65 Jahre Forschung zur antiken Sklaverei
"Du bist mein, ich bin dein" – solche Worte gelten heutzutage als eine Bekundung der Liebe. In der Antike aber ließen sie sich wörtlich verstehen. Es gab Menschen, die "Besitz" eines anderen waren: die Sklaven. Sie galten als Sache, als lebendes Werkzeug. Ihr Eigentümer durfte sie benutzen, wie er wollte – oder sie töten, wie man ein altes Werkzeug wegwirft. Nur eine Chance hatte der Sklave: Wenn er Glück hatte, entließ sein Herr ihn irgendwann in die Freiheit.
Uns heutigen Menschen fällt eine solche Vorstellung schwer. Und doch: Ein Großteil der historischen Leistungen der Griechen und Römer wäre ohne Sklavenarbeit nicht möglich gewesen. Der Althistoriker Prof. Dr. Winfried Schmitz von der Universität Bonn ist Experte für dieses Thema: Seit 2010 leitete er das Projekt "Forschungen zur antiken Sklaverei" an der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur. 1950 ins Leben gerufen, ist es jetzt (nach 65 Jahren) offiziell abgeschlossen. Es war von seiner Dauer das längste Projekt der Akademie überhaupt – und die fünf Jahre unter Bonner Leitung haben auf das beeindruckende Gebäude sozusagen das Dach gesetzt.
Kaum eine Gesellschaft der Menschheitsgeschichte hatte den Umgang mit ihren lebenden Werkzeugen derart durchsystematisiert, sagt Prof. Schmitz. "Sehr viele Bestimmungen der römischen Rechtstexte befassen sich mit Sklaven oder den Freigelassenen." Dieser Rechtsstatus (oberhalb des Sklaven, unterhalb des Bürgers) war das zweite Charakteristikum der antiken Sklaverei – in späteren Systemen (etwa den amerikanischen Südstaaten) "verbrachten die Menschen ihr ganzes Leben als Sklaven, von der Geburt bis zum Tode".
Im antiken Griechenland kostete ein Sklave im Durchschnitt 175 Drachmen. Dies ins Heute umzurechnen ist schwierig, sagt Prof. Schmitz – wegen vieler Missernten schwankten die Nahrungsmittelpreise stark. Der Bonner Althistoriker sagt jedoch, dass sich mit solch einer Summe eine Familie ungefähr ein Jahr lang ernähren ließ; nach heutigen Verhältnissen kostete ein Sklave also etwa so viel wie ein Mittelklassewagen.
Kaum ein Grieche, kaum ein Römer hinterfragte das alles. Der große Redner Cicero etwa kritisierte die Sklaverei in seinem Gesamtwerk kein einziges Mal; die Philosophie gab sich im Gegenteil große Mühe, sie gutzuheißen. "Aristoteles erklärte, dass es Menschen gibt, die von Natur aus zur »Tugend« unfähig sind. Für sie sei es dann sogar gut, Sklave zu sein – weil ihr Herr sie »zur Tugend anleiten« kann." Als "nicht tugendfähig" galten alle nichtgriechischen Völker – "eine Begründung, um die Versklavung der Lyder, Perser, Ägypter, Skythen und andere gutzuheißen." Für Prof. Schmitz ist das eine klare "Rechtfertigungstheorie".
Bei der Abschlusstagung des Projekts präsentierten auch zwei Forscher ihre Arbeiten, deren eigene Geschichte von diesem Thema unmittelbar berührt wird. Der Nigerianer Dr. Pius Onyemechi Adiele, als katholischer Priester in Deutschland tätig, hat die Verstrickung der Päpste in den Sklavenhandel untersucht. Prof. Orlando Patterson von der Harvard University kommt aus Jamaika, dessen Wirtschaft jahrhundertelang auf der Versklavung der ursprünglichen Bevölkerung beruhte. Er betrachtet die Sklaverei (und damit laut Prof. Schmitz "zugleich die Geschichte seiner eigenen Familie") unter dem Aspekt des "Sozialen Todes", der dem Versklavten die eigene Vergangenheit, kulturelle Bindung und soziale Verwurzelung raubt und so "den Menschen seiner eigenen Geburt entfremdet; das wirkt teilweise über Generationen hinweg".
Der unter Bonner Leitung gesetzte Schlussstein des Projektes ist das "Handwörterbuch zur antiken Sklaverei" mit rund 1000 Stichworten. Derzeit liegt es nur digital vor; eine Druckfassung (rund 700 Seiten in drei Bänden) erscheint in Kürze. Das Nachschlagewerk beleuchtet Geschichte und System der antiken Sklaverei in zehn Teilgebieten – etwa die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte, archäologische Zeugnisse, die Sklaverei außerhalb Griechenlands und Roms (etwa bei den Kelten und Ägyptern), ihre Darstellung in Literatur, Filmen und Comics, aber auch die Geschichte des Akademieprojekts selbst.
Trotz aller Forschungsergebnisse über den Besitz des Menschen durch den Menschen weiß der Wissenschaftler der Universität Bonn, "dass es vieles gibt, wo wir mit wissenschaftlichen Mitteln nicht rankommen. Wir lesen zum Beispiel oft in den Quellen, Sklavenkinder hätten ihren Herrn »geliebt«. Dass das eine andere Beziehung ist als die eines Kindes zu seinen Eltern, ist klar. Wir wissen, dass viele Leerstellen bleiben. Aber wir können sie zumindest als Leerstellen benennen."
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