt dies jedoch nicht eine Migration der Menschen von den Kanalinseln nach Südamerika wider. Stattdessen nimmt das Forschungsteam an, dass die genetische Verbindung zwischen beiden Regionen auf einer Migration von Menschen beruht, die Tausende von Jahre zuvor stattfand. Erst in Folge späterer Ereignisse, so die Vermutung; breitete sich diese Abstammung dann in den Anden weiter aus.
Nathan Nakatsuka von der Harvard Medical School, der zweite Hauptautor der Studie, sagt: "Es könnte sein, dass diese Abstammung vor Tausenden von Jahren nach Südamerika gelangte, und dass wir einfach keine älteren menschlichen Überreste haben, die das beweisen. Es gibt archäologische Belege dafür, dass die Bevölkerung in den zentralen Anden vor etwa 5 000 Jahren stark zugenommen hat. Ausbreitungen bestimmter Untergruppen während dieser Ereignisse könnten der Grund sein, warum wir diese Abstammung dann später erkennen."
Das Forschungsteam betont, dass seine Studie nur einen kleinen Eindruck davon gibt, welche Entdeckungen durch zukünftige Studien gelingen können. Um mehr über die anfänglichen Migrationen von Menschen nach Mittel- und Südamerika zu erfahren, wäre es notwendig, DNA von Individuen zu erhalten, die vor mehr als 11.000 Jahren lebten. Darüber hinaus ist das Bild selbst für den Zeitraum zwischen 11 000 und 3 000 Jahren, der in dieser Studie am besten abgedeckt wird, bei weitem nicht vollständig. "Uns fehlen Daten aus Amazonien, dem Norden Südamerikas und der Karibik, so dass wir nicht untersuchen konnten, in welchem Verhältnis die Menschen aus diesen Regionen zu den von uns analysierten Individuen standen", erklärt Reich. "Diese Lücken zu schließen, sollte eine Priorität unserer zukünftigen Forschung sein."
"Wir freuen uns über das Potenzial der Forschung auf diesem Gebiet", sagt Ko-Studienleiter Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. "Mit regional ausgerichteten Studien und großen Stichproben werden wir in Zukunft das Potenzial der Archäogenetik nutzen können, um zu zeigen, wie die menschliche Vielfalt entstanden ist, die wir heute in dieser Region sehen.
Die Leitung der Studie lag beim Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, der Harvard Medical School, der University of California, Santa Cruz, der Pennsylvania State University, der University of New Mexico und der University of São Paulo. Darüber hinaus waren auch Institutionen aus Argentinien, Australien, Belize, Brasilien, Chile, der Europäischen Union, Peru und den Vereinigten Staaten beteiligt.
Publikation
Reconstructing the Deep Population History of Central and South America
Cell. 8.11.2018
DOI: 10.1016/j.cell.2018.10.027
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